Unrat, Schwüle und fauliger Gestank
USA. In Houston gibt der Rückgang der Wassermassen den Blick frei auf die Schäden. Greg Abbott, der Gouverneur von Texas, will 125 Milliarden Dollar aus Washington loseisen.
Wien/Houston. Am sechsten Tag nach dem Landfall des vom Hurrikan zum Tropensturm zurückgestuften Sturmtiefs Harvey kehrte das Leben allmählich zurück nach Houston, der Stadt ohne echtes Zentrum, die sich auf einer großen Fläche erstreckt – und die noch immer zu einem Drittel von Wasser bedeckt ist. Als Zeichen der Normalisierung sperrten erste Geschäfte in Downtown Houston auf.
Die Wassermassen haben sich ein wenig zurückgezogen, die Pegel sind gesunken, der Himmel klarte auf und erstmals seit dem sintflutartigen Regen brach auch die Sonne durch. Eine dampfende Schwüle erfüllte die Luft, wie sie charakteristisch für Houston ist, die dem Sumpfland abgetrotzte Stadt im Süden von Texas, die zur viertgrößten Metropole der USA herangewachsen ist und deren Infrastruktur und vor allem Abwasserkanäle nicht Schritt halten konnten mit der rasanten Entwicklung.
Der Rückgang des Hochwassers gab den Blick frei für die Schäden, die Wirbelsturm Harvey hinterlassen hat. Auf den Straßen der Vorstädte türmen sich von Schlamm überzogene Möbel und allerlei Unrat, von denen fauliger Gestank aufsteigt. Versunkene Autos kommen zum Vorschein. Helfer und Feuerwehrleute gehen von Haus zu Haus, um die Schäden zu inspizieren – und um eventuell Tote zu bergen. Die Opferzahl von 38 Toten wird höchstwahrscheinlich weiter ansteigen. Mehr als 30.000 Menschen suchten Zuflucht in Notquartieren, viele stehen vor dem Nichts – zumal die wenigsten eine Haushaltsversicherung abgeschlossen haben. Im Großraum von Houston waren immer noch 200.000 Menschen ohne Strom.
Greg Abbott, der republikanische Gouverneur von Texas, beziffert die Schäden nach einer groben Schätzung auf mindestens 125 Milliarden Dollar – eine Summe so hoch wie nach den Verheerungen durch den Hurrikan Katrina anno 2005 in New Orleans und Louisiana. Das betroffene Gebiet sei größer als von zwölf Jahren, argumentiert Abbott in dem Kalkül, eine möglichst hohe Summe aus Bundes- und Katastrophenmitteln herauszuschlagen. „Das Schlimmste ist noch nicht vorüber“, sagte der 59-Jährige, nachdem der Tropensturm nach Osten weitergezogen ist, nach Louisiana, Mississippi und Kentucky, und sich abgeschwächt hat. Im Osten von Texas bekamen aber erst noch die Städte Port Arthur, Ort der größten Raffinerie der USA, und Beaumont ihren Teil von Harvey ab.
Gelähmter Gouverneur
Greg Abbott ist – mit Houstons demokratischem afroamerikanischen Bürgermeister Sylvester Turner – dieser Tage als Krisenmanager beinahe rund um die Uhr im Einsatz, um den Betroffenen Mut zuzusprechen, Hilfe zu organisieren und zu koordinieren, die Nationalgarde und die Marine in ihrem Einsatz zu dirigieren und sich mit der Regierung in Washington kurzzuschließen. Seine beiden Vorgänger als Gouverneure in Texas haben klingende Namen und machten Karrie- re in der US-Hauptstadt: George W. Bush als Präsident, der gescheiterte Präsidentschaftskandidat Rick Perry als Energieminister.
Abbott gilt als Kämpfer: 1984 traf ihn beim Joggen in Houston eine entwurzelte Eiche an der Wirbelsäule, seither ist der Jurist querschnittgelähmt. Seine Memoiren tragen den bezeichnenden Titel „Gebrochen, aber ungebeugt“.
Am Dienstag unterrichtete der Gouverneur Präsident Donald Trump in Corpus Christi und Austin über den Stand der Dinge, gestern haben sich Vizepräsident Mike Pence und mehrere Minister in Texas zum Lokalaugenschein angesagt. Pence wird womöglich mehr Verständnis für Abbott aufbringen als andere Politiker, war er doch bis vor sieben Monaten selbst Gouverneur von Indiana und weiß darum um die spezielle Bewährungsprobe in Krisen- und Katastrophenzeiten.
Hilfe kommt unterdessen auch aus Hollywood. Nach Sandra Bullock hat sich auch Leonardo DiCaprio mit einer Spende von einer Million Dollar eingestellt. Jamie Foxx, ein gebürtiger Texaner, kündigte für den 12. September eine große TVSpendengala an. Brad Pitt hat einst den Wiederaufbau einer Häuserzeile in New Orleans finanziert.