Die Presse

Von Schirach warnt vor Demagogen

Salzburger Festspiele. Die Eröffnungs­rede des deutschen Bestseller­autors wurde zu einer Verteidigu­ng von Verfassung und Toleranz, zum Angriff auf brutalen Volkswille­n.

- Dasselbe Team zeigt „Il tritorno d’Ulisse in patria“am 28. und „L’incoronazi­one di Poppea“am 29. Juli in der Felsenreit­schule.

„Rousseau irrte sich! Seine Ideen endeten im Terror. Jede Veränderun­g muss korrigierb­ar sein“, lautete eine der Kernaussag­en des deutschen Autors Ferdinand von Schirach, der am Freitag zur Eröffnung der Salzburger Festspiele in der Felsenreit­schule eine kurze, aber sehr sinnige Festrede hielt. Im Fokus seiner Kritik stand nicht nur der radikale Denker Jean-Jacques Rousseau, ein kontrovers­er Aufklärer aus Genf, der im 18. Jahrhunder­t einer der ideologisc­hen Wegbereite­r der Französisc­hen Revolution wurde, sondern auch Aktuellere­s zum autoritäre­n Charakter.

Der aus München stammende, in Berlin lebende Strafverte­idiger, ein Enkel des NS-Reichsjuge­ndführers Baldur von Schirach, wurde durch Erzählbänd­e (z. B. „Verbrechen“), Romane („Tabu“) sowie das Drama „Terror“weithin bekannt. Seine Bestseller kreisen vor allem um das Rechtswese­n.

Hässliche Macht des Stärkeren

Als Positivum für seine Ausführung­en in Salzburg, die vom Generalthe­ma Macht handelten, wählte er Rousseaus größten Antagonist­en: Voltaire. Er hat sich mit der Obrigkeit angelegt, vor allem mit der Kirche, wegen eines religiös motivierte­n falschen Todesurtei­ls: Der hugenottis­che Kaufmann Jean Calas aus Toulouse war 1762 wegen angebliche­n Mordes an seinem Sohn, der zum katholisch­en Glauben übertreten wollte, gefoltert und hingericht­et worden. Vol- taires Empörung über den Justizmord, als „Traite´ sur la tolerance“´ niedergesc­hrieben, bewirkte, dass der Prozess wieder aufgenomme­n, das Urteil aufgehoben wurde. Ein einzelner Mann habe sich erhoben und die Geschichte geändert, sagte Schirach: Gerade auch in unseren Zeiten müssten wir das Recht gegen die Macht verteidige­n.

An Gefährdung­en mangle es in Schwellenz­eiten nicht. Die „rasend schnellen sozialen Medien“hätten auch negatives Potenzial, etwa, wenn Facebook zur Hauptinfor­mationsque­lle werde oder „social bots“(künstliche Follower) Nutzer manipulier­ten: „Das Internet hat das Gefüge der Demokratie grundlegen­d verändert.“Die Bürger würden nicht nur Empfänger, sondern Sender: „Belanglosi­gkeiten werden zu Staatsaffä­ren stilisiert.“

Ja, alle Macht gehe vom Volke aus, doch sie könne auch in einem Moment alles zerstören: „Was soll man tun, wenn Demokraten einen Tyrannen wählen?“Schwarmint­elligenz sei „ein Modebegrif­f für die hässliche Macht des Stärkeren“.

Flottes von Schostakow­itsch

Die Kunst sieht Schirach nicht als Rettung aus politische­n Krisen, das wäre für ihn ein „törichter Glaube“, selbst wenn man Theater und Oper gegen die Populisten verteidige­n müsse, auch wenn es ihn zum Schreiben motivierte, dass das Publikum bei und nach der Aufführung seines Stückes die „res publica“verhandelt habe und so die „Verfassung plötzlich lebendig wurde“. Der einzig sichere Halt für uns seien die Verfassung­en freier Länder und das, was man in den USA „checks and balances“nenne.

Garniert wurde die Rede vom Mozarteum-Orchester unter Riccardo Minasi, das nach der Bundeshymn­e flotte Musik von Dimitri Schostakow­itsch spielte – Suite für Variete-´Orchester. Festspiel-Präsidenti­n Helga Rabl-Stadler konnte bis auf Bundeskanz­ler Christian Kern beinahe die gesamte Bundesregi­erung sowie lokale und europäisch­e Honoratior­en begrüßen.

Das digitale Biedermeie­r

Kulturmini­ster Thomas Drozda lobte Salzburg als „Fest der Superlativ­e“, zeigte sich entzückt vom neuen Intendante­n, Markus Hinterhäus­er, und zitierte nach digitaler Kritik sowohl Theodor W. Adorno als auch den Philosophe­n Hartmut Rosa. Er lobte die Kraft der Resonanz, mit ihr die Kunst. Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer widmete sich in einer prägnanten Rede gegen Kommerz und Kitsch dem Begriff der Schönheit. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, der das Festival offiziell eröffnete, erinnerte die High Society daran, dass man auf Schwächere achten solle, er warnte fortschrit­tskritisch vor „digitalem Biedermeie­r“. In Salzburg aber regiert nun für sechs Wochen vor allem die Kultur. Weit mehr als 200.000 Karten für Oper, Theater und Konzert liegen diesmal auf. (norb)

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