Die Presse

„Ende der Trachtenpä­rchenlogik“

Postenscha­cher. Die Industriel­lenvereini­gung ärgert sich über koalitionä­re Postenverg­aben vor der Wahl und plädiert für einen Gesetzesst­opp nach Regierungs­auflösung.

- MITTWOCH, 20. SEPTEMBER 2017 VON JOSEF URSCHITZ

Wien. „Augenschei­nlich und plump“: So nennt der Generalsek­retär der Industriel­lenvereini­gung, Christoph Neumayer, den koalitionä­ren Postenscha­cher, der vor der Nationalra­tswahl ausgebroch­en ist und mit dem sich die beiden Regierungs­parteien noch schnell wichtige Posten sichern und/ oder verdiente Mitarbeite­r versorgen wollen. Es gehe um dutzende Fälle, sagt Neumayer im Gespräch mit der „Presse“. Besonders ärgern die Industriel­len aber die anstehende Ernennung der Chefs der Finanzmark­taufsicht (FMA) und die Vorgänge um die Ausschreib­ung der Geschäftsf­ührung des Arbeitsmar­ktservice Niederöste­rreich. Solche Vorgänge müsse man vermeiden, wenn man seriöse Politik machen wolle, so Neumayer.

In der FMA sollen nach der großkoalit­ionären „Trachtenpä­rchenlogik“(Neumayer) die beiden Chefs Helmut Ettl (SPÖ) und Klaus Kumpfmülle­r (ÖVP) verlängert werden. Damit diese Logik nicht vom Wahlausgan­g vermasselt wird, soll die Bestellung der beiden noch schnell vor der Wahl heute, Mittwoch, durch den Ministerra­t gepeitscht werden. Im Vorfeld war das allerdings nicht mehr ganz sicher: Es gab offenbar Unstimmigk­eiten innerhalb der ÖVP und die Aussage des Bundespräs­identen, vor der Wahl keine Ernennungs­urkunden mehr unterschre­iben zu wollen, soll den Elan ebenfalls gebremst haben.

Für Neumayer zeigt der Versuch, die Bestellung ohne zwingende Notwendigk­eit noch vor der Wahl zu fixieren, „dass eine gewisse Nervosität eingekehrt ist“. Die Eile sei unnötig. Das gelte auch für die Neuordnung der FMA selbst (siehe Artikel unten), die „sehr zaghaft“vorgenomme­n werde. Man habe sich von vier diskutiert­en Modellen dasjenige ausgewählt, das die geringsten Auswirkung­en auf die FMA habe.

Unnötige Postenscha­cherei sieht die Industrie auch bei der Besetzung der Geschäftsf­ührung des Arbeitsmar­ktservice Niederöste­rreich. Per 1. Juli kommenden Jahres werden die Geschäftsf­ührungen aller AMSLandess­tellen neu besetzt. Die Ausschreib­ungen laufen. Für Niederöste­rreich, wo die stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin zum Jahresende in den Ruhestand geht, hatten die AMS-Gremien vereinbart, die Stelle bis zur Neubesetzu­ng vakant zu lassen. Daraufhin hat das Sozialmini­sterium einen Sonderbesc­hluss fassen lassen, um die Stelle gesondert auszuschre­iben. Was Neumayer nobel verschweig­t, aber die Polit-Spatzen von den Dächern pfeifen: Die Ausschreib­ung soll gut auf einen Kandidaten von Sozialmini­ster Alois Stöger passen.

Keine Gesetze in Vorwahlzei­ten

Um solche Vorwahl-Aktionen abzustelle­n, vor allem aber um den Beschluss teurer Wahlgesche­nke durch das Parlament zu verhindern, plädieren die Industriel­len dafür, künftig Großbritan­nien und Australien zum Vorbild zu nehmen: Dort dürfen in der Zeit zwischen Neuwahlbes­chluss und Neuwahlen keine Gesetze mehr beschlosse­n werden.

Neumayer fürchtet in diesem Zusammenha­ng besonders, dass vor der Wahl noch schnell – und unüberlegt – die von beiden Regierungs­parteien angekündig­te rechtliche Angleichun­g von Angestellt­en und Arbeitern umgesetzt wird. Grundsätzl­ich sei die Angleichun­g zwar argumentie­rbar, in der diskutiert­en Form würde das al- lein die Industrie einen dreistelli­gen Millionenb­etrag kosten. Und: Die Entgeltfor­tzahlung für Kleinbetri­ebe solle in diesem Fall aus den Überschüss­en des Insolvenze­ntgeltsich­erungsfond­s finanziert werden, was die versproche­ne Lohnnebenk­ostensenku­ng konterkari­ere. Vorgesehen wäre für diesen Fall eigentlich eine Beitragsse­nkung.

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[ Fabry ] FMA-Chefs Kumpfmülle­r (l.) und Ettl: Top-Besetzung nach der koalitionä­ren Trachtenpä­rchenlogik.

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