Das neue Sorgenkind der EU
Kroatien. Durch seinen Dauerkrach mit allen Nachbarn und mit internen Spannungen hat sich Zagreb bei den EU-Partnern alles andere als beliebt gemacht.
Zagreb. Kroatien werde der Anwalt der EUKandidaten sein, gelobte Zagreb beim EUBeitritt 2013. Doch das bisherige EU-Gastspiel des Adria-Staates wirkt wie eine Antiwerbung für die EU-Erweiterung. Seit dem Beitritt haben sich die Zagreber Horizonte eher verengt als erweitert: Nicht nur mit allen Nachbarn, sondern auch mit sich selbst liegt der EU-Neuling überkreuz.
Im zerrissenen Kroatien löst selbst der Tod unbequemer Geistesgrößen eine Flut heftiger Emotionen aus. „Lügner“, „Landesverräter“, „jüdischer Rassist“, „Arschloch“oder „Antichrist“waren noch die harmlosesten der Schmähungen, die vergangene Woche nach dem Ableben des renommierten Publizisten Slavko Goldstein Kroatiens Webwelten überschwemmten. Der Tod des 90-Jährigen habe einen „Geysir von wollüstigem Hass und Jubel“ausgelöst, konstatiert entsetzt das Webportal „index.hr“: Die Reaktionen seien ein weiterer Beleg für die „Faschistisierung der kroatischen Gesellschaft“, heiß es dort.
Tatsächlich scheinen sich die Horizonte im Adriastaat seit dem EU-Beitritt 2013 eher verengt als erweitert zu haben. Unversöhnliche Hasspredigen nationalistischer Gruppen gegen einstige Partisanen und die serbische Minderheit gehen mit der Verbrennung von deren Zeitungen und monatelangen Debatten einher. Dazu wurde ernsthaft die Frage aufgeworfen, ob Gedenktafeln mit dem einstigen Gruß der faschistischen Ustascha („Für die Heimat bereit“) zulässig seien oder nicht.
Von einem „alten kroatischen Gruß“, der „leider kompromittiert“worden sei, spricht relativierend Staatschefin Kolinda Grabar-Kitarovic.´ Premier Andrej Plenkovic´ scheint die Kontrolle über das Wüten des nationalistischen Flügels seiner konservativen HDZ längst verloren zu haben: Seine windelweichen Reaktionen bestärken das Bild eines Landes, das nicht nur mit allen Nachbarn, sondern auch mit sich selbst völlig überkreuz liegt.
Schwierigkeiten seit dem Beitritt
In den 1990er Jahren galt das seit 1991 unabhängige Kroatien noch als Liebkind des Westens. Vor allem Deutschland, aber auch Österreich gewährten dem Staatsneuling während des Kroatienkriegs (1991-1995) alle diplomatischen Hilfen. Entschlossen lotste hernach der langjährige HDZ-Premier Ivo Sanader (2003-2009) sein Land in Richtung Nato und EU, bevor ihn unzählige Korruptionsskandale straucheln – und hinter Gittern landen ließen.
Nach einem sehr mühsamen Beitrittsmarathon trat Kroatien 2013 als schwer angeschlagener Krisenstaat Europas kriselndem Wohlstandsbündnis unter denkbar schlechten Vorzeichen bei. Unglücklich und schlecht vorbereitet stolperte der Neuling unter dem sozialdemokratischen Premier Zoran Milanovic´ in das neue EU-Zeitalter. Um die Auslieferung eines unter Mordverdacht stehenden Geheimdienstgenerals nach Deutschland zu verhindern, hatte Zagreb am Vorabend des Beitritts ein Sondergesetz zur Einschränkung des Europäischen Haftbefehls durchs Parlament gepeitscht. Die Partner waren nicht erbaut – und zwangen Zagreb per Sanktionsdrohung zu dessen Annullierung.
Eine Erfolgsgeschichte ist Kroatiens EU-Gastspiel bis heute nicht geworden. Im Gegenteil: Das Land ist längst zu einem Sorgenkind der Gemeinschaft mutiert. Zwei Mal musste Brüssel Kroatien bereits wegen unzulässiger Handelssanktionen gegen den Ex-Kriegsgegner Serbien zurückpfeifen. Starrköpfiger Balkantrotz bestimmt auch Kroatiens Umgang mit den anderen nicht minder starrsinnigen ex-jugoslawischen Partnern: Die Rücksicht auf nationalistische Empfindlichkeiten im Innern erschwert Zagreb die Kompromisssuche mit den Nachbarn.
Ob beim eskalierenden Meeresgrenzenstreit mit Slowenien, dem Dauerhickhack mit Ungarn um den Mineralöl-Konzern Ina oder den Dissonanzen mit Bosnien über den Bau der Meeresbrücke bei der Halbinsel Peljasac: Auffällig ist das latente Unvermögen der Regierung in Zagreb, Konflikte mit den Nachbarn in einer kooperativen Atmosphäre zu lösen. Laut der Zeitung „Slobodna Dalmacija“wird der streitbare EU-Neuling in Brüssel zunehmend als „Troublemaker“wahrgenommen. Auf fast allen diplomatischen Fronten sei das Land mittlerweile grundlos in die Defensive geraten, konstatiert die frühere Außenministerin Vesna Pusic.´