Zinseszins wird oft nicht verstanden
Finanzwissen. Die Finanzbildung in den größten Industrie- und Schwellenländern lässt zu wünschen übrig, zeigt eine OECD-Studie. Die meisten Befragten verstehen, was Zinsen sind, die wenigsten jedoch, wie sich Zinseszinsen auswirken.
Wien. Um die „finanzielle Alphabetisierung“der Erwachsenen ist es in den wichtigen Industrie- und Schwellenländern nicht allzu gut bestellt. Das legt zumindest eine Studie („G20/OECD INFE Report on Adult Financial Literacy in G20 Countries“) des internationalen Netzwerks für Finanzbildung (INFE) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nahe.
Dabei wurde das Finanzwissen von Erwachsenen in 20 Ländern (darunter G20-Staaten wie Brasilien, Mexiko, Kanada, Deutschland, Frankreich oder Japan, aber auch Niederlande und Norwegen) abgefragt. Zudem wurden das Alltagsverhalten und die Einstellung zum Thema Geld erhoben.
Das Finanzwissen der Österreicher wurde in dieser Studie nicht untersucht. „Es besteht jedoch kein Grund zur Annahme, dass die Ergebnisse hierzulande besser ausfallen würden“, meint Otto Lucius, Chef des Österreichischen Verbands Financial Planners. Er verweist auf eine GfK-Umfrage aus dem Jahr 2015, für die 1000 Österreicher befragt wurden und derzufolge sich nicht einmal jeder Fünfte in Geldangelegenheiten für sachkundig hält.
Bei der OECD-Studie taten sich die Befragten vor allem schwer, simple Zinseszinsberechnungen anzustellen. So wurden sie zuerst gefragt, wie viel Geld sie nach einem Jahr haben, wenn sie 100 Euro auf ein (steuer- und spesenfreies) Sparbuch mit zwei Prozent Zinsen einbezahlt haben. Hier wusste noch gut die Hälfte die richtige Antwort (102 Euro).
Die Frage, ob man nach fünf Jahren mehr als 110 Euro, weniger als 110 Euro oder exakt 110 Euro habe, beantworteten 42 Prozent richtig („mehr als 110 Euro“). Da es sich jedoch um eine MultipleChoice-Frage handelte, könnten einige Befragten auch zufällig die richtige Antwort erwischt haben. Das ist naheliegend, da nur 27 Prozent die Antworten auf beide Fragen („102 Euro“nach einem Jahr und „mehr als 110 Euro“nach fünf Jahren) wussten.
Inflation halbwegs verstanden
Immerhin 77 Prozent verstanden das Prinzip der Inflation und beantworteten die Frage „Bedeutet hohe Inflation, dass die Lebenshaltungskosten steigen?“mit „Ja“. 53 Prozent konnten dieses Wissen auch anwenden (wenn man Geld ein Jahr lang unverzinst liegen lässt und die Inflation x Prozent beträgt, kann man sich entsprechend weniger leisten). 59 Prozent verstanden das Prinzip der Diversifikation und stimmten der Aussage „Wenn man sein Vermögen nicht in eine einzige Aktie steckt, sondern in mehrere, ist das Risiko geringer, sein ganzes Geld zu verlieren“zu.
Dennoch: Nur 48 Prozent der Befragten konnten fünf von sieben solcher Fragen richtig beantworten. „Wer einfache Grundregeln und Zusammenhänge der Finanzwelt nicht versteht, hat bei der Planung seiner Geldangelegenheiten einen klaren Nachteil“, warnt Lucius. Unter den OECD-Staaten schnitten Korea, China und Kanada mit mehr als 60 Prozent am besten ab. Die befragten Niederländer und Norweger waren noch etwas besser, doch war die Datenbasis nicht ganz vergleichbar.
Männer schnitten mit 54 Prozent besser ab als Frauen (43 Prozent). Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen waren in Kanada, dem Vereinigten Königreich und Deutschland besonders hoch. In China, Indonesien und Russland gab es hingegen diesbezüglich kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Doch ging es nicht nur um Wissen, sondern auch um Verhalten. So wurde erhoben, ob die Befragten vor einem Einkauf überlegen, ob sie sich das überhaupt leisten können (76 Prozent geben an, das zu tun), ob sie ihre Rechnungen rechtzeitig bezahlen (75 Prozent), ihre Finanzen im Überblick haben (68 Prozent) und sich langfristige Finanzziele setzen (53 Prozent). Dabei zeigte sich, dass Personen, die sich finanzielle Ziele setzen (ein Auto kaufen, die Universitätsausbildung finanzieren, schuldenfrei werden), auch über mehr Finanzwissen verfügen.
Mehr Ausgaben als Geld
37 Prozent sahen sich in den vergange- nen zwölf Monaten mit der Situation konfrontiert, dass ihr Einkommen nicht ausreichte, um ihre Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Um die Einstellung zum Geld zu erheben, wurde gefragt, ob man lieber in den Tag hinein lebe als sich um morgen zu kümmern (48 Prozent verneinten das), ob man es befriedigender finde, Geld auszugeben als zu sparen (43 Prozent lehnten das ab) und ob Geld zum Ausgeben da sei. Die letzte Aussage wurde nur von 29 Prozent bestritten. Die Studienautoren gehen davon aus, dass eine hohe Zustimmung zu diesen Aussagen ein Verhalten begünstigen könnte, das finanzieller Widerstandsfähigkeit und Wohlstand im Weg steht. Schließlich zogen die Studienautoren das Fazit, dass es in allen untersuchten Staaten Verbesserungspotenzial im Bereich der Finanzbildung gibt – und zwar in allen Altersgruppen. Das Verständnis von Zins und Zinseszins sei wichtig, um Anlageentscheidungen zu treffen. Der Zugang zu qualitativ hochwertiger Information sollte – auch über digitale Angebote – erleichtert werden.