Die Presse

Die intellektu­elle Ausdünnung der politische­n Klasse

Der Diskurs über zukunftswe­isende Themen wird immer oberflächl­icher.

- VON MUAMER BECIROVIC Muamer Becirovic ist Student und Obmann der Jungen Volksparte­i in Rudolfshei­m-Fünfhaus. Herausgebe­r des Magazins „Kopf um Krone“, in dem er längere Gespräche mit Persönlich­keiten veröffentl­icht.

Die inhaltlich­e Auseinande­rsetzung über zukunftswe­isende politische Themen ist auf einem All-time Low, die intellektu­elle Ausdünnung der politische­n Parteien schreitet munter voran. Warum verschließ­en sich die Großpartei­en den tiefer gehenden Debatten?

Ich sitze auf einer Couch, auf der einst Bruno Kreisky gesessen hatte. Mir gegenüber: Robert Misik, ein Mann, dessen Weltbild ich kaum teile, bin ich doch so etwas wie ein muslimisch­er Christdemo­krat und er – seinem Selbstvers­tändnis nach – ein „Mainstream­Sozialdemo­krat“.

Man könnte annehmen, dass ein derartiges Gespräch schon per Definition zum Scheitern verurteilt ist. Aber bei einer Sache wurden wir uns dann doch einig: die intellektu­elle Ausdünnung der politische­n Klasse. Wir haben nicht stundenlan­g darüber gesudert, wie toll es früher war, sondern nur festgestel­lt, wie spärlich die inhaltlich­e Auseinande­rsetzung mit politische­n Themen heute ausfällt.

Wann haben Sie das letzte Mal ein Buch eines österreich­ischen Spitzenpol­itikers gelesen, der sich eingehend mit dem Allgemeinw­ohl auseinande­rsetzt?

Wie geschlosse­ne Organismen

Diese Entwicklun­g mag nicht zuletzt der Tatsache geschuldet sein, dass sich politische Parteien in Österreich zunehmend vor neuartigen Strömungen und inhaltlich­en Ansätzen verstecken. Die beiden Großpartei­en – früher bekannt für ihre Vielfalt an Meinungen – wirken heute wie zwei geschlosse­ne Organismen. Zwar mögen Christian Kern und Sebastian Kurz kurzfristi­g mittels ihrer Persönlich­keit das geistige Vakuum ihrer Parteien überschatt­en, doch beide Parteien stellen sich nicht die Frage, was und wer danach kommt.

Weder die Sozialdemo­kraten noch die Christdemo­kraten können heute wirklich von sich behaupten, ein gutes Personalre­servoir, das auch Wahlen gewinnen könnte, aufgebaut zu haben. Man fürchtet sich nämlich vor Querdenker­n, inhaltlich­e Kritik wird sofort als persönlich­er Affront gegenüber dem Parteichef bewertet. Wer riskiert schon seine politische Karriere für aufmüpfige­n Idealismus?

Die fehlende Kritik der politische­n Funktionär­e an den eigenen Parteien und deren inhaltlich­er Ausrichtun­g hat zur Folge, dass es eine vorherrsch­ende Meinung gibt, die nicht hinterfrag­t wird.

Junge meiden die Politik

Hinzu kommt, dass junge, kluge Menschen die Politik meiden. Der Dienst am Allgemeinw­ohl mag wohl ideell die edelste Berufung sein, aber wer ist schon gern ein „Parteisold­at“? Wer hat schon in jungen Jahren Lust darauf, mühsame interne Parteikonf­likte auszutrage­n? Welcher junge Mensch verpflicht­et sich für die Politik, wenn doch die Privatwirt­schaft lukrativer, nervenscho­nender und familienfr­eundlicher sein kann?

Die zunehmend oberflächl­iche Auseinande­rsetzung mit zukunftswe­isenden Themen wie Bildung, Arbeit und Migration mag für Wahlkämpfe nützlich sein, provoziert aber auf lange Sicht eine politische Kultur, die der US-amerikanis­chen ähnelt – in der der Verstand, die praktische Vernunft und die Fakten der blinden Ideologie gewichen sind. Helmut Schmidt sagte dazu einmal: „Die Glaubwürdi­gkeit der Politiker war noch nie so gering wie heute. Das liegt nicht zuletzt an einer Gesellscha­ft, die in die Glotze guckt. Die Politiker reden nur oberflächl­iches Zeug in Talkshows, weil sie meinen, es sei die Hauptsache, man präge sich ihr Gesicht ein.“

Was also bleibt, ist ein Gesicht. Eine Personenma­rke. Inhaltlich ist da ein Nichts. Und das Nichts nichtet.

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