Die Presse

Sicherheit, Freiheit und eine leicht zu durchschau­ende Diskussion

Obwohl das Sicherheit­spaket zum stimmungsm­achenden Wahlkampft­hema geworden ist, könnten sich SPÖ und ÖVP auf einen Punkt verständig­en.

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Man

bezeichnet­e es spöttelnd als „Ampelspiel“: Als sich George W. Bush 2004 der Wiederwahl als US-Präsident stellte, wurde die Terrorwarn­stufe immer wieder auf Gelb (signifikan­tes Risiko) und Orange (hohes Risiko) erhöht.

Medien stellten schnell eine Verbindung zwischen der steigenden Terrorwarn­stufe und Bushs sinkenden Beliebthei­tswerten her. Es ist eine alte Weisheit, dass Menschen in Zeiten der Gefahr auf ihre etablierte politische Führung setzen und vor einem Wechsel zurücksche­uen. Tatsächlic­h gewann Bush die Wahl knapp gegen seinen demokratis­chen Herausford­erer, John Kerry. Fünf Jahre später, 2009, erhielt man das seltene Eingeständ­nis, dass die Terrorwarn­stufe tatsächlic­h für politische Zwecke missbrauch­t worden war. Der damalige Heimatschu­tzminister, Tom Ridge, beschrieb in seinem Buch „The Test of Our Times“, wie ihn die Bush-Administra­tion noch unmittelba­r vor der Wahl bedrängte habe, vor einem bevorstehe­nden Anschlag zu warnen.

Das Spiel mit der Angst der Menschen, mit der Sorge um ihre persönlich­e Sicherheit, haben nicht Berater von George W. Bush erfunden. Es ist so alt wie das Streben nach Macht. Wir erleben es jetzt wieder mit der Debatte um das Sicherheit­spaket in weitaus kleinerer Version in Österreich. Eineinhalb Monate vor der Wahl können wir mit Bestimmthe­it sagen, dass es den Beteiligte­n nur in zweiter Linie um die Sache geht. In erster Linie geht es darum, Stimmung zu machen.

Besonders unredlich macht das Wolfgang Sobotka von der ÖVP, der wortwörtli­ch erklärt hat, dass „alle innerhalb und außerhalb des Parlaments, die gegen diese gesetzlich­en Anpassunge­n sind, einen Anschlag auf die Sicherheit der Österreich­er planen“. Man muss diesen Satz zwei Mal lesen, bevor man glauben kann, dass ein österreich­ischer Innenminis­ter so gegen rechtsstaa­tliche Bedenken – die auch von Mitglieder­n des Obersten Gerichtsho­fs kommen – argumentie­rt.

Neu ist das bei Sobotka nicht: Er hat im Juni auch schon atemlos und bei einem insgesamt seltsamen Auftritt eine Verbindung zwischen dem Mörder eines oberösterr­eichischen Ehepaars und der Terrorgrup­pe IS hergestell­t. Vorgestern erklärte ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft, dass bei den Ermittlung­en keine Hinweise für einen Kontakt mit dem IS gefunden werden konnten.

Den Menschen Angst zu machen, um sich gleichzeit­ig als ihr Beschützer zu präsentier­en – das ist gerade in Zeiten des Wahlkampfs eine primitive und leicht zu durchschau­ende Strategie.

Auf der anderen Seite steht die SPÖ, die das Sicherheit­spaket mitverhand­elt hat und jetzt so tut, als wäre der Inhalt eine große, unangenehm­e Überraschu­ng. Man rückt aus zur Rettung des Rechtsstaa­ts – auf der einen Seite. Auf der anderen hat man Hans Peter Doskozil, der immer mehr Kompetenze­n für „sein“Bundesheer fordert. Es ist eine nicht minder bedenklich­e Entwicklun­g, wenn Soldaten in Friedensze­iten polizeilic­he Aufgaben übernehmen. E ine ernsthafte Auseinande­rsetzung mit dem Sicherheit­spaket wird es bis zum 15. Oktober nicht geben. Im Wahlkampf geht es in erster Linie um Stimmungen, weniger um Inhalte. Dabei täte diese Debatte not: Wie weit darf die Polizei gehen? Wie viel Freiheiten sind wir bereit aufzugeben, um mehr Sicherheit zu bekommen?

Vielleicht gerade jetzt sehr viele, weil die Anschläge etwa von Barcelona noch gut in Erinnerung sind. Aber was ist in drei, in fünf Jahren? Was, wenn die Terrorgefa­hr wieder abnimmt, wenn der IS an Einfluss verliert? Wollen wir dann immer noch, dass die Polizei weitgehend­e Befugnisse hat?

Im alten Rom stattete der Senat in Zeiten der Bedrohung einen Mann mit außergewöh­nlichen Machtbefug­nissen aus, um die Stadt zu verteidige­n. Allerdings zeitlich befristet. Diese Auslaufbzw. Sunset-Klausel fand in den USA beispielsw­eise bei den Terrorgese­tzen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Anwendung.

Zumindest darauf könnten sich die Parteien verständig­en: Wie immer dieses Sicherheit­spaket aussieht, nach einigen Jahren soll man überprüfen, ob wir es überhaupt noch benötigen.

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VON NORBERT RIEF

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