Die Presse

„Ich bin romantisch­er als Ulrich Seidl“

Kino. In „Die Liebhaberi­n“erzählt der nach Argentinie­n ausgewande­rte Salzburger Lukas Valenta Rinner von einer Putzfrau, die ein Nudistenca­mp entdeckt. Mit der „Presse“sprach er über Aufbrüche ins Ungewisse und sein Faible fürs Sonderbare.

- VON MARTIN THOMSON

Er sei mit einer rebellisch­en Haltung aus Österreich weggegange­n, gesteht Lukas Valenta Rinner. Hinaus aus dem bürgerlich­en Muff. Hinein ins Abenteuer. Nicht um Urlaub zu machen, sondern um Filmemache­r zu werden. Da war er 18. Nach ein paar Jahren in Spanien wagte er schon den nächsten Sprung, zog nach Argentinie­n, studierte dort Regie, gründete eine Produktion­sfirma und sorgte 2015 mit seinem Spielfilmd­ebüt „Parabellum“für Aufsehen. Ein junger, aufstreben­der Regisseur, den man im Auge behalten müsse, schrieb damals „Variety“. Auf der heurigen Diagonale gewann der gebürtige Salzburger dann mit seinem zweiten Werk, „Die Liebhaberi­n“, den Wettbewerb.

Die schweigsam­e Belen´ nimmt darin eine Stelle als Putzkraft in einem geschlosse­nen, permanent bewachten Wohnkomple­x für Reiche in Buenos Aires an. Dort wird sie entweder übersehen, weil als Teil der Einrichtun­g wahrgenomm­en, oder muss ungefragt als Kummerkast­en für die Hausherrin herhalten. Einen Ausgleich zu diesem Leben findet sie in dem nebenan gelegenen FKKClub für Natur- und Sexliebhab­er – bis es zwischen den Nachbarn irgendwann zum folgenschw­eren Konflikt kommt.

„Komfort langweilt mich“

Der Film mutet österreich­isch genug an, um einen vergessen zu lassen, dass er am anderen Ende der Welt spielt. Rinner betont, dass ihn die Kino- und Literaturg­eschichte Lateinamer­ikas genauso geprägt habe wie die Europas. So sehr, dass er inzwischen kaum mehr wisse, was woher den Umweg in seine Arbeiten genommen habe: „Das ist so vermischt, wie auch meine Biografie vermischt ist.“Für diese Prozesse der Akkulturat­ion interessie­rt sich Rinner besonders. Und für Brüche aller Art: etwa in Europa, wo der politische Scheinkons­ens zunehmend am Bröckeln sei. Oder in seinen Figuren, die aus ihren alten Leben wie aus Kerkern ausbrechen. Der Aufbruch ins Ungewisse ist auch sein künstleris­ches Credo. „Komfort langweilt mich“, merkt er selbstbewu­sst an.

Dazu passt auch, dass er es sich damals nicht gemütlich machte, als er in Buenos Aires ankam, sondern das Niemandsla­nd erkundete, das sich um das Zentrum der Stadt legt. Dort, wo nun auch „Die Liebhaberi­n“spielt, habe sich im Zuge der Wirtschaft­skri- se von 2001 die Provinz in ein Armenviert­el verwandelt, berichtet er. Veränderun­gen und Verwandlun­gen sind Lieblingst­hemen von Rinner. Vom braven Normalbürg­er zum Krieger. Vom schüchtern­en Hausmädche­n zur Revolution­sanführeri­n. Die Dramaturgi­e entstehe bei ihm weniger aus dem Dialog oder der Handlung, sondern aus dem, was der Körper des Akteurs an innerliche­n Wandlungen nach außen dringen lässt. Umbrüche, die sich in seinen Filmen vornehmlic­h in Räumen vollziehen, im stetigen Wechsel zwischen Ankunft, Aufenthalt und Verlassen.

Philanthro­pie und leiser Humor

Die Landkarte seiner Wahlheimat liest er soziologis­ch und moralisch – sucht sie nach blinden Flecken im normierten Sichtfeld ab. Ein paramilitä­risches Trainingsl­ager, das zugleich als Wellness-Oase fungiert, wie in „Parabellum“. Ein Nudisten- und Swingerres­ort im Wald, in dem sich die Idee von freier Liebe institutio­nalisiert hat, wie in „Die Liebhaberi­n“. Mit einer Gated Community nebenan, die sich als übersteige­rtes Sinnbild für die egoistisch­e Selbstvers­chanzung der zeitgenöss­ischen Bourgeoisi­e lesen lässt. Lebensräum­e wie Symptome einer Entfremdun­g, die immer absurdere Blüten treibt.

Obwohl ihn das Gesellscha­ftliche erst fasziniert, wenn es sich auf Polaritäte­n zu- spitzt, ist Rinner das Wohlergehe­n seiner mitunter von Laien verkörpert­en Figuren aber niemals egal. Sein Blick auf die Verhältnis­se mag unerbittli­ch sein – sein Blick auf die Menschen ist es nicht. „Ich bin romantisch­er als Ulrich Seidl“, mit dem er ob seines Faibles für sonderbare Milieus und flächige Tableaus regelmäßig verglichen wird. Er versehe seine Fiktionen zwar ebenfalls mit dokumentar­ischen Elementen, aber doch stehe bei ihm eine andere Politik dahinter, fügt er hinzu. Das stimmt. Sie ist wärmer, philanthro­pischer. Auch sein Humor ist leiser. „Ich inszeniere eher still.“Ruhe, Staunen, Starren sind die beherrsche­nden Momente. Seine Einstellun­gen dauern an, bis den Körpern und Realitäten vor der Kamera etwas entweicht. Ein Augenblick der Nacktheit. Aber so, dass man sich darüber wundert, im unbekleide­ten Zustand nicht noch nackter werden zu können.

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[ Filmgarten] Nur ein Zaun trennt einen bewachten Wohnkomple­x für Reiche von diesem Paradies für Nackte. Die Nachbarsch­aft bleibt nicht harmonisch.

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