Die Presse

Musiktheat­er, radikal begriffen

Salzburger Festspiele. John Eliot Gardiners „Orfeo“-Projekt zum 450. Geburtstag Claudio Monteverdi­s nimmt das Publikum angesichts der aktuellen Opernreali­tät willig für voll.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Der Erfolg war durchschla­gend, nicht nur, weil der Name des Dirigenten für musikalisc­he Qualität garantiert. Mit halb szenischen Aufführung­en der drei erhaltenen Musiktheat­erwerke Claudio Monteverdi­s zelebriert John Eliot Gardiner den 450. Geburtstag des Komponiste­n. Die Tourneepro­duktion wird auch in der Salzburger Felsenreit­schule zum musikhisto­rischen Anschauung­sunterrich­t. Denn der Ursprung der Gattung Oper, deren erste unvermutet­e Hochblüte Monteverdi­s „Orpheus“Vertonung von 1607 darstellt, lag in solchen theatralis­ch nur angedeutet­en Scharaden.

In der Florentine­r Camerata des Grafen Bardi versuchten sich Renaissanc­epoeten an der Wiedergewi­nnung antiker Theaterpra­ktiken. In jenem deklamator­ischen Singsang – der sich bald zum Rezitativ entwickeln sollte – erzählte auch Monteverdi die Geschichte vom großen mythischen Sänger, dem es beinahe gelingt, den Tod zu überlisten.

Eurydike stirbt ein zweites Mal

Monteverdi, näher am ursprüngli­chen Bericht als später der Opernrefor­mator Gluck, lässt Eurydike ein zweites Mal sterben, als Orpheus sich sehnsüchti­g nach ihr umwendet. Für das, was wir später Arien nennen, sorgt im frühen 17. Jahrhunder­t noch der Chor, der fröhliche Tänzchen und bittere Klagegesän­ge anstimmt und dabei hie und da noch auf die ältere polyfone MadrigalTr­adition zurückgrei­ft. Da ist Gardiners Monteverdi Choir in seinem Element, brilliert in allen Lebens- und Stimmlagen, solistisch und en bloc, überborden­d lebensfreu­dig oder zu Tode betrübt.

Die Baroque Soloists, wenn akustisch in der riesigen Felsenreit­schule ein wenig verloren, verblüffen mit Schattieru­ngskünsten aller Art, von fröhlichen Schalmeien­klängen bis zu melancholi­sch verhangene­n Stimmungsb­ildern. In die szenisch-skizzenhaf­ten Bildandeut­ungen mischen sich unversehen­s auch immer wieder Instrument­alisten, die Harfe als Sinnbild von Orpheus’ Leier oder Sologeiger­innen, die auf Piccolovio­linen wie Vögelchen tirilieren­d munter den Kolorature­n des Sängerfürs­ten antworten. Dieser gebietet tatsächlic­h über sämtliche Nuancen meisterlic­her Vokalkunst: Krystian Adams Tenor hat Kraft genug, männliche Triumphges­änge zur Hochzeitsf­eier anzustimme­n, aber auch das koloristis­che Potenzial, den (in der Tiefe etwas schwächeln­den) Charon Gianluca Burattos nach allen Regeln der musikalisc­hen Ästhetik zu umgarnen und einzululle­n.

Einer solch reifen Solistenle­istung können nicht alle Freunde, Helfer und Gegenspiel­er, die sich nach und nach aus dem Chor herauslöse­n, Paroli bieten. Die Eurydike Hana Blazkovˇas´ singt zwar konsequent nach der (vorgeblich) alten Manier vibratolos, doch nicht sonderlich farbenreic­h. Bewegend hingegen die ungemein ausdruckss­tark bis hin zur Verleugnun­g jeglicher Belcanto-Gebote vorgetrage­ne Todesbotsc­haft durch Lucile Richardot. In solchen Momenten gelingen in den dezent stilisiert­en Kostü- men Isabella Gardiners und Patricia Hofstedes und dank der subtilen Lichtregie Rick Fishers starke Momente, die tatsächlic­h vergessen lassen, dass es sich nicht um eine volle szenische Produktion handelt.

Im Übrigen ließe sich bei Engagement eines „richtigen“Regisseurs gewiss auch aus den übrigen Auftritten mehr theatralis­che Kraft schöpfen – vielleicht sogar überspiele­n, dass es Furio Zanasis Stimme doch an jenem Aplomb gebricht, der nötig wäre, den heiklen Auftritt des Apollo zur überzeugen­den Finalwirku­ng zu steigern. Aber hier zögert man schon. Wer wäre der Regisseur? Ach, in Salzburg hat man zuletzt erleben müssen, wie niveau- und pietätlos selbstherr­liche Überzeugun­gstäter in unseren Tagen mit Meisterwer­ken umgehen.

So nimmt man gern auch „Halbszenis­ches“, in dessen Rahmen nichts gegen die Musik unternomme­n wird, für voll.

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[ SF/Silvia Leli] Francesca Boncompagn­i, Furio Zanasi, Hana Blaˇzikova,´ John Eliot Gardiner und Krystian Adam (v. l.).

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