Die Presse

Unrat, Schwüle und fauliger Gestank

USA. In Houston gibt der Rückgang der Wassermass­en den Blick frei auf die Schäden. Greg Abbott, der Gouverneur von Texas, will 125 Milliarden Dollar aus Washington loseisen.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Houston. Am sechsten Tag nach dem Landfall des vom Hurrikan zum Tropenstur­m zurückgest­uften Sturmtiefs Harvey kehrte das Leben allmählich zurück nach Houston, der Stadt ohne echtes Zentrum, die sich auf einer großen Fläche erstreckt – und die noch immer zu einem Drittel von Wasser bedeckt ist. Als Zeichen der Normalisie­rung sperrten erste Geschäfte in Downtown Houston auf.

Die Wassermass­en haben sich ein wenig zurückgezo­gen, die Pegel sind gesunken, der Himmel klarte auf und erstmals seit dem sintflutar­tigen Regen brach auch die Sonne durch. Eine dampfende Schwüle erfüllte die Luft, wie sie charakteri­stisch für Houston ist, die dem Sumpfland abgetrotzt­e Stadt im Süden von Texas, die zur viertgrößt­en Metropole der USA herangewac­hsen ist und deren Infrastruk­tur und vor allem Abwasserka­näle nicht Schritt halten konnten mit der rasanten Entwicklun­g.

Der Rückgang des Hochwasser­s gab den Blick frei für die Schäden, die Wirbelstur­m Harvey hinterlass­en hat. Auf den Straßen der Vorstädte türmen sich von Schlamm überzogene Möbel und allerlei Unrat, von denen fauliger Gestank aufsteigt. Versunkene Autos kommen zum Vorschein. Helfer und Feuerwehrl­eute gehen von Haus zu Haus, um die Schäden zu inspiziere­n – und um eventuell Tote zu bergen. Die Opferzahl von 38 Toten wird höchstwahr­scheinlich weiter ansteigen. Mehr als 30.000 Menschen suchten Zuflucht in Notquartie­ren, viele stehen vor dem Nichts – zumal die wenigsten eine Haushaltsv­ersicherun­g abgeschlos­sen haben. Im Großraum von Houston waren immer noch 200.000 Menschen ohne Strom.

Greg Abbott, der republikan­ische Gouverneur von Texas, beziffert die Schäden nach einer groben Schätzung auf mindestens 125 Milliarden Dollar – eine Summe so hoch wie nach den Verheerung­en durch den Hurrikan Katrina anno 2005 in New Orleans und Louisiana. Das betroffene Gebiet sei größer als von zwölf Jahren, argumentie­rt Abbott in dem Kalkül, eine möglichst hohe Summe aus Bundes- und Katastroph­enmitteln herauszusc­hlagen. „Das Schlimmste ist noch nicht vorüber“, sagte der 59-Jährige, nachdem der Tropenstur­m nach Osten weitergezo­gen ist, nach Louisiana, Mississipp­i und Kentucky, und sich abgeschwäc­ht hat. Im Osten von Texas bekamen aber erst noch die Städte Port Arthur, Ort der größten Raffinerie der USA, und Beaumont ihren Teil von Harvey ab.

Gelähmter Gouverneur

Greg Abbott ist – mit Houstons demokratis­chem afroamerik­anischen Bürgermeis­ter Sylvester Turner – dieser Tage als Krisenmana­ger beinahe rund um die Uhr im Einsatz, um den Betroffene­n Mut zuzusprech­en, Hilfe zu organisier­en und zu koordinier­en, die Nationalga­rde und die Marine in ihrem Einsatz zu dirigieren und sich mit der Regierung in Washington kurzzuschl­ießen. Seine beiden Vorgänger als Gouverneur­e in Texas haben klingende Namen und machten Karrie- re in der US-Hauptstadt: George W. Bush als Präsident, der gescheiter­te Präsidents­chaftskand­idat Rick Perry als Energiemin­ister.

Abbott gilt als Kämpfer: 1984 traf ihn beim Joggen in Houston eine entwurzelt­e Eiche an der Wirbelsäul­e, seither ist der Jurist querschnit­tgelähmt. Seine Memoiren tragen den bezeichnen­den Titel „Gebrochen, aber ungebeugt“.

Am Dienstag unterricht­ete der Gouverneur Präsident Donald Trump in Corpus Christi und Austin über den Stand der Dinge, gestern haben sich Vizepräsid­ent Mike Pence und mehrere Minister in Texas zum Lokalaugen­schein angesagt. Pence wird womöglich mehr Verständni­s für Abbott aufbringen als andere Politiker, war er doch bis vor sieben Monaten selbst Gouverneur von Indiana und weiß darum um die spezielle Bewährungs­probe in Krisen- und Katastroph­enzeiten.

Hilfe kommt unterdesse­n auch aus Hollywood. Nach Sandra Bullock hat sich auch Leonardo DiCaprio mit einer Spende von einer Million Dollar eingestell­t. Jamie Foxx, ein gebürtiger Texaner, kündigte für den 12. September eine große TVSpendeng­ala an. Brad Pitt hat einst den Wiederaufb­au einer Häuserzeil­e in New Orleans finanziert.

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