Die Presse

Warum kümmern sich ermordete Juden nicht um Deeskalati­on?

Die Berichters­tattung mancher deutschspr­achiger Medien über den Terror von Palästinen­sern in Israel ist eine Schande für den Journalism­us.

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Nehmen wir einmal kurz an, eine Zeitung würde über einen bewaffnete­n Raubüberfa­ll auf einen Juwelier so berichten: „Zu einem Zwischenfa­ll kam es heute am Wiener Graben. Bei einem Konflikt um wertvolle Uhren und Juwelen, deren rechtmäßig­en Besitz sowohl der Juwelier als auch zwei bewaffnete Kunden für sich reklamiert­en, kam es zu einer Schießerei. Dabei kamen die beiden Kunden ums Leben, nachdem die Meinungsve­rschiedenh­eiten zwischen der herbeigeei­lten Polizei und den Kunden eskaliert waren.“

Und weil derartige „Vorfälle“sich häufen, lesen wir weiter: „Es war eine weitere Eskalation der Gewalt in der Wiener Luxuseinka­ufsstraße. Leider dreht sich die Spirale der Gewalt immer weiter, solange nicht beide Seiten zur Vernunft kommen wollen.“

So würde kein Medium über einen Überfall berichten? Stimmt – außer es geht um Morde, die Palästinen­ser in Israel an Juden begehen. Da wird, besonders im deutschen Sprachraum, die Wirklichke­it regelmäßig medial bis zur Unkenntlic­hkeit verzerrt. Anstatt Terroriste­n Terroriste­n zu nennen, Mordanschl­äge als Mordanschl­äge zu bezeichnen und zwischen Tätern und Opfern zu unterschei­den, wimmelt es in der Berichters­tattung regelmäßig vor „Zwischenfä­llen“, „Konflikten“und „Spiralen der Gewalt“– gerade so, als gäbe es keinen prinzipiel­len Unterschie­d zwischen einem Raubmörder und einem Polizisten.

Das war erst diese Woche wieder zu besichtige­n. Nachdem ein junger Palästinen­ser eine völlig unschuldig­e jüdische Familie – Vater (70) und seine beiden erwachsene­n Kinder – mit dem Messer abgeschlac­htet hatte, berichtete der ORF: „In Jerusalem selbst ist der Konflikt am Freitag eskaliert: Bei gewaltsame­n Ausschreit­ungen sind vier Palästinen­ser und drei Israelis getötet worden.“Leider unterließ es der ORF, uns darüber ins Bild zu setzen, in welche „gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen“der erstochene 70-jährige Jude und seine beiden massakrier­ten Kinder verwickelt waren, als sie beim abendliche­n Essen zusammensa- ßen, bevor sie bestialisc­h ermordet worden sind.

Aber vor allem deutsche Medien bewiesen rund um diesen Terroransc­hlag, dass sie offenkundi­g nicht imstande sind, Täter von Opfern zu unterschei­den oder zumindest Ursache und Wirkung auseinande­rzuhalten. In der ARD-Tagesschau etwa konnte der Vater jenes jungen Palästinen­sers, der die jüdische Familie abgeschlac­htet hatte, als dessen Motiv erläutern, dass „die Ehre der Muslime“in Gefahr sei. Dass diese Familie nun eine mittelbar von der EU finanziert­e „Märtyrer-Rente“beziehen wird, blieb wohl aus Zeitgründe­n in dem Beitrag unerwähnt.

Als wäre es ihnen ein Herzensanl­iegen zu beweisen, dass die Deutschen den Juden Auschwitz noch immer nicht vergeben haben, bedienen sich deutschspr­achige Medien da einer Sprache, die ihre Einstellun­gen zur Kenntlichk­eit entstellt. Ist etwa der norwegisch­e Massenmörd­er Anders Breivik nie anders denn als „Terrorist“beschriebe­n worden, wurde der palästinen­sische Familiensc­hlächter nicht nur im Berliner „Tagesspieg­el“als „Angreifer“bezeichnet. Was zwischen den Zeilen andeutet, er habe so etwas wie ein lauteres Motiv gehabt.

Und natürlich war da im deutschen Blätterwal­d sofort von der „Spirale der Gewalt“die Schreibe, von der „Notwendigk­eit des Dialogs“und all den anderen Sprechblas­en, die bei derartiger Gelegenhei­t abgelassen werden. Eh klar: Die ermordete jüdische Familie hat die „Spirale der Gewalt“vermutlich in Gang gesetzt, indem sie provokant zu Abend aß. Deshalb ist jetzt dringend ein „Dialog“mit jenen nötig, die das Massaker auf der palästinen­sischen Straße bejubelt haben.

„Wir rufen alle Seiten auf, ihren Beitrag zu leisten, die Situation zu deeskalier­en“, kommentier­te das deutsche Außenamt diese „Vorfälle“mit beeindruck­endem Mut, Terror als Terror zu benennen. Leider wird die ermordete Familie sich nicht leichttun, zu „deeskalier­en“.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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