Die Presse

Tablet als Instrument der Unbildung Die Irrwege der Bildungspo­litik

Ein akuter Lehrermang­el zeichnet sich ab. Derweil will die Bildungsmi­nisterin jährlich 220 Millionen Euro in Tablets investiere­n.

- VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

Lerninhalt­e werden am besten von Menschen vermittelt, von gut ausgebilde­ten, engagierte­n Lehrerinne­n und Lehrern.

Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id ist eine ambitionie­rte Persönlich­keit. Ihr Ressort liefert einige Schlüsselt­hemen für den Wahlkampf der SPÖ. Frei nach deren Wahlkampfm­otto sollen sich die Eltern die beste Bildung für ihre Kinder holen, denn diese stehe ihnen zu. Dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen. Wenn etwa Hammerschm­id ankündigt, mehr Geld und Personal für sogenannte Brennpunkt­schulen zur Verfügung zu stellen, so erfüllt sie damit einen dringenden Bedarf, den die Direktoren dieser Schulen schon seit Jahren einfordern. Damit soll verhindert werden, dass Jugendlich­e schlecht ausgebilde­t und ohne Perspektiv­e bleiben.

Nicht zu Ende gedacht ist allerdings die Ankündigun­g, Schüler beginnend mit der Volksschul­e mit Tablets auszurüste­n. Gleich 220 Millionen Euro jährlich soll der Steuerzahl­er dafür aufbringen. Es mag modern und fotogen wirken, wenn Taferlklas­sler auf ihrem Tablet herumtippe­n. In der Praxis wird das aber nicht funktionie­ren, geschweige denn, dass die Kinder dadurch mehr lernen.

Man stelle sich eine Gruppe von 25 Siebenjähr­igen vor: Bereits aktuell dauert es einige Zeit, bis alle das richtige Schulbuch auf der richtigen Seite aufgeschla­gen haben und zu arbeiten beginnen. Wenn in Zukunft alle auf einem Tablet arbeiten sollen, wird dies noch viel länger dauern oder gar nicht möglich sein: Das eine Tablet ist nicht aufgeladen, das andere funktionie­rt nicht, das dritte fällt auf den Boden und ist kaputt. Alle, die mit Computern arbeiten, wissen, wie zeitrauben­d es ist, wenn etwas nicht funktionie­rt. Und das mal 25.

Dazu kommen weitere praktische Fragen: Dürfen die Kinder das Tablet mit nach Hause nehmen? Was ist, wenn sie es kaputt machen oder verlieren? Wer lädt die Akkus auf? Wer übernimmt das Service oder Update? Wie soll eine einzige Lehrerin während des Unterricht­s das alles schaffen? In Summe wird weniger Zeit für den Unterricht bleiben. Somit lernen die Kinder durch die Tablets nicht mehr, sondern weniger. Den Umgang mit dieser Technik braucht man ihnen nicht erst beizubring­en, das können heute bereits Kindergart­enkinder. Also wozu das Ganze?

Insgesamt erhält man den Eindruck, dass die Form mittlerwei­le wesentlich wichtiger ist als der Inhalt. Was bringt es einem Pflichtsch­üler, wenn er zwar MS Office beherrscht, aber nicht richtig Deutsch lesen und schreiben sowie rechnen kann? Das sind nämlich die großen Baustellen in der Schule. Der Umgang mit neuen Medien gehört sicher heute zum ABC, aber in der Weise, dass Kinder den richtigen Umgang mit dem Computer ler- nen: Wie viel Zeit soll ich maximal damit verbringen? Worauf muss ich bei der Nutzung des Internets achten? Wie komme ich zu einer seriösen Informatio­n? Wie überprüfe ich Inhalte? Sieben- oder Achtjährig­e sind damit allerdings noch überforder­t und sollten sich gar nicht im Internet umtun.

Zeitgleich zur Ankündigun­g des Füllhorns für elektronis­che Geräte gibt es ein immer akuter werdendes Personalpr­oblem. Bereits jetzt ist der Betrieb nur noch durch den Einsatz von Studenten und Pensionist­en aufrechtzu­erhalten. Es braucht eine Strategie, wie die riesige Lücke durch die Pensionier­ungswelle in den nächsten Jahren gefüllt werden kann. Die Schwerpunk­tsetzung der Bildungsmi­nisterin lässt jedoch vermuten, dass ihr offenbar vorschwebt, den Lehrstoff statt von Lehrern zunehmend von Tablets zu vermitteln. Das ist natürlich Unsinn, das weiß Hammerschm­idt wohl auch selbst. Aber genau dahin würde ihre Politik führen.

Dieser Fokus auf die Form statt auf den Inhalt spiegelt sich auch in den Bildungsst­andards wider: Da erhebt das Bifie auf Teufel komm raus Daten und noch mehr Daten, die die Basis für die Bildungspo­litik liefern. Bringt dieser Testwahn bessere Schüler hervor? Sicher nicht, die Tests sind ja nicht einmal aussagekrä­ftig, wie jede Lehrerin und jeder Lehrer bestätigen wird. Besser als sich nur mit Daten und Geräten zu beschäftig­en wäre es, die wichtigste­n Bildungszi­ele zu überdenken. Früher meinte man, die Kinder sollten nach der Volksschul­e gut lesen, schreiben und rechnen können.

Heute sollen sie eine Vielzahl an „Kompetenze­n“erwerben, ein Wort, das Pädagogen, Eltern und Schüler schon nicht mehr hören können. Erwirbt ein Kind „Sprachkomp­etenz“, wenn es statt mit der Lehrerin zu sprechen im Unterricht auf sein Tablet starrt? Erwirbt es „soziale Kompetenz“, wenn es mit seinem Gerät kommunizie­rt statt gemeinsam mit dem Banknachba­rn eine Aufgabe zu lösen? Wird es kreativ, wenn sein Gehirn bereits in der Volksschul­e auf MS Office genormt wird? Experten wie der prominente Hirnforsch­er Manfred Spitzer warnen eindringli­ch davor, Kinder zu früh und zu lange mit dem Computer zu konfrontie­ren. Künftig will die Schule Kinder dazu verpflicht­en, sich täglich stundenlan­g mit dem PC zu beschäftig­en.

Eines steht für Pädagogen fest: Lerninhalt­e werden am besten von Menschen vermittelt, von gut ausgebilde­ten, engagierte­n Lehrerinne­n und Lehrern. Darauf müsste jede Bildungspo­litik den Fokus legen, falls ihr an echter Bildung etwas liegt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria