„Der Industriearbeiter ist tot“
Analyse. Die Digitalisierung bringt die Industrie zum Verschwinden und zwingt uns dazu, das Gesellschaftsmodell neu aufzustellen, sagt der Chefökonom der DekaBank, Ulrich Kater.
Alpãach. „Jetzt erklärt uns Kater wieder in einer Stunde die Welt“, sagt Friedrich Rödler, Aufsichtsratsvorsitzender der Erste Group, und schmunzelt. Nicht nur er, sondern auch viele andere Zuschauer waren gestern in den Böglerhof nach Alpbach gekommen, um zu hören, was der Chefvolkswirt der DekaBank beim jährlichen „Kater-Frühstück“in Alpbach zu sagen hat. Schließlich hat Kater in den vergangenen Jahren viele Entwicklungen richtig vorhergesagt.
Zehn Jahre ist der Ausbruch der Finanzkrise nun her. „Ist also nun alles wieder in Ordnung?“, fragt Kater deshalb und antwortet: „Das Finanzsystem ist in einer etwas höheren Umlaufbahn, da wird es auch nicht so schnell abstürzen. Klar, das System hat sich verändert, aber es läuft.“Mehr sei zur Finanzkrise nicht weiter zu sagen, findet er. „Dass wir zu viel Schulden und kein Wachstum mehr haben, dass die Inflation fehlt, das ist schon 1000-mal gesagt. Die Finanzkrise ist durchanalysiert bis zum Letzten.“
Tiefgreifende politische Veränderungen
Vielmehr beschäftigt Kater da schon, was sich in der Politik tut. „Wir leben in einer vollkommen veränderten Politiklandschaft im Vergleich zu vor zehn Jahren. Die Veränderungen sind tiefgreifend. Denken Sie an Brexit, an Trump, aber auch an Ihr Land.“Bei den Nationalratswahlen 2006 habe der industrialisierte Teil, der Südosten des Landes, für die SPÖ votiert und die ländlich geprägteren Gebiete für die ÖVP. „Vergleichen Sie das mit der jüngsten Bundespräsidentenwahl, da sind ja nicht mal mehr die Farben gleich“, sagt der Volkswirt. „Natürlich lassen sich die beiden Wahlen nicht vergleichen. Dennoch ist es bezeichnend, dass es die etablierten Parteien nicht mal mehr in die letzte Runde geschafft haben.“Für Kater nur ein Beispiel für viele andere weltweit. „Wir lösen uns von den politischen Systemen des 20sten Jahrhunderts und gehen in neue.“Und dafür hat er eine Erklärung: „Das vergangene Jahrhundert war noch stark von der Industrialisierungsgeschichte geprägt, von dem Gegensatz von Arbeit und Kapital, von dem Kampf der Gewerkschaften – und von den dazu gehörenden politischen Bewegungen.“In den Industriezentren, also den Städten, wurde deshalb tendenziell sozialdemokratisch gewählt. „Aber nun gibt es in den Städten neue Entwicklungen, neue Abbilder der Wirtschaft, nämlich die moderne Dienstleistungsindustrie. Und die Profiteure der Digitalisierung sitzen in den Städten.“Und sie treffen womöglich ihre Wahlentscheidungen nach an- deren Kriterien. Diese sozioökonomischen Veränderungen spiegeln sich in den politischen Systemen wider. Ihre Neufindung habe gerade erst begonnen. Bei den Wahlen im Oktober könne man das hierzulande vielleicht schon beobachten, sagt er.
Noch eine Veränderung wittert Kater. „Die Machtverhältnisse verschieben sich auf diesem Planeten. Die Industrieländer werden zurückgedrängt. Die bevölkerungsstärkeren Regionen werden gefühlt mächtiger. Zu ihnen zählen Europa und die USA eben nicht. Und die ökonomische Entwicklung der Schwellenländer setzt die alten Platzhirsche in der Weltwirtschaft unter Druck. Deshalb kommt diese Wagenburg-Mentalität auf, und zwar nicht nur in Österreich und nicht nur in Deutschland, sondern überall.“
„Wohlstand für alle ist nicht mehr“
Für das 21. Jahrhundert ökonomisch bestimmend ist für Kater weiters „der Tod des Industriearbeiters, das Verschwinden der Industrie. Ihre Anteile an den Volkswirtschaften sind weltweit rückläufig. Grund dafür sind die neuen Technologien und die Automatisierung.“Das ist auch in China nicht anders. Das Land sei zwar in den vergangenen 20 Jahren zur „Fabrikshalle der Welt“geworden, nun aber könnte die Produktion dort nur mehr gesteigert werden, „wenn man die Leute in den Fabriken wegrationalisiert, um günstiger zu werden. Und genau auf diesem Weg befinden sich die Chinesen auch.“
Das heißt, viele Arbeitsplätze werden verloren gehen. Was darauf folgt, weiß auch Kater nicht. „Wie wir in den digitalisierten Welten das Gesellschaftsmodell neu aufstellen sollen, dafür gibt es noch keine Blaupause. Wir sind erst in der Phase der Diagnose.“
Wichtig ist aus Sicht Katers, dass die gesellschaftliche Rolle der Industrie von anderen Bereichen übernommen wird. „Die Frage ist, wie wir Masseneinkommen für Leute, die nicht überdurchschnittlich ausgebildet sind, bereitstellen werden? Wie kann die Beteiligung aller am Wohlstand unter den neuen Bedingungen noch umgesetzt werden?“Katers Antwort: „Wohlstand für alle ist eben nicht mehr. Da kann keiner etwas dafür.“
Das Grundeinkommen hält Kater nämlich nicht für die Lösung. „Die Idee ist auch komplett unausgegoren. Das sehen Sie allein daran, dass sie von völlig unterschiedlichen Enden des politischen Spektrums unterstützt wird. Einerseits den Linken, die es für das Paradies halten. Andererseits von den Libertären. Sie wollen den Staat abschaffen und sehen im Grundeinkommen das Vehikel dazu. Jeder kriegt demnach einen Betrag, aber danach hat er mit dem Staat nichts mehr zu tun. Beides überzeugt mich nicht.“