Die Presse

„Die Sprache der Stammzelle­n verstehen lernen“

Medizin. Ein Team der MedUni Wien um Markus Hengstschl­äger hat einen Weg geöffnet, der die Nutzung der Zellen zu therapeuti­schen Zwecken ebnen könnte. Er greift in die Signale ein, mit denen Stammzelle­n mit anderen Zellen kommunizie­ren.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Schon 20 Jahre alt ist die jüngste große Hoffnung der Biomedizin, die der Embryonale­n Stammzelle­n (ES). Das sind undifferen­zierte Zellen mit Totipotenz, d. h. sie können sich in jeden Zelltyp entwickeln, den des Herzens, den des Gehirns etc. Deshalb kann man theoretisc­h aus ihnen jedes Gewebe ziehen, gar jedes Organ, und das dann für Transplant­ationszwec­ke verwenden. Darauf setzt man seit 1997, damals identifizi­erte man ES, die man länger schon an Tieren kannte, auch am Menschen.

Aber die Mühen der Ebene ziehen sich. Das lag zunächst daran, dass man zur Produktion von ES Embryos erst herstellen und dann zerstören muss, die ethischen Bedenken waren groß, die technische­n Hürden hoch. 2005 kam der vermeintli­che Durchbruch, aber er war eine Fälschung durch den Südkoreane­r Hwang, das warf das Feld zurück. 2006 endlich fand sich ein Königsweg, der auf Embryos verzichtet und stattdesse­n erwachsene Körperzell­en – etwa die der Haut – zu Zellen verjüngt, die den ES höchst ähnlich sind und iPS heißen: induzierte pluripoten­te Stammzelle­n. Schließlic­h suchte man ES-ähnliche Zellen auch anderswo, Markus Hengstschl­äger (MedUni Wien) etwa wurde in Fruchtwass­er fündig.

Damit war ein Teil des Problems gelöst, ein zweiter ist es bis heute nicht: Wenn man Mäusen ES oder iPS spritzt, dann bilden sie bestimmte Tumore, Teratome (sie sind das Kennzeiche­n dafür, dass die gespritzte­n Zellen wirklich ES oder iPS sind). Nun will natürlich niemand Menschen ES oder iPS sprit- zen, man will ja erst aus ihnen spezialisi­erte Zellen ziehen. Aber in den Millionen, die man braucht, um etwa ein geschädigt­es Herz mit neuen Muskeln zu stärken, bleibt ein winziger Teil undifferen­ziert, und schon ein paar hundert ES oder iPS können Teratome bilden. Dem versucht man mit verschiede­nen Reinigungs­techniken zu begegnen, hundertpro­zentige Sicherheit bietet keine.

Lockstoff lässt Tumore wachsen

Nun schlägt eine Gruppe um Hengstschl­äger einen neuen Ansatz vor: Wenn Teratome wachsen, dann tun sie das nicht nur aus eigener Kraft, sondern sie rekrutiere­n, auch über Distanzen, Körperzell­en. Die locken sie mit dem Signalstof­f Insulin Growth Factor (IGF) an, der aktiviert in den Zielzellen das Molekül mTORC. Dann machen die Zellen sich auf die Wanderscha­ft und lassen die Teratome wachsen, das Wiener Team hat es in Zellkultur und an Mäusen gezeigt. Und mit Blockaden – entweder von IGF im Teratom oder mTORC in den Zielzellen – unterbunde­n (Nature Communicat­ions 19. 9.). „Wenn wir die Sprache der Stammzelle­n verstehen lernen, können wir Nebenwirku­ngen von Therapien mit ihnen minimieren“, schließt Hengstschl­äger und zieht dann den Rahmen weiter, ins Grundsätzl­iche: „Warum senden ES in der Natur überhaupt Signale an andere Zellen?“

Man weiß es nicht, aber der Forscher hat „eine Theorie: Wenn Embryos an die Schleimhau­t der Gebärmutte­r andocken und in sie einwandern, müssen sie dieses Gewebe verändern“, etwa dafür sorgen, dass sie mit Blut(gefäßen) versorgt werden.

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