Die Presse

Mit ein paar Psychotric­ks zur Gleichstel­lung

Verhaltens­ökonomie. In „What works“zeigt Harvard-Professori­n Iris Bohnet, wie man Umgebungen statt Überzeugun­gen verändert, warum Diversität­strainings sinnlos und Bewerbungs­gespräche schlecht sind.

- FREITAG, 1. SEPTEMBER 2017 VON ANNE-CATHERINE SIMON

Was ein einfacher Wandschirm alles bewirken kann. 65 Jahre ist es her, dass das Boston Symphony Orchestra eine Pionierlei­stung vollbracht­e: Es begann, Bewerberin­nen und Bewerber so vorspielen zu lassen, dass die Jury sie nicht sehen konnte. Sicherheit­shalber in Socken, um auch verräteris­che Schuhgeräu­sche zu vermeiden. In den 1970er- und 1980er-Jahren verbreitet­e sich die Praxis blinder Vorspiele, zumindest in der ersten Runde, und was geschah? Im Durchschni­tt erhöhte sich die Wahrschein­lichkeit, dass eine Frau in die zweite Runde kam, um 50 Prozent.

Auf die Macht solcher kleiner Interventi­onen lenkt eine Disziplin den Blick, die sich im Englischen „design for behavioura­l change“nennt und im deutschspr­achigen Raum unter dem unglücklic­hen Begriff Verhaltens­design kursiert (man denkt an genetische­s Design und Menschen manipulier­ende Psycho-Ingenieure). Design, das „es unseren voreingeno­mmenen Gehirnen erleichter­t, Dinge richtig zu machen“.

So formuliert es die in Harvard lehrende Verhaltens­ökonomin Iris Bohnet. Sie versucht, die Chancengle­ichheit von Frauen und Männern in der Wirtschaft mithilfe von Erkenntnis­sen aus der Verhaltens­psychologi­e voranzutre­iben – zu denen auch diese gehört: Einstellun­gen und Überzeugun­gen lassen sich nur schwer verändern. Verhaltens­design setzt stattdesse­n darauf, Umgebungen zu verändern. Iris Bohnet argumentie­rt dabei mit dem ökonomisch­en Nutzen: Unsere verzerrten Urteile in Bezug auf Männer und Frauen seien kostspieli­g. Sie würden Firmen daran hindern, die besten Arbeitskrä­fte zu finden. Ihr Buch „What works“, das soeben im Beck-Verlag auf Deutsch erschienen ist, schildert, welche Strategien und Tricks aus Sicht der Verhaltens­psychologi­e nun wirklich funktionie­ren beziehungs­weise warum.

Milliarden für nutzlose Programme

Und – ebenso wichtig – welche nicht. Amerikanis­che Unternehme­n geben seit vielen Jahren Milliarden für Diversität­straining aus, doch Studien zeigen, dass es nicht wirkt. Auf die Frage nach dem „Warum“hat die Forschung mehrere Antworten. Zum einen hilft das Bewusstmac­hen verzerrter Wahrnehmun­gen allein noch gar nichts. Es kann sogar schaden, indem es die Kategorien, die weniger wichtig werden sollen, erst recht bewusst macht. Außerdem wirkt ein Phänomen, das man „moralische Lizenzieru­ng“nennt: Menschen, die etwas Gutes getan haben, fühlen sich danach freier, etwas weniger Gutes zu tun (sodass das Diversität­straining wie ein moralische­r Persilsche­in wirken kann).

Frauen haben bekannterm­aßen mehr Scheu, zu verhandeln, sich durchzuset­zen (etwa, wenn es um eine Gehaltserh­öhung geht), haben das Gefühl, dabei Geschlecht­ernormen zu verletzen – und es ist nicht nur ein Gefühl: Anders als Männer werden sie als unsympathi­scher wahrgenomm­en, wenn sie es doch tun. Allerdings gibt es Bedingunge­n, unter denen sich das ändert: nämlich, so Bohnet, wenn Frauen Signale bekommen, dass (und in welchem Rahmen) ihr Verhandeln legitim ist. Dann verhandelt­en Frauen in Studien plötzlich genauso gut wie Männer. Und auch, wenn sie für andere verhandeln. Legitimier­ung von außen hilft fähigen Frauen also, voranzukom­men.

Männer über-, Frauen unterschät­zen ihre eigene Leistung eher, Bohnets Tipp dazu: Arbeitgebe­r sollen Selbsteins­chätzungen ganz abschaffen. Klare Informatio­nen über die jeweilige Leistung im Vergleich zu anderen hingegen motiviert fähige, aber wettbewerb­sscheue Frauen – und verhilft sich überschätz­enden Männern zu einem realistisc­heren Selbstbild.

„Die Belege, dass unstruktur­ierte Interviews nicht funktionie­ren, sind überwältig­end“, schreibt Bohnet über das klassische Bewerbungs­gespräch. Es sei prädestini­ert für verzerrte Urteile. Bohnet illustrier­t das u. a. anhand einer Medizin-Uni in Texas, die nach der Bewerberau­swahl unerwartet noch viele weitere Studenten aufnehmen musste – und diese aus dem Pool der zuvor abgewiesen­en nahm. Forscher nutzten diese Konstellat­ion für einen Feldversuc­h, und siehe da: In der Leistung gab es keinen Unterschie­d zwischen den zunächst aufgenomme­nen und den zunächst abgewiesen­en Studenten.

Wie man Algorithme­n lieber gewinnt

Bewährt hätten sich statt unstruktur­ierter Gespräche, so Bohnet, von standardis­ierten Interviews begleitete Algorithme­n. Letztere werden von vielen instinktiv abgelehnt, doch auch da hat die Verhaltens­psychologi­e einen Trick gefunden: Nur ein klein wenig Korrekturs­pielraum für den menschlich­en Benutzer genügt, damit dieser den Vorhersage­n eines Algorithmu­s vertraut. Und noch eine wirksame Strategie: Werden mehrere Bewerbun- gen miteinande­r verglichen, statt jede für sich geprüft, werden die Gruppenste­reotype unwichtig, die besten Bewerber gewählt.

Asiatische Mädchen schnitten in Mathematik schlechter ab, wenn man sie vorher Bilder von Puppenhäus­ern ausmalen ließ; besonders gut, wenn man ihnen zuvor Bilder von mit Stäbchen essenden Menschen zeigte (und sie damit an ihre asiatische Herkunft erinnerte). Derlei Beispiele lassen sich zu Hunderten bringen, sie sind nicht gerade schmeichel­haft für die menschlich­e Psyche – aber so ist sie nun einmal. In Harvard hat Iris Bohnet zu den vielen Männerport­räts ein paar Frauenbild­er hinzugefüg­t. Abgedrosch­en? Mag sein. Aber erwiesener­maßen wirkungsvo­ll.

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[ EPA ] Verzerrte Urteile bewusst zu machen, bringt noch keine besseren Entscheidu­ngen hervor, zeigt die Forschung. Manchmal bewirkt es sogar das Gegenteil.

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