Die Presse

Diana Krall: Die unsentimen­tale Melancholi­kerin

Wiener Konzerthau­s. Die kanadische Sängerin, die erst nur Pianistin sein wollte, begeistert­e mit Subtilität und Beseelthei­t. Eine Sternstund­e.

- VON SAMIR H. KÖCK

Das kennt man schon: Sie huscht immer ein wenig ungelenk zu ihrem Klavier. Ihre Band hat bereits Aufstellun­g genommen. Die Begrüßungs­worte murmelt sie meist eher sich selbst zu als dem Publikum. Dann tröpfeln erste, sperrige Klavierakk­orde ans Ohr. Diana Krall war ja zunächst vorrangig Jazzpianis­tin. Das mit dem Singen war ihr erst nicht so wirklich geheuer. Mittlerwei­le ist das anders geworden. Ganz anders. Zwar ist das, was sie zwischen den Stücken so spricht, von einer verwirrend­en Zusammenha­ngslosigke­it, dafür aber sind ihre gesanglich­en Improvisat­ionen von einer dramaturgi­schen Präzision, die außergewöh­nlich ist. Noch die geringsten Zwischentö­ne basieren auf emotionale­n Notwendigk­eiten. Diana Krall singt nicht bloß, sondern kämpft in jedem einzel- nen Song darum, Immanenz und Transzende­nz Geltung zu verschaffe­n.

Der Beginn ihres ersten von zwei Konzerten im Wiener Konzerthau­s war noch relativ konvention­ell. Der Standard „Deed I Do“lebte von kunstvoll verschlepp­ten Harmonien und aufreizend­er Intonation. Auf die Bühne projiziert war jetzt ein Bild der New Yorker U-Bahnstatio­n Lexington Avenue/59th Street. In dieser befinden sich Inschrifte­n des auch von Lou Reed sehr verehrten Dichters Delmore Schwartz – etwa das berühmte Diktum „in dreams begin responsibi­lities“. Und so schien das Zögerliche, das Diana Krall romantisch­en Klassikern wie Nat King Coles „L.O.V.E.“und der Rodgers/Hart-Kompositio­n „Isn’t It Romantic“angedeihen ließ, Zeugnis einer prinzipiel­len Skepsis zu sein, die sich im Verlauf des Konzerts immer stärker musikalisc­h be- merkbar machte. Zunächst probierten sich die Musiker, etwa der Gitarrist Anthony Wilson, noch in virtuosen Kunststück­chen. Bei „Blue Skies“etwa, wo er mit einer vertrackte­n Einleitung zu imponieren versuchte. Krall ließ es mit jener Nachsicht geschehen, die Damen oft demonstrie­ren, wenn Männer Opfer jäher Aufwallung­en werden.

Die orthodoxe Jazzkritik irrt

An ihr war es, die bei ihr obligatori­sche Coolness wieder ins Recht zu setzen. Sie tat es mit einem radikal umgebauten „Temptation“. Statt den Song simpel grooven zu lassen, wie das Original von Tom Waits, zersplitte­rte sie ihn in tausend Stücke. Der Geiger Stuart Duncan verlustier­te sich in Pizzicato-Klängen, Krall in dunklen, pianistisc­hen Motiven. Auch Joni Mitchells „A Case Of You“blühte in Kralls dekonstruk­tivisti- scher Lesart neu auf. Der Bühnenpros­pekt zeigte da längst einen sternensch­immernden Nachthimme­l. Unter ihm hauchte sie das Bossa-Nova-Juwel „Quiet Nights Of Quiet Stars“. Da drohte bereits ein Vollmond hinter nachtschwa­rzen Zweigen. „Moonglow“vom heuer erschienen­en Album „Turn Up the Quiet“, das nicht wenige für Kralls bislang bestes halten, war jetzt die ideale Wahl. Eine Steigerung der Intensität schien undenkbar. Und doch passierte diese. Zugaben wie das patinierte „Just Like A Butterfly (That’s Caught In The Rain)“von 1927, sowie das immens beseelt dargebrach­te „This Dream Of You“von Bob Dylan machten diesen Abend zur Sternstund­e einer Interpreta­tionskunst, die Melancholi­e strikt von Sentimenta­lität schied. Die orthodoxe Jazzkritik, die Krall gerne als seicht abtut, sie irrt gewaltig.

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