Das zwielichtige, verwinkelte Haus
1945. Das Theater in der Josefstadt erinnert zur Saisoneröffnung an Ernst Lothars „Der Engel mit der Posaune“, ein Schlüsselwerk der österreichischen Nachkriegsgeschichte.
Hat Österreich das Dritte Reich teilnahmslos, wie in einer Eremitage, zugebracht? Sieht man sich Literatur und Film der unmittelbaren Nachkriegszeit an, war das offenbar so. Der Nationalsozialismus, diese österreichfremde Heimsuchung, war vorübergezogen wie ein Spuk. Nun galt es, das junge Staatswesen ideologisch zu stützen. Kunst und Kultur waren wichtige Bausteine, um ein neues Staatsbewusstsein zu kreieren. Der erste Film, der nach Kriegsende eine Drehlizenz erhielt, war Geza von Cziffras „Glaube an mich“, eine heitere Komödie. Der Titel: geradezu ein Leitmotiv der Wiederaufbauzeit, man assoziiert Figls Weihnachtsrede von 1945.
Doch woran sollte man inhaltlich anschließen? Die Kontinuität zum autoritären Ständestaat kam der Zweiten Republik nicht gelegen, die Erste Republik mit ihrer Zerrissenheit bot überhaupt keine konsensfähigen Anknüpfungspunkte. Die neue positive Österreich-Identität sollte ja für alle Bevölkerungsgruppen akzeptabel und tragbar sein. So griff man tiefer in den Fundus der glorreichen Vergangenheit des Landes und polierte das frisch auf, was hier gefunden wurde. Es war die Monarchie. Ein Roman und seine Verfilmung, beide mit dem Titel „Der Engel mit der Posaune“und beide überaus populär im Nachkriegsösterreich, hatten in diesem kulturellen Redesign der neuen Republik eine tragende Rolle.
Ein günstiges Bild von Österreich
Der Autor, Ernst Lothar, 1890 als Sohn eines jüdischen Anwalts in Brünn geboren, hinterließ im Kulturleben der Ersten Republik tiefe Spuren: Zunächst Staatsbeamter wechselte er in den Theater- und Literaturbetrieb, wurde Theaterkritiker, Mitbegründer der Salzburger Festspiele, Direktor des Theaters in der Josefstadt, rühriger Literat. 1938 musste er in die USA emigrieren. Er unterzeichnete dort ein Manifest in der „New York Times“, „das den Amerikanern erklären sollte, dass Österreich nicht aus eigenem Willen mit den Alliierten im Kriegszustand sei, denn es sei 1938 von Deutschland besetzt und seiner Handlungsfreiheit beraubt worden“, er hielt Rundfunkansprachen und Vorträge mit dem Ziel, ein günstiges Bild von Österreich zu zeichnen. Das gelang ihm auch mit seinem Roman „The Angel with the Trumpet“(1944), dem Porträt eines Hauses und der darin lebenden Familie über mehrere Generationen.
Lothar war Tausende Kilometer von seiner Heimat Wien entfernt, und dennoch sah er das Haus vor sich: „Es stand in Wien, an der Ecke der Seilerstätte und der Annagasse, ein Papiergeschäft befand sich im Erdgeschoß.“Wiener von heute erkennen wieder, was Lothar hier beschreibt, das Papiergeschäft Lammer existiert noch. Im Prolog beschreibt er das Eckhaus mit dem namengebenden Steinwappen über dem Haupteingang: ein Barockengel, der in eine Posaune bläst, zugleich werden die Bewohner vorgestellt. Der Roman solle einen „Bilderbogen Österreichs“darstellen, „der den Versuch unternahm, hinter die Fassade zu schauen und mit dem Bild die Schatten zu zeigen.“Das Haus, von dem er hier erzählt, soll das „Haus Österreich“sein, zugleich eine Anspielung auf den alten Namen der habsburgischen Erblande. Die Bewohner des Hauses „wohnten in einem widerspruchsvollen, zwielichtigen, verwinkelten, unsinnig-sinnlichen, herrlich schönen, gefährlichen, im Zentrum stehenden, tief unterkellerten, dämonischen Haus, welches das Haus Österreich ist“.
In dem Haus wohnt über Generationen die gutbürgerliche Wiener Klavierbauerfamilie Alt, ihre Geschichte entwickelt sich bei Lothar um die Historie Österreichs, die Habsburgermonarchie und die Erste Republik. Zäsuren im Familienleben sind auch Einschnitte in der Geschichte Österreichs, von Mayerling bis zum Anschluss 1938. Von einer Horde umherziehender Nationalsozialisten wird das Wappen am Tor schließlich zerschlagen.
Die literarische Bedeutung der kolportagehaften breiten Erzählung ist nicht überragend, die Wirkung des Buches aber ist groß. Lothar selbst sagte, er habe es „für Menschen geschrieben, die Österreich überhaupt nicht oder aus klischierten Vorstellungen kannten“, präsentiert aber „den Österreicher“selbst sehr stereotyp. Der Nationalsozialismus in Wien erscheint als Werk einiger missratener Jugendlicher, nur Hermann Alt, der jüngere Sohn und das schwarze Schaf in der Familie, läuft den Nazis nach, dem „G’sind’l“, wie die Mutter schimpft.
Eingenommen wurde die Stadt im März 1938 durch Lärm, den der Flugzeuge, der Lautsprecher mit Hitler-Reden, ein ohrenbetäubender, unangenehmer Krach, sodass sich von selbst ergibt: Kein Wiener kann das so gewollt haben. Die deutschen Soldaten pflanzen sich vor Kulturdenkmälern auf, bauen barbarisch eine Feldküche vor der Hofburg (!), alles so grob, ungebildet, unkultiviert, unösterreichisch eben. Die Nazis wis- sen nicht, was sich gehört. Hitler, der „Anstreicher“, „der Kerl, der in der Nase bohrt“, der „Jüngling mit den schlechten Zähnen, der mit uns die Akademieprüfung g’macht hat“, wird selten beim Namen genannt. Das Hakenkreuz wird mit einer Spinne verglichen. Das unschuldige Österreich ist im Netz gefangen. Man ist kein Held, hört aber illegal Radiosender.
„Niemand bleibt verschont“
Lothar beschwört das „tausendjährige Österreich“im Gegensatz zu dieser Barbarei. Bemerkenswert ist, dass er zwei Jahre vor den großen Ostarrichi-Feiern des Jahres 1946 dieses Motiv eingesetzt hat wie später die Regierung in Wien. Der Exilant Lothar sah Kulturarbeit als Instrument psychologischer Kriegsführung, seine Intention, die Alliierten daran zu erinnern, „was Österreich ist“, ging auf. In den Rezensionen übernahmen amerikanische Zeitungen zum Großteil die Ansicht, Österreich sei das erste Opfer von Hitlers Expansionspolitik geworden. In den Jahren danach wurden 300.000 Exemplare des Buchs verkauft, auch in England.
Lothar kam nach dem Krieg als US-Kulturoffizier nach Wien zurück, 1948 entstand auf Anregung des Regisseurs Karl Hartl und der Schauspielerin Paula Wessely die Verfilmung des Romans, zuvor war eine deutsche Buchausgabe mit der hohen Startauflage von 30.000 Exemplaren erschienen. Die filmische Handlung konzentriert sich vor allem auf die Zeit der Monarchie, der Zweite Weltkrieg wurde in drei Minuten abgehandelt, die gezielte Verfolgung bestimmter Gruppen innerhalb des Systems blieb unerwähnt: „Niemand bleibt verschont, niemand und nichts.“
Die Besetzung war hochkarätig, die Brüder Hörbiger spielten mit, Hans Holt, Fred Liewehr, Oskar Werner, Maria Schell. Die Überlegung, dass beim österreichischen Publikum nach 1945 die Kaiserzeit besser ankam als Not und Schrecken des Krieges, lag auf der Hand. So entstand ein „Österreichfilm“, der die große monarchistische Tradition wieder aufleben ließ und implizit am Opfermythos mitwirkte. Die Rolle der Henriette Alt, einer Halbjüdin, die am Tag des Anschlusses Selbstmord begeht, spielte Paula Wessely, für deren Rehabilitierung sich Lothar einsetzte. Angriffe wegen ihrer Rolle in dem NS-Propagandafilm „Heimkehr“wies er zurück. Sie sei gezwungen worden, „sich zu diesem Machwerk herzugeben“. Die Abweichungen zum Roman fielen natürlich auf. Kontroverse politische Schlüsselpassagen wurden im Film ausgespart: Ein Spiegel des Stimmungswechsels in Österreich, die Bereitschaft zum Vergessen war gewachsen.