Der Schaden durch Zombiefirmen
Die Angst vor dem Abschreiben treibt Banken dazu, immer neue Kredite zu geben.
Wien. Benetton hat wahrlich schon bessere Zeiten erlebt. Der italienische Textilhändler kann mit der Konkurrenz von Zara und H& M schon lange nicht mehr mithalten. Statt United Colours regiert das Rot: Seit 2012 hat das Unternehmen fast 280 Mio. Euro an Verlusten angehäuft. Unter ähnlichen Problemen leidet der italienische Verlag Feltrinelli mit seiner Buchladenkette: Er konnte, über drei verlustreiche Jahre, mit dem Ergebnis vor Zinsen nicht mehr seine Schulden bedienen. Anders gesagt: Er war nicht mehr lebensfähig. Dennoch erhielten beide Firmen weiterhin Kredite von ihren Hausbanken, Unicredit und Intesa Sanpaolo. Mehr noch: Die Zinsen dafür waren niedriger als für kerngesunde Konkurrenten oder Staatsanleihen mit bestem Rating.
Zombiefirmen nennen Ökonomen Unternehmen, die von Banken künstlich am Leben erhalten werden. Sie haben keine vorübergehende, krisenbedingte Liquiditätslücke, sondern fundamentale Probleme mit ihrem Geschäftsmodell. Man kennt sie aus Japan, wo sie eine Wirtschaftskrise ein Jahrzehnt lang verschleppten. Aber sie traten auch in der Eurokrise verstärkt auf, und zwar ab einem bestimmten Datum: jenem 26. Juli 2012, als Mario Draghi versprach, den Euro zu retten, „whatever it takes“. Damit stellte der EZB-Chef in Aussicht, Staatsanleihen im großen Stil aufzukaufen.
Nur nicht abschreiben müssen
Schon die Ankündigung ließ die Risikoaufschläge massiv zurückgehen. Das half nicht nur hoch verschuldeten Staaten. Es stärkte auch die Banken in Südeuropa, die viele dieser Anleihen in ihren Büchern hielten. Dass deren Wert stieg, verbesserte ihre Kapitalsituation und verhalf ihnen zu mehr Liquidität. Damit sollten sie mehr Kredite vergeben und so die Wirtschaft in Schwung bringen. Die EZB versuchte auf diese Weise, das Bankensystem indirekt zu rekapitalisieren – statt auf die harte Tour, wie in den USA, einzelne marode Institute zur Kapitalaufstockung zu zwingen, was auch eine vorübergehende Verstaatlichung bedeuten kann. Der Nachteil: Die Maßnahme wirkte nicht gezielt, eine ganze Reihe von Banken hatte und hat weiterhin zu wenig Kapital. Und hier kommen die Zombiekredite ins Spiel – wie ein internationales Forscherteam um den in New York lehrenden Ökonomen Viral Acharya in einer brisanten Studie mit vielen Daten nachzeichnet.
Jene Banken, die besonders stark von der Rettungsaktion profitierten, vergaben durchaus zusätzliche Kredite. Aber der Großteil davon ging zu extrem günstigen Konditionen an bestehende marode Kunden, die immer mehr Fremdmittel brauchten, um sich über Wasser zu halten. Die Banken wollten unbedingt vermeiden, alte Kredite als uneinbringlich abschreiben zu müssen. Das hätte ihre ohnehin zu dünne Kapitaldecke weiter geschwächt und die Regulatoren auf den Plan gerufen. So stieg der Anteil der Zombiekredite in Italien auf 18 Prozent, in Spanien und Portugal auf elf Prozent. Die Zombiefirmen aber konnten mit den zusätzlichen Mitteln weder Investitionen tätigen noch Jobs schaffen. Sie stopften einfach finanzielle Löcher. Nun mag man meinen: Immerhin blieben so Arbeitsplätze erhalten, und vielleicht können die Zombies später ja doch wieder Tritt fassen. Aber das ist zu eng gedacht.
Gesunde Konkurrenten leiden
Denn unter den untoten Unternehmen leiden deren gesunde Konkurrenten. Sie drücken das Preisniveau der Produkte und verhindern, dass durch eine Bereinigung am Arbeitsmarkt die Lohnkosten sinken. Die Autoren der Studie zeigen auf: In Branchen mit wenigen Zombiefirmen stieg die Produktivität der gesunden Unternehmen seit 2012 viel stärker als bei jenen, die in Sektoren mit vielen dieser Bremser agieren. Sind die Aussichten trübe, investieren auch finanziell solide Firmen nicht. Die Daten zeigen: Wenn sie nach 2012 Kredite aufnahmen, dann um ihre Barmittel wieder auf das Vorkrisenniveau aufzustocken und sich so abzusichern. Für neue Kapazitäten oder Mitarbeiter waren die Zeiten zu lange zu schlecht.
Was in Summe den Schluss erlaubt: Die Zombiefirmen haben die Erholung in der Eurozone verzögert. Und dass sie zum relevanten Thema wurden, ist der Geldpolitik aus Frankfurt geschuldet.
Welche Lehren lassen sich für die Zukunft ziehen? Draghis Befreiungsschlag, meinen die Autoren, war notwendig, um den Euro zu retten. Aber die EZB hätte ihn mit einem gezielten Programm zur Rekapitalisierung einzelner Problembanken begleiten sollen. Obwohl sie dies verabsäumt hat, scheint die Eurozone dem Schicksal Japans entgangen zu sein – wenn nicht die Risken, die in Italiens Banken weiter schlummern, doch noch schlagend werden.