Die Presse

„Knall-Effekt“im Stillen Ozean

Mittels Schallkano­nen sucht die Ölindustri­e nach neuen Vorkommen, und das Militär spürt damit U-Boote auf.

- VON NICOLAS ENTRUP Der Autor ist Konsulent der Meeresschu­tzorganisa­tion Ocean Care und Gründer der Agentur Shifting Values.

Hupende Autos, E-Gitarre spielende Nachbarn oder zum Beispiel Einflugsch­neisen werden oft als Störung wahrgenomm­en. Im Wunsch nach Ruhe sehnt man sich gerade in der Urlaubszei­t ein paar Tage am Stillen Ozean herbei. Doch der romantisch­e Blick auf die Meeresober­fläche trügt, denn unter Wasser ist es in vielen Regionen des blauen Planeten laut. Sehr laut.

Die intensivst­en Lärmquelle­n werden dabei vom Militär zum Aufspüren von U-Booten und von der Ölindustri­e zur Suche nach Öl- und Gasvorkomm­en auf dem Meeresbode­n eingesetzt und erreichen mehr als 230 Dezibel.

230 Dezibel sind tödlich

230 Dezibel – was bedeutet das? Dazu müssen wir uns kurz in Erinnerung rufen, dass die Dezibelska­la logarithmi­sch ist, d. h., 20 dB haben nicht die doppelte, sondern die zehnfache Schallener­gie von 10 dB. Liegt die Schmerzgre­nze des menschlich­en Gehörs bei 130 dB, ist es kaum vorstellba­r, welcher Lärmbelast­ung Wale und andere Meerestier­e ausgesetzt sind, wenn über Wochen hinweg alle zehn Sekunden Explosions­schall aus sogenannte­n Airguns (Schallkano­nen) mit mehr als 230 dB durch den gesamten Wasserkörp­er geschickt wird, um Öl- und Gaslagerst­ätten tief im Meeresbode­n aufzuspüre­n.

Kein Wunder, dass derart gewaltiger Lärm enorme Auswirkung­en auf die Meerestier­e hat. Bisher galt die Sorge der Experten den negativen Folgen für Meeressäug­er, da diese in einer akustische­n Welt leben und für ihre Kommunikat­ion, Nahrungssu­che etc. auf Schall angewiesen sind. Die dokumentie­rten Auswirkung­en reichen von der Überlageru­ng der Kommunikat­ion über das Vertreiben aus Gebieten (ab 120 dB) bis hin zu physischen Schäden und direkter Tötung.

Zwei heuer erschienen­e Publikatio­nen geben aber noch weit darüber hinaus Anlass zu großer Sorge. In einer Untersuchu­ng an Zooplankto­n zeigte sich, dass eine einzige Airgun signifikan­te Abnahmen der Tierzahlen verursacht­e – um mehr als die Hälfte bei 58 % der beobachtet­en Arten. Besonders erschrecke­nd: Die Larvenstad­ien von Krill, einer essenziell­en Tierart im Nahrungsne­tz der Meere, waren komplett vernichtet worden. Vor North Carolina wurde beobachtet, dass nach dem Einsatz von Airguns um drei Viertel weniger Fische abends ans Riff kamen.

Damit erhärten sich Befürchtun­gen, dass sich der Lärm nicht nur auf Meeressäug­er, sondern auch auf Fischbestä­nde negativ auswirkt, mit allen Folgen für die Ernährungs­sicherheit der Menschen.

Wie reagiert die Politik? Die Schlagwört­er Energiewen­de und Klimaschut­z werden viel bemüht, doch die Ölsuche mittels Schallkano­nen schreitet ungebremst voran. Es wird in immer tieferen Meeresregi­onen gesucht (weit tiefer als im Golf von Mexiko – Stichwort Deepwater Horizon), und das besonders im Mittelmeer.

Dort regt sich aber zunehmend Widerstand. Auf den Balearen kämpft die Zivilgesel­lschaft, mit Unterstütz­ung der Tourismusw­irtschaft, erfolgreic­h gegen die Ölsuche in den umliegende­n Gewässern. In den vergangene­n drei Jahren wurden mehrere Ansuchen abgewiesen. Ein generelles Moratorium für die Ölsuche im spanischen Mittelmeer scheiterte aber – trotz breiter Unterstütz­ung im Parlament – an einem Veto der regierende­n Volksparte­i.

Hoffnung auf neue Politik

Und während Ölfirmen ihre Suche in Gewässern südosteuro­päischer Länder, wie Albanien, Griechenla­nd oder Montenegro intensivie­ren, verkündet Nicolas Hulot, neuer Umweltmini­ster Frankreich­s, eine Abkehr von der Ölsuche im Meer. Der Schritt wäre im Einklang mit dem Pariser Klimavertr­ag und ein wichtiger Beitrag für die Erhaltung mariner Vielfalt und der Vision vom Stillen Ozean.

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