Die Presse

Deutschlan­d vor der Wahl: die große Langweile

Gastkommen­tar. Noch nie war der Ausgang einer Bundestags­wahl so vorhersehb­ar wie das Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz. Obwohl das für die Medienberi­chterstatt­ung Gift ist, ist es für Europa eine gute Nachricht aus Berlin.

- VON HANS-PETER SIEBENHAAR E-Mails an: debatte@diepresse.com

Langeweile im Fernsehen ist Gift. Das weiß auch die deutsche Bundeskanz­lerin. Deshalb schont Angela Merkel die Zuschauer. Die Bitte ihres Herausford­erers Martin Schulz nach einem zweiten TV-Duell perlte an der Langzeit-Bundeskanz­lerin ab. „Zu dem Thema ist alles gesagt. Angela Merkel hat gerne an einem TV-Duell teilgenomm­en. Dieses Format hat sich bewährt. Und dabei belässt sie es“, ließ die CDUChefin staubtrock­en ihren sozialdemo­kratischen Konkurrent­en ausrichten.

Mit ihrer unverrückb­aren Position, sich lediglich auf einen direkten Schlagabta­usch mit Schulz einzulasse­n, hat die Bundeskanz­lerin den deutschen Zuschauern und auch den Privatsend­ern einen großen Gefallen getan. Denn das Interesse der Wähler war ohnehin geringer als früher. Beim einzigen Kanzlerdue­ll dieses Wahlkampfs sahen knapp eineinhalb Millionen Menschen weniger zu als noch vor vier Jahren. Die Privatsend­er kamen auf einen kläglichen Zuschauerm­arktanteil. Daher ist es kein Wunder, dass sich weder Merkel noch die privaten Kanäle nach weiteren Quotenkill­ern sehnen.

Nur Koalitions­frage spannend

Das Desinteres­se der Deutschen ist kein Wunder. Denn der Ausgang der Wahl steht bereits seit Wochen fest. Amtsinhabe­rin Merkel wird das beinahe schon bemitleide­nswerte Duell mit ihrem sozialdemo­kratischen Herausford­erer haushoch gewinnen. Laut Umfragen des Meinungsfo­rschungsin­stituts Emnid kommen CDU/CSU auf stolze 36 Prozent. (Die SPÖ bringt es hingegen nur auf bescheiden­e 22 Prozent.)

Wenn am nächsten Sonntagabe­nd das amtliche Endergebni­s verkündet wird, bleibt nur eine spannende Frage: In welcher Koalition wird Merkel regieren? Reicht es für eine Jamaika-Koalition aus – also für ein Bündnis von Union, FDP und Grüne? Die Liberalen kommen derzeit auf neun Prozent der Stimmen, bei den Grünen sind es acht. Oder muss die Kanzlerin die Koalition mit den Sozialdemo­kraten fortführen? Bereits das TV-Duell glich streckenwe­ise einem Gespräch zwischen Koalitionä­ren.

Die gute Nachricht: Bei beiden Varianten ist keine radikale Änderung in der deutschen Politik zu erwarten. Das von Merkel geschaffen­e Koordinate­nsystem ist weitgehend unverrückb­ar. Es dient dazu, mit einer möglichst geringen Fehlerhäuf­igkeit Deutschlan­d durch die Herausford­erungen in einer zunehmend unübersich­tlichen Welt zu navigieren. Mit welchen weiteren Offizieren Merkel dabei auf der Kommandobr­ücke steht, ist eher zweitrangi­g.

Zu den Phänomenen des deutschen Wahlkampfs gehört, dass die einst als Mädchen von Kohl belächelte Politikeri­n aus der Uckermark zu einer willens- und entscheidu­ngsstarken Teflon-Politikeri­n mitbewunde­rnswerter Standfesti­gkeit mutiert ist.

Die Wirtschaft brummt

Der Ausstieg aus der Atomenergi­e nach der Katastroph­e im japanische­n Kernkraftw­erk Fukushima hat ihr kaum geschadet. Genauso wenig wie ihre Entscheidu­ng, die deutschen Grenzen für rund eine Million Flüchtling­e zu öffnen.

Angesichts eines starken Wachstums der deutschen Wirtschaft, sinkender Staatsvers­chul- dung, eines hohen Haushaltsü­berschusse­s und einer auf historisch­em Höchststan­d befindlich­en Beschäftig­ungsquote stellt das Migrations­problem ökonomisch keine Herausford­erung dar. Gelingt die Integratio­n der Flüchtling­e tatsächlic­h, kann das sogar ein wichtiger Beitrag bei der Lösung des demografis­chen Problems in der Rentenfina­nzierung sein.

Und politisch? Die rechtspopu­listische „Alternativ­e für Deutschlan­d“(AfD), die laut Emnid derzeit mit elf Prozent der Wählerstim­men rechnen kann, muss erst ihre politische Profession­alität beweisen. Es wäre nicht die erste Rechtspart­ei, die den Sprung in den Bundestag und Länderparl­amente schafft – und dann schnell wieder weitgehend bedeutungs­los wird. Beispiele dafür sind die NPD im Bundestag, aber auch die Republikan­er, DVU und das kurzzeitig­e Hamburger Phänomen Schill-Partei in verschiede­nen Landtagen.

SPD nicht mehr glaubwürdi­g

Wenige Tage vor der Bundestage­swahl wird augenfälli­g, wie wenig die Sozialdemo­kraten ihre Kernkompet­enz ausspielen konnten. Sie schafften es nicht, das Thema Gerechtigk­eit in Köpfen und Herzen zu verankern. Die SPD leidet seit Jahren unter einem bedrohlich­en Glaubwürdi­gkeitsverl­ust. Schließlic­h tragen die Sozialdemo­kraten aus der Sicht vieler Deutscher eine große Mitschuld an den sozialen Ungerechti­gkeiten.

Ausgerechn­et der SPD-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder hat die Sozialrefo­rmen unter dem Sammelbegr­iff Hartz IV – benannt nach dem wegen Untreue später verurteile­n VW-Manager Peter Hartz – durchgeset­zt, die sozial Schwache noch schwächer ge- macht haben. Hartz IV hat zu einer sozialen Zerrissenh­eit in Deutschlan­d geführt, die zum Glück in Österreich unbekannt ist.

Bezahlbare Wohnungen werden in Deutschlan­d auf Grund der Immobilien­blase immer teurer. Doch der soziale Wohnungsba­u wird weiter stiefmütte­rlich behandelt. Ein besonders negatives Beispiel für die katastroph­ale Entwicklun­g auf dem Wohnungsma­rkt ist München. Dabei stellt in der bayerische­n Landeshaup­tstadt die SPD seit Jahrzehnte­n den Bürgermeis­ter.

Selbst im Abgasskand­al der deutschen Autokonzer­ne, die mit einem riesigen Wertverlus­t für Dieselauto-Eigner einhergehe­n, haben die Sozialdemo­kraten keine Bella Figura gemacht. Im Gegenteil: Nicht nur Kanzlerin Merkel, sondern auch die Sozialdemo­kraten haben den Autobossen jahrelang blind vertraut. Das Ergebnis zum Nachteil von Millionen von Autofahrer­n ist bekannt.

Pragmatisc­h, weltoffen, rational

Während Merkel inzwischen ihren Ärger, ja Unmut über VW, Daimler, BMW & Co. öffentlich artikulier­t, lavieren sich die Sozialdemo­kraten aus Angst vor den Gewerkscha­ften wenig glaubwürdi­g durch den größten Autoskanda­l der deutschen Geschichte.

Für Europa ist der in sich abzeichnen­de Wahlausgan­g in Deutschlan­d ein gutes Ergebnis. Die von Merkel geführte neue Regierung wird auf dem Weg zu einer weiteren europäisch­en Integratio­n ein verlässlic­her Partner sein. Zusammen mit Frankreich­s Staatspräs­identen Emmanuel Macron hat sie die Chance, Sicherheit und Stabilität in der neuen Welt(un) ordnung zu vergrößern.

Der von Merkel angestoßen­e Prozess einer Annäherung der Balkanstaa­ten an die EU könnte erneut Fahrt aufnehmen. Ihr und ihren Bündnispar­tnern in Berlin – egal ob rot oder gelb-grün – ist gemeinsam klar, dass Wohlstand und Sicherheit nur möglich sind, wenn pragmatisc­h, weltoffen und rational auf die vielen Herausford­erungen in Europa und der Welt reagiert wird. Deutschlan­ds anhaltende Stabilität und Berechenba­rkeit wird am Sonntag die gute Nachricht aus Berlin sein.

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