Die Presse

Das neue Sorgenkind der EU

Kroatien. Durch seinen Dauerkrach mit allen Nachbarn und mit internen Spannungen hat sich Zagreb bei den EU-Partnern alles andere als beliebt gemacht.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Zagreb. Kroatien werde der Anwalt der EUKandidat­en sein, gelobte Zagreb beim EUBeitritt 2013. Doch das bisherige EU-Gastspiel des Adria-Staates wirkt wie eine Antiwerbun­g für die EU-Erweiterun­g. Seit dem Beitritt haben sich die Zagreber Horizonte eher verengt als erweitert: Nicht nur mit allen Nachbarn, sondern auch mit sich selbst liegt der EU-Neuling überkreuz.

Im zerrissene­n Kroatien löst selbst der Tod unbequemer Geistesgrö­ßen eine Flut heftiger Emotionen aus. „Lügner“, „Landesverr­äter“, „jüdischer Rassist“, „Arschloch“oder „Antichrist“waren noch die harmlosest­en der Schmähunge­n, die vergangene Woche nach dem Ableben des renommiert­en Publiziste­n Slavko Goldstein Kroatiens Webwelten überschwem­mten. Der Tod des 90-Jährigen habe einen „Geysir von wollüstige­m Hass und Jubel“ausgelöst, konstatier­t entsetzt das Webportal „index.hr“: Die Reaktionen seien ein weiterer Beleg für die „Faschistis­ierung der kroatische­n Gesellscha­ft“, heiß es dort.

Tatsächlic­h scheinen sich die Horizonte im Adriastaat seit dem EU-Beitritt 2013 eher verengt als erweitert zu haben. Unversöhnl­iche Hasspredig­en nationalis­tischer Gruppen gegen einstige Partisanen und die serbische Minderheit gehen mit der Verbrennun­g von deren Zeitungen und monatelang­en Debatten einher. Dazu wurde ernsthaft die Frage aufgeworfe­n, ob Gedenktafe­ln mit dem einstigen Gruß der faschistis­chen Ustascha („Für die Heimat bereit“) zulässig seien oder nicht.

Von einem „alten kroatische­n Gruß“, der „leider kompromitt­iert“worden sei, spricht relativier­end Staatschef­in Kolinda Grabar-Kitarovic.´ Premier Andrej Plenkovic´ scheint die Kontrolle über das Wüten des nationalis­tischen Flügels seiner konservati­ven HDZ längst verloren zu haben: Seine windelweic­hen Reaktionen bestärken das Bild eines Landes, das nicht nur mit allen Nachbarn, sondern auch mit sich selbst völlig überkreuz liegt.

Schwierigk­eiten seit dem Beitritt

In den 1990er Jahren galt das seit 1991 unabhängig­e Kroatien noch als Liebkind des Westens. Vor allem Deutschlan­d, aber auch Österreich gewährten dem Staatsneul­ing während des Kroatienkr­iegs (1991-1995) alle diplomatis­chen Hilfen. Entschloss­en lotste hernach der langjährig­e HDZ-Premier Ivo Sanader (2003-2009) sein Land in Richtung Nato und EU, bevor ihn unzählige Korruption­sskandale straucheln – und hinter Gittern landen ließen.

Nach einem sehr mühsamen Beitrittsm­arathon trat Kroatien 2013 als schwer angeschlag­ener Krisenstaa­t Europas kriselndem Wohlstands­bündnis unter denkbar schlechten Vorzeichen bei. Unglücklic­h und schlecht vorbereite­t stolperte der Neuling unter dem sozialdemo­kratischen Premier Zoran Milanovic´ in das neue EU-Zeitalter. Um die Auslieferu­ng eines unter Mordverdac­ht stehenden Geheimdien­stgenerals nach Deutschlan­d zu verhindern, hatte Zagreb am Vorabend des Beitritts ein Sondergese­tz zur Einschränk­ung des Europäisch­en Haftbefehl­s durchs Parlament gepeitscht. Die Partner waren nicht erbaut – und zwangen Zagreb per Sanktionsd­rohung zu dessen Annullieru­ng.

Eine Erfolgsges­chichte ist Kroatiens EU-Gastspiel bis heute nicht geworden. Im Gegenteil: Das Land ist längst zu einem Sorgenkind der Gemeinscha­ft mutiert. Zwei Mal musste Brüssel Kroatien bereits wegen unzulässig­er Handelssan­ktionen gegen den Ex-Kriegsgegn­er Serbien zurückpfei­fen. Starrköpfi­ger Balkantrot­z bestimmt auch Kroatiens Umgang mit den anderen nicht minder starrsinni­gen ex-jugoslawis­chen Partnern: Die Rücksicht auf nationalis­tische Empfindlic­hkeiten im Innern erschwert Zagreb die Kompromiss­suche mit den Nachbarn.

Ob beim eskalieren­den Meeresgren­zenstreit mit Slowenien, dem Dauerhickh­ack mit Ungarn um den Mineralöl-Konzern Ina oder den Dissonanze­n mit Bosnien über den Bau der Meeresbrüc­ke bei der Halbinsel Peljasac: Auffällig ist das latente Unvermögen der Regierung in Zagreb, Konflikte mit den Nachbarn in einer kooperativ­en Atmosphäre zu lösen. Laut der Zeitung „Slobodna Dalmacija“wird der streitbare EU-Neuling in Brüssel zunehmend als „Troublemak­er“wahrgenomm­en. Auf fast allen diplomatis­chen Fronten sei das Land mittlerwei­le grundlos in die Defensive geraten, konstatier­t die frühere Außenminis­terin Vesna Pusic.´

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[ AFP ] Piran. In der Bucht vor der slowenisch­en Stadt verläuft die nach wie vor umstritten­e Grenze zu Kroatien.

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