Karl-Theodor Guttenberg: Die rauschende Rückkehr des gefallenen Superstars
Bayern. Sechs Jahre nach seiner Plagiatsaffäre macht ExCSU-Verteidigungsminister Guttenberg wieder Wahlkampf.
Kulmbach. Brütend heiß ist es in der Kulmbacher Stadthalle. Die Klimaanlage wird der gut 1100 Menschen nicht mehr Herr, die da dicht gedrängt stehen. Tische und Stühle hat man gar nicht erst aufgestellt, sonst – sagen die Veranstalter – hätten sie „diesen Megaandrang“niemals bewältigt.
Die Menschen sind aus Neugier gekommen, aus Heimatstolz – und zum Feiern. Den immer noch jugendlichen, agilen, schlanken Mann, der da die Bühne aufund abgeht, eineinhalb Stunden lang, als machte ihm die Hitze gar nichts aus. Aufs Rednerpult verzichtet er: Er sagt, dann wäre er „nur Gefahr gelaufen, eine abgeschriebene Rede zu verlesen“– und das Publikum kapiert die selbstironische Anspielung.
Tosendes Gelächter, rauschender Applaus: Er ist wieder da, Karl-Theodor zu Guttenberg. Doch die alte Plagiatsaffäre holt ihn umgehend ein. „Alte Liebe rosneft nicht“, sagte er unter Hinweis auf den neuen Nebenjob des Ex-Kanzlers Gerhard Schröder beim russischen Ölkonzern – allerdings ohne die Quelle des Wortspiels zu zitieren: Die FAZ hatte es in der Vorwoche auf die Titelseite gerückt. Die deutschen Medien greifen Guttenbergs neuen Fauxpas prompt auf.
Sechs Jahre nach seinem unehrenhaften Abgang wegen einer abgeschriebenen Doktorarbeit macht „KT“wieder Wahlkampf. Für „seine“Partei, die CSU, und in Kulmbach fängt er an diesem Abend seine Tour durch alle sieben bayerischen Regierungsbezirke an. So viele möchten ja sehen, wie er ankommt, heute, nach sechs Jahren USA. Die einen, die ihn mögen, aber auch die anderen.
Kulmbach – das ist für KT, wie sie ihn hier nennen, ein Heimspiel. In der Nähe steht seit 700 Jahren das Stammschloss derer von und zu Guttenberg; Vater Enoch zu Guttenberg, der Dirigent, ist aus diesem Schloss eigens in die Stadthalle geeilt, um den Sohn zu hören. Die Guttenberg-Freiherrlichen Wälder und Fluren sind so umfangreich, dass das Vermögen der Familie auf mehr als 250 Millionen Euro geschätzt wird. Im Dorf Guttenberg selbst, das zwar nur mehr 517 Einwohner zählt, betrachten sie laut Auskunft von Bürgermeister Eugen Hain die akademische Jugendsünde des Freiherrn als gar nicht erwähnenswert. Sie hätten ihren Politstar gern wieder – so, wie ihn der gesamte Wahlkreis Kulmbach im September 2009 mit den deutschlandweit höchsten Erststimmenanteil in den Bundestag gewählt hat: 68,1 Prozent bekam Guttenberg damals für sein drittes Mandat. Die CSU blieb bei 42,5 Prozent hängen.
Guttenberg nimmt, als ein Beobachter von außen, der „von deutscher Rentenund Sozialpolitik nichts mehr versteht“, sein Publikum mit auf einen „Streifzug durch diese Welt, die in bedenkliche Unruhe geraten ist“. Die Reaktion der Zuhörer straft alle Lüge, die behaupten, mit Außenpolitik sei im Wahlkampf kein Blumentopf zu gewinnen. Die Leute hängen förmlich an Guttenbergs Lippen, wenn er über die Krisenherde der Welt schweift, wenn er den „blonden Wüterich“im Weißen Haus ebenso attackiert wie lächerlich macht, wenn er vor der globalen Gefahr eines Atomkriegs mit Nordkorea warnt, wenn er „Herren“kritisiert, „deren Ego nur noch von dem meines Rauhaardackels übertroffen wird“: Putin, Erdogan˘ und so weiter.
Die Leute applaudieren rauschend, wenn Guttenberg, der nun weltweise Analytiker, „unser Land“in besten Händen sieht, „bei meiner früheren Chefin, einer Frau, die umgehen kann mit solchen männlichen Alphatieren, die vor Muskeln nicht mehr laufen können“. „Das kann sie“, schiebt der Ex-Minister nach, ohne Merkel direkt beim Namen zu nennen. Aber was will Guttenberg selbst? Dazu sagt er nichts, auch nicht im zweiten Teil seiner Rede, in dem er plötzlich vom weltpolitischen Analytiker zum Einpeitscher von CSU-Parolen wird und die ruhige Stimme auch den Kampfton annimmt, der zu verbissenen Wahlkämpfern gehört.
In Deutschland zurückhaben wollen ihn viele im Publikum, auch wenn manche argwöhnen, „die Medien und die Opposition würden Guttenberg bei einem Comeback „in der Luft zerreißen“. Zurückhaben will auch CSUChef Horst Seehofer diesen „erstklassigen, sehr begabten, sprachmächtigen“Politiker. Schon 2008, kaum selbst an die Parteispitze gelangt, hatte er Guttenberg zum Generalsekretär gemacht. Heute sähe Seehofer es gern, würde Guttenberg sich „wieder in unsere politische Familie einfädeln“. Eine Partei müsse „interessant“sein; die Leute, so sagt der Chef, „wählen spannende Figuren; sie wollen keine Technokraten“.
Seehofer: „Es gibt keine Zusage“
Seehofer sagt auch, er rechne es Guttenberg hoch an, dass er „ohne Netz“auftrete: „Es gibt weder vor noch hinter den Kulissen eine Zusage, dass er nach der Bundestagswahl ein Amt kriegt.“Womöglich ist genau das ja auch ein Grund dafür, dass Guttenberg selbst so vieles lieber in den Wolken lässt. Er weiß aus nächster Nähe, dass Seehofer eine Personalstrategie nach wechselnden machtpolitischen Gesichtspunkten betreibt. Ein Versprechen von heute ist morgen schon nichts mehr wert.
Deshalb nicht einmal im Schlusssatz irgendeine Andeutung, wo er selbst seine Zukunft sieht. Guttenberg setzt keine Schlusspointe, hebt sich keinen Knaller auf. Er sagt nur: „Wenn ein abgehalfterter Politiker mal eineinhalb Stunden geredet hat, dann ist es Zeit für ein gutes fränkisches Seidla-Bier.“Zumindest die Bierstadt Kulmbach liegt ihrem wiedergefundenen Star zu Füßen.
Meine frühere Chefin kann mit Alphatieren umgehen, die vor Muskeln nicht laufen können. Guttenberg über Merkel