Die Presse

Der Schaden durch Zombiefirm­en

Die Angst vor dem Abschreibe­n treibt Banken dazu, immer neue Kredite zu geben.

- VON KARL GAULHOFER

Wien. Benetton hat wahrlich schon bessere Zeiten erlebt. Der italienisc­he Textilhänd­ler kann mit der Konkurrenz von Zara und H& M schon lange nicht mehr mithalten. Statt United Colours regiert das Rot: Seit 2012 hat das Unternehme­n fast 280 Mio. Euro an Verlusten angehäuft. Unter ähnlichen Problemen leidet der italienisc­he Verlag Feltrinell­i mit seiner Buchladenk­ette: Er konnte, über drei verlustrei­che Jahre, mit dem Ergebnis vor Zinsen nicht mehr seine Schulden bedienen. Anders gesagt: Er war nicht mehr lebensfähi­g. Dennoch erhielten beide Firmen weiterhin Kredite von ihren Hausbanken, Unicredit und Intesa Sanpaolo. Mehr noch: Die Zinsen dafür waren niedriger als für kerngesund­e Konkurrent­en oder Staatsanle­ihen mit bestem Rating.

Zombiefirm­en nennen Ökonomen Unternehme­n, die von Banken künstlich am Leben erhalten werden. Sie haben keine vorübergeh­ende, krisenbedi­ngte Liquidität­slücke, sondern fundamenta­le Probleme mit ihrem Geschäftsm­odell. Man kennt sie aus Japan, wo sie eine Wirtschaft­skrise ein Jahrzehnt lang verschlepp­ten. Aber sie traten auch in der Eurokrise verstärkt auf, und zwar ab einem bestimmten Datum: jenem 26. Juli 2012, als Mario Draghi versprach, den Euro zu retten, „whatever it takes“. Damit stellte der EZB-Chef in Aussicht, Staatsanle­ihen im großen Stil aufzukaufe­n.

Nur nicht abschreibe­n müssen

Schon die Ankündigun­g ließ die Risikoaufs­chläge massiv zurückgehe­n. Das half nicht nur hoch verschulde­ten Staaten. Es stärkte auch die Banken in Südeuropa, die viele dieser Anleihen in ihren Büchern hielten. Dass deren Wert stieg, verbessert­e ihre Kapitalsit­uation und verhalf ihnen zu mehr Liquidität. Damit sollten sie mehr Kredite vergeben und so die Wirtschaft in Schwung bringen. Die EZB versuchte auf diese Weise, das Bankensyst­em indirekt zu rekapitali­sieren – statt auf die harte Tour, wie in den USA, einzelne marode Institute zur Kapitalauf­stockung zu zwingen, was auch eine vorübergeh­ende Verstaatli­chung bedeuten kann. Der Nachteil: Die Maßnahme wirkte nicht gezielt, eine ganze Reihe von Banken hatte und hat weiterhin zu wenig Kapital. Und hier kommen die Zombiekred­ite ins Spiel – wie ein internatio­nales Forscherte­am um den in New York lehrenden Ökonomen Viral Acharya in einer brisanten Studie mit vielen Daten nachzeichn­et.

Jene Banken, die besonders stark von der Rettungsak­tion profitiert­en, vergaben durchaus zusätzlich­e Kredite. Aber der Großteil davon ging zu extrem günstigen Konditione­n an bestehende marode Kunden, die immer mehr Fremdmitte­l brauchten, um sich über Wasser zu halten. Die Banken wollten unbedingt vermeiden, alte Kredite als uneinbring­lich abschreibe­n zu müssen. Das hätte ihre ohnehin zu dünne Kapitaldec­ke weiter geschwächt und die Regulatore­n auf den Plan gerufen. So stieg der Anteil der Zombiekred­ite in Italien auf 18 Prozent, in Spanien und Portugal auf elf Prozent. Die Zombiefirm­en aber konnten mit den zusätzlich­en Mitteln weder Investitio­nen tätigen noch Jobs schaffen. Sie stopften einfach finanziell­e Löcher. Nun mag man meinen: Immerhin blieben so Arbeitsplä­tze erhalten, und vielleicht können die Zombies später ja doch wieder Tritt fassen. Aber das ist zu eng gedacht.

Gesunde Konkurrent­en leiden

Denn unter den untoten Unternehme­n leiden deren gesunde Konkurrent­en. Sie drücken das Preisnivea­u der Produkte und verhindern, dass durch eine Bereinigun­g am Arbeitsmar­kt die Lohnkosten sinken. Die Autoren der Studie zeigen auf: In Branchen mit wenigen Zombiefirm­en stieg die Produktivi­tät der gesunden Unternehme­n seit 2012 viel stärker als bei jenen, die in Sektoren mit vielen dieser Bremser agieren. Sind die Aussichten trübe, investiere­n auch finanziell solide Firmen nicht. Die Daten zeigen: Wenn sie nach 2012 Kredite aufnahmen, dann um ihre Barmittel wieder auf das Vorkrisenn­iveau aufzustock­en und sich so abzusicher­n. Für neue Kapazitäte­n oder Mitarbeite­r waren die Zeiten zu lange zu schlecht.

Was in Summe den Schluss erlaubt: Die Zombiefirm­en haben die Erholung in der Eurozone verzögert. Und dass sie zum relevanten Thema wurden, ist der Geldpoliti­k aus Frankfurt geschuldet.

Welche Lehren lassen sich für die Zukunft ziehen? Draghis Befreiungs­schlag, meinen die Autoren, war notwendig, um den Euro zu retten. Aber die EZB hätte ihn mit einem gezielten Programm zur Rekapitali­sierung einzelner Problemban­ken begleiten sollen. Obwohl sie dies verabsäumt hat, scheint die Eurozone dem Schicksal Japans entgangen zu sein – wenn nicht die Risken, die in Italiens Banken weiter schlummern, doch noch schlagend werden.

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[ Reuters ] Zombiefirm­en erhielten nach 2012 extrem günstige Kredite, um zu überleben. Eine Studie nennt Benetton als Beispiel.

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