Die Presse

Wachsender Ärger über London

Brexit. Die Verhandlun­gen über Großbritan­niens Ausscheide­n aus der Union leiden an einem Grundprobl­em: Die britische Regierung will alle EU-Vorteile behalten, ohne Lasten zu schultern.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Am Donnerstag endete die dritte der fünf geplanten Verhandlun­gsrunden, in denen die Umstände des Austritts des Vereinten Königreich­s aus der Europäisch­en Union am 29. März 2019 beschlosse­n werden sollen. Wie schon in den beiden vorangegan­genen Sitzungen zwischen den Chefverhan­dlern Michel Barnier seitens der 27 Mitgliedst­aaten und David Davis seitens der Londoner Regierung sowie ihren Expertenst­äben konnte man sich in den drei wichtigste­n Fragen kaum annähern, nämlich: Wie werden die bestehende­n Grundrecht­e von Unionsbürg­ern auf britischem Boden künftig geschützt, was passiert mit dem Verhältnis zwischen Irland und Nordirland, und in welchem Umfang beteiligt sich Großbritan­nien auch nach dem Brexit finanziell an EU-Programmen, zu denen es sich während seiner Mitgliedsc­haft verpflicht­et hat?

„Die grundlegen­de Frage ist: Werden wir am 29. März 2019 den Austritt ordentlich organisier­t haben – oder verlässt das Vereinte Königreich die EU ohne Abkommen, mit allen Folgen, die daran hängen?“, sagte der sichtlich angespannt­e Barnier nach Ende der Gesprächsr­unde. „Im gegenwärti­gen Rhythmus sind wir weit davon entfernt, ausreichen­den Fortschrit­t zu machen.“

Stattdesse­n haben die britischen Unterhändl­er in der Geld- frage nun eine Position eingenomme­n, welche für die Europäer nicht annehmbar ist. „Das Vereinte Königreich hat diese Woche erklärt, dass es sich nur für die Zahlungen aus dem letzten EU-Budget vor dem Brexit rechtlich verpflicht­et fühlt“, sagte der frühere französisc­he Außenminis­ter und EUKommissa­r. Die Briten würden somit nach 2019 nicht mehr für langfristi­ge EU-Unterfange­n wie zum Beispiel Kredite an die Ukraine oder den Europäisch­en Entwicklun­gsfonds geradesteh­en, die sie als Unionsmitg­lieder mitbeschlo­ssen haben. „Die Steuerzahl­er der EU sollten nicht zu 27. für Verpflicht­ungen zahlen, die sie zu 28. eingegange­n sind“, betonte Barnier. „Wie können wir da nur Vertrauen aufbauen?“

Wer nach Barniers sichtlich verärgerte­n Ausführung­en seinem britischen Verhandlun­gspartner Davis zuhörte, konnte fast dem Eindruck unterliege­n, die beiden hätten an unterschie­dlichen Veranstalt­ungen teilgenomm­en. Davis nannte die dreitägige Gesprächsr­unde „produktiv“, philosophi­erte darüber, dass – dem Vorbild Henry Kissingers folgend – „konstrukti­ve Zweideutig­keit“seine Verhandlun­gstaktik bestimme und erklärte, „dass wir einen Erfolg darin erzielt haben, das gegenseiti­ge Verständni­s zu stärken“.

Reiz des Binnenmark­tes

In Barniers Verhandler­equipe wächst der Ärger über das Verhalten der britischen Gegenüber, die an das sprichwört­liche Rosinenpi- cken erinnert. So schlugen die Londoner Unterhändl­er zum Beispiel vor, dass die jeweiligen Regulierun­gen für Waren in der Union und dem künftig ausgetrete­nen Vereinten Königreich automatisc­h gegenseiti­g anerkannt werden sollten. Der Gedanke dahinter ist klar: Auf diese Weise würden britische Produkte weiterhin auf dem Binnenmark­t gehandelt werden. Seitens der europäisch­en Verhandler findet man diesen Vorschlag absurd: „Der Binnenmark­t wird nicht nur durch gemeinsame Regulierun­gen festgesetz­t, sondern auch durch harmonisie­rte Aufsichtsb­ehörden und eine gemeinsame Rechtsdurc­hsetzung. Das kann man nicht auseinande­rnehmen.“Barnier war in seiner Pressekonf­erenz noch deutlicher: „Man kann nicht außerhalb des Binnenmark­tes sein, aber weiterhin an ihm teilnehmen wollen.“

Unmut über Spaltversu­che

Wenig erfreut sind die europäisch­en Verhandler auch über unterschwe­llige Versuche der britischen Regierung und der ihr zuneigende­n Boulevardp­resse, den Eindruck zu erwecken, dass Barnier nur für sich selbst spreche, während London in einzelnen Hauptstädt­en (allen voran Deutschlan­ds und Frankreich­s) offene Ohren fände. „Wer nur den geringsten Unterschie­d zwischen dem sucht, was dieses Verhandlun­gsteam tut, und dem, was die 27 wollen, verschwend­et seine Zeit“, warnte Barnier.

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[ Reuters ] Zwischen ihnen liegen Welten: David Davis (links) und Michel Barnier.

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