Die intellektuelle Ausdünnung der politischen Klasse
Der Diskurs über zukunftsweisende Themen wird immer oberflächlicher.
Die inhaltliche Auseinandersetzung über zukunftsweisende politische Themen ist auf einem All-time Low, die intellektuelle Ausdünnung der politischen Parteien schreitet munter voran. Warum verschließen sich die Großparteien den tiefer gehenden Debatten?
Ich sitze auf einer Couch, auf der einst Bruno Kreisky gesessen hatte. Mir gegenüber: Robert Misik, ein Mann, dessen Weltbild ich kaum teile, bin ich doch so etwas wie ein muslimischer Christdemokrat und er – seinem Selbstverständnis nach – ein „MainstreamSozialdemokrat“.
Man könnte annehmen, dass ein derartiges Gespräch schon per Definition zum Scheitern verurteilt ist. Aber bei einer Sache wurden wir uns dann doch einig: die intellektuelle Ausdünnung der politischen Klasse. Wir haben nicht stundenlang darüber gesudert, wie toll es früher war, sondern nur festgestellt, wie spärlich die inhaltliche Auseinandersetzung mit politischen Themen heute ausfällt.
Wann haben Sie das letzte Mal ein Buch eines österreichischen Spitzenpolitikers gelesen, der sich eingehend mit dem Allgemeinwohl auseinandersetzt?
Wie geschlossene Organismen
Diese Entwicklung mag nicht zuletzt der Tatsache geschuldet sein, dass sich politische Parteien in Österreich zunehmend vor neuartigen Strömungen und inhaltlichen Ansätzen verstecken. Die beiden Großparteien – früher bekannt für ihre Vielfalt an Meinungen – wirken heute wie zwei geschlossene Organismen. Zwar mögen Christian Kern und Sebastian Kurz kurzfristig mittels ihrer Persönlichkeit das geistige Vakuum ihrer Parteien überschatten, doch beide Parteien stellen sich nicht die Frage, was und wer danach kommt.
Weder die Sozialdemokraten noch die Christdemokraten können heute wirklich von sich behaupten, ein gutes Personalreservoir, das auch Wahlen gewinnen könnte, aufgebaut zu haben. Man fürchtet sich nämlich vor Querdenkern, inhaltliche Kritik wird sofort als persönlicher Affront gegenüber dem Parteichef bewertet. Wer riskiert schon seine politische Karriere für aufmüpfigen Idealismus?
Die fehlende Kritik der politischen Funktionäre an den eigenen Parteien und deren inhaltlicher Ausrichtung hat zur Folge, dass es eine vorherrschende Meinung gibt, die nicht hinterfragt wird.
Junge meiden die Politik
Hinzu kommt, dass junge, kluge Menschen die Politik meiden. Der Dienst am Allgemeinwohl mag wohl ideell die edelste Berufung sein, aber wer ist schon gern ein „Parteisoldat“? Wer hat schon in jungen Jahren Lust darauf, mühsame interne Parteikonflikte auszutragen? Welcher junge Mensch verpflichtet sich für die Politik, wenn doch die Privatwirtschaft lukrativer, nervenschonender und familienfreundlicher sein kann?
Die zunehmend oberflächliche Auseinandersetzung mit zukunftsweisenden Themen wie Bildung, Arbeit und Migration mag für Wahlkämpfe nützlich sein, provoziert aber auf lange Sicht eine politische Kultur, die der US-amerikanischen ähnelt – in der der Verstand, die praktische Vernunft und die Fakten der blinden Ideologie gewichen sind. Helmut Schmidt sagte dazu einmal: „Die Glaubwürdigkeit der Politiker war noch nie so gering wie heute. Das liegt nicht zuletzt an einer Gesellschaft, die in die Glotze guckt. Die Politiker reden nur oberflächliches Zeug in Talkshows, weil sie meinen, es sei die Hauptsache, man präge sich ihr Gesicht ein.“
Was also bleibt, ist ein Gesicht. Eine Personenmarke. Inhaltlich ist da ein Nichts. Und das Nichts nichtet.