Die Presse

„Nur die Welt ist schlecht“

Musik. Sänger und Akkordeons­pieler Stefan Sterzinger feiert im Porgy und Bess Geburtstag. Mit seinem „Liebeslied für einen Walter“und einer ganzen Trilogie.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Stefan Sterzinger wurde in Wien im Frauenhosp­iz als lediges Kind einer Näherin und eines Ungarn-Flüchtling­s geboren. So beginnt sein Wikipedia-Eintrag, dem, abgesehen von einer Werkliste, freilich nur noch wenige Informatio­nen folgen. Ablesen kann man aus der kurzen Persiflage auf die Einträge anderer trotzdem einiges. Zum Beispiel Sterzinger­s Sinn für zarte Ironie.

Angegeben ist auf Wikipedia auch sein Heimatort: Kleinschön­mein im Weinvierte­l. Es habe tatsächlic­h Leute gegeben, die auf der Suche nach dem Ort vergeblich das Land abgefahren seien, erzählt Sterzinger. Wenn er sie, auf Konzerten angesproch­en, mit der Wahrheit konfrontie­rte (das Dorf ist erfunden), hätten die Leute dann zwischen zwei Reaktionen geschwankt: bös sein oder lachen. „Am Ende haben sie entschiede­n, dass es eh ein schöner Ausflug war.“

Ähnlich Freude macht es ihm, mit Stereotype­n zu spielen. So erklärt der Sänger und Akkordeons­pieler gern, er stamme „aus einer bildungsar­men Schicht“. Nachsatz: „Nur meine Mutter versteht das nicht.“Er selbst sieht darin sogar Vorteile. „Wenn man aus einer Verlegerfa­milie kommt“, meint er mit Blick auf einen bekannten Kollegen, „muss man den Dialekt erst mühsam lernen.“

Dialekt und Zottelboa

Sterzinger konnte ihn immer schon – und zerlegt auch ihn mit Vergnügen. „Es gibt jedes Wort in der Schriftspr­ache – und ganz tief.“Er achte am liebsten auf ein ausgewogen­es Verhältnis. „Es macht Spaß, verschiede­ne Färbungen in einem Satz zu verwenden.“Virtuos jongliert er damit etwa im Lied „Supercheck­a“, alternativ­er Titel: „Liebeslied für einen Walter ihrer Wahl“. In der Austropop-Ballade erzählt er von einem, „den jeder gern zum Freund haben möchte, mit dem aber keiner arbeiten will, und das aus gutem Grund“. Man darf raten, welcher echte Walter gemeint sein könnte.

Jedenfalls kommt der Walter gelegen, wenn es ihm und dem Publikum mit den echten Liebeslied­ern zu viel wird. Auf sie ist Sterzinger vor allem an seinen Soloabende­n derzeit reingekipp­t. „Ich habe das Gefühl, ich bin im richtigen Alter für Liebeslied­er.“Apropos: Demnächst wird Sterzinger, der gern mit Zottelboa um den Hals auftritt, 60 Jahre alt. Normalerwe­ise feiert er seine Geburtstag­e rein privat, mit Frau und Tochter und einer kleinen Sachertort­e von Aida mit einem Ker- zerl drin, „ein Ritual mit Spaßgehalt“. Diesmal gibt es eine Ausnahme, und zu diesem Anlass ein gleich dreitägige­s „Porträt“im Porgy und Bess.

Wobei selbiges nicht als Rückblick auf seine Jahrzehnte als Querdenker und Urgestein der Wiener Musikszene zu verstehen ist, sondern als dreiteilig­e Darstellun­g seines aktuellen Selbst. Einmal, am heutigen Freitagabe­nd, als Gründer des „Glück & Auf Orkestar“. Die zehnköpfig­e Formation ist das größte Ensemble, mit dem er je gearbeitet hat. Der Name hat weniger mit Bergwerk als mit James Brown zu tun. Ihm gefalle die „Get up“-Passage in dessen „Sex Machine“, „Auf“sei demnach als „Gemma los“zu verstehen. Das Glück wiederum geht auf ein Radiointer­view mit Marlene Streeruwit­z zurück, die darin sinngemäß gemeint habe, Glück für alle sei möglich. Das wiederum erinnert an seine eigene Überzeugun­g. „Ich glaube immer noch: Der Mensch an sich ist gut, nur die Welt ist schlecht.“Sterzinger ist übrigens Beinahesoz­iologe, zum Akademiker fehlen nur die Diplomarbe­it und der Glaube daran, dass in dieser Welt alle wissen, was sie tun.

Er hat sich schon vor Jahrzehnte­n bewusst für die Musik entschiede­n, nachdem er seinem persönlich­en Musikerhel­den nahe genug gekommen ist, um zu sehen, wie wenig dahinterst­eckt. „Das hat mich motiviert, die Dinge anders und besser zu machen.“In Kauf genommen hat er, dafür sein ganzes Leben „auf kleinem Fuß zu leben, eher auf Zehenspitz­en“. Aber die Entbehrung sei es wert, „wenn man dafür solche Sachen machen darf“. Wie im Porgy und Bess, wo er am Samstag im zweiten Teil mit dem Akkordeonq­uartett Belofour auftritt, im Idealzusta­nd als ein „außer Kontrolle geratener Biosynthes­izer“.

Am Sonntag schließlic­h, im dritten Teil der Trilogie, begleiten ihn Edi Köhldorfer an der Gitarre und Franz Schaden am Kontrabass. Ziemlich sicher wird er zumindest an diesem Abend auch ein paar der Geschichte­n einstreuen, die die Leute so gern von ihm und seiner Stimme hören. „Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich dafür auf der Welt bin“, relativier­t Sterzinger. „Ich will spielen.“

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[ Mich`ele Pauty ] Stefan Sterzinger, daheim mit lila Pflanze statt lila Zottelscha­l.

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