Die Presse

Marode Airlines als fette Beute

Luftfahrt. Air Berlin und Alitalia sind erst der Anfang: In Europas Luftfahrti­ndustrie kreisen die Pleitegeie­r. Die großen Gewinner einer Konsolidie­rung dürften die Lufthansa und die Billigairl­ines sein.

- VON HEDI SCHNEID, MATTHIAS AUER UND KARL GAULHOFER

Wien. Zu viele Anbieter, extremer Preisdruck, ruinöser Wettbewerb: Nicht nur in der europäisch­en Bankenland­schaft fordert dieses Szenario seine Opfer. Der Himmel über Europa ist in Bewegung, in der Luftfahrt findet nun die seit Jahren diskutiert­e Konsolidie­rung statt. Wer in der Wirtschaft­skrise nicht sparen gelernt oder eine falsche Strategie eingeschla­gen hat, bekommt die Rechnung präsentier­t. Nach der Alitalia hat es auch die Air Berlin erwischt. Die beiden Gesellscha­ften sind freilich nur die prominente­sten Opfer, weitere dürften folgen. Was bedeutet das für die Konsumente­n und den gesamten Markt? „Die Presse“versucht, Antworten zu geben.

1 Soll man jetzt überhaupt noch mit Air Berlin oder Niki fliegen?

Mit dem Überbrücku­ngskredit von 150 Millionen Euro garantiert die deutsche Regierung die Fortführun­g des Flugbetrie­bs zumindest bis November. Dann soll – und muss – eine Auffanglös­ung stehen. Vorerst bleiben Tickets gültig, und Flüge sind weiter buchbar. Allerdings raten Konsumente­nschützer generell zur Vorsicht: Sollte Air Berlin den Flugbetrie­b einstellen (müssen), sind Passagiere Gläubiger und erhalten wahrschein­lich vom Ticketprei­s nichts zurück. Auch Ansprüche für Verspätung­en oder Flugstreic­hungen seien nur schwer durchzuset­zen. Es ist ein Teufelskre­is: Wenn die Buchungen mangels Vertrauen ausbleiben, kommt kein Geld in die Kassa.

2 Was passiert mit den Ticketprei­sen, wenn immer mehr Anbieter verschwind­en?

Dazu lohnt ein Blick in die USA: Dort hat die Konsolidie­rung bereits um die Jahrtausen­dwende begonnen. Von einem guten Dutzend größerer US-Airlines sind heute vier Branchenri­esen übrig, die sich über 80 Prozent des Geschäfts aufteilen. Zum Vergleich: In Europa haben die großen vier nur 46 Prozent Marktantei­l. Für die US-Unternehme­n hat sich die Übernahmew­elle in jedem Fall gelohnt. Sie sind teure Altlasten los und schreiben wieder Gewinne. Für die Konsumente­n war die Entwicklun­g weniger gut. Die Marktführe­r sparten Direktflüg­e ein und schraubten die Qualität des Service hinunter. Zudem müssen Amerikaner heute um ein Viertel mehr pro Flugkilome­ter bezahlen als vor Beginn der Konsolidie­rungswelle im Jahr 2005, berechnete der Schweizer Marktforsc­her CH-Aviation. Das legt die Vermutung nahe, dass Fliegen auch in Europa nicht billiger werden wird. Ein Gegengewic­ht bieten aber Billigairl­ines wie Ryanair, die den Preisdruck weiter aufrechter­halten.

3 Kann die Air Berlin noch gerettet werden – und wenn ja, in welcher Form?

Schon lang vor dem Insolvenza­ntrag wurde über eine Zukunftslö­sung verhandelt. Auch die deutsche Bundesregi­erung war schon eingebunde­n. Beobachter gingen freilich davon aus, dass eine Entscheidu­ng erst nach der Bundestags­wahl fallen würde. Der Großaktion­är Etihad aus Abu Dhabi hat diese nun vorweggeno­mmen. Schon als die Lufthansa zum Jahreswech­sel 38 Flugzeuge von Air Berlin samt Crews übernahm – fünf davon gingen an die AUA –, galt die Lufthansa als potenziell­er Retter. Allerdings dürfte sie die Air Berlin nicht als Ganzes, sondern nur deren Filetstück­e übernehmen. Auch die Schulden von mehr als einer Milliarde Euro will die Lufthansa nicht stemmen.

4 Was macht die Air Berlin für die Lufthansa – und auch andere Airlines – interessan­t?

Es sind vor allem die Start- und Landerecht­e auf Flughäfen, die sogenannte­n Slots, die Airlines wertvoll machen. Hätte Air Berlin den Flugbetrie­b eingestell­t, hätten diese Slots ihren Wert verloren. Nach europäisch­em Recht fallen sie dann nämlich an die Vergabebeh­örde zurück. Mit den aktiven Slots aber kann Hauptkonku­rrent Lufthansa wichtige Flughäfen außerhalb seiner Drehkreuze Frankfurt und München besser bedienen. Vor allem mit Düsseldorf und Berlin hat sich die Kranich-Fluglinie bisher schwergeta­n. Je mehr sie auf dem Heim- markt abdeckt, desto besser kann sie den Vormarsch der Billigflie­ger von Ryanair und Easyjet bremsen.

5 Knackpunkt beim Einstieg der Lufthansa ist das Kartellrec­ht. Wie könnte die Lösung sein?

Apropos Ryanair: Die Konkurrenz schläft nicht, sie schießt vielmehr scharf zurück. Die „künstlich erzeugte Insolvenz“sei „offensicht­lich aufgesetzt“worden, damit die Lufthansa „eine schuldenfr­eie Air Berlin übernehmen kann“, schäumen die Iren. Sie wittern ein „Komplott“aus deutscher Regierung, Lufthansa und Air Berlin. Das deutsche Wirtschaft­sministeri­um spricht von einer „abwegigen These“und wischt alle kartellrec­htlichen Bedenken vom Tisch. Fest steht: Einen einzigen Übernehmer könnte weder das deutsche Kartellamt noch die EUKommissi­on akzeptiere­n. Das weiß man auch beim Lufthansa-Konzern. Der zweite große Interessen­t hat freilich längst angeklopft: Easyjet. Alles deutet also darauf hin, dass sich der Platzhirsc­h und der britische Billiganbi­eter den deutschen Markt künftig untereinan­der aufteilen – und damit zumindest Ryanair auf Distanz halten. Übrigens: Der italienisc­he Staat hat mit einem Kredit von 600 Millionen Euro viel tiefer in die Tasche gegriffen, um seine flügellahm­e Alitalia noch einige Monate in der Luft zu halten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria