Das Wunschkonzert beginnt
Analyse. Im Nationalrat begann gestern das freie Spiele der Kräfte. Im Mittelpunkt der parteipolitischen Angriffe stand einer, der derzeit gar nicht da ist.
Wien. So schön haben die 183 Abgeordneten des Nationalrats zweifellos noch nie getagt. Im großen Redoutensaal der Hofburg tanzte einst Kaiserin Maria Theresia, hier wurde Beethovens achte Symphonie uraufgeführt, heute zieren imposante Gemälde von Josef Mikl die Wände und die Decke. Damit kann das Hohe Haus auch nach seiner Renovierung nicht mithalten.
Auf die Debatten färbte die Schönheit der Umgebung weniger ab. Harte Attacken und teilweise gehässige Untergriffe prägten die erste Sitzung des Nationalrats außerhalb des Parlamentsgebäudes und die vorletzte vor der Wahl. Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) ging gar so weit, erbost Vorwürfe von SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder zurückzuweisen: Eine solche Rede, wie er sie eben gehalten habe, habe im Hohen Haus nichts verloren.
Inhaltlich begann am gestrigen Mittwoch das politische Wunschkonzert der Par- teien: Die Redner warben für ihre Anträge, mit denen sie die Wähler dazu motivieren möchten, am 15. Oktober bei ihrer Partei das Kreuz zu machen.
Die SPÖ beispielsweise mit verschiedenen Themen, von der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten bis zu einem neuen Mietrecht und einem Verbot von Bankomatgebühren. Die Opposition hat wiederum die Treue der ÖVP auf die Probe gestellt, die den Nochregierungspartner SPÖ nicht überstimmen will, aber dennoch verlockt ist, Herzens- und Wählerschichteranliegen, wie etwa die Rücknahme der erhöhten Mehrwertsteuer in der Hotellerie, im freien Spiel der Kräfte im Nationalrat umzusetzen.
„Dringlicher“als politischer Elfmeter
Ob sich die ÖVP bei der letzten Sitzung des Nationalrats am 12. Oktober, wenn über die meisten Anträge abgestimmt wird, noch zurückhalten kann, wird sich zeigen. Die Sitzung drei Tage vor der Nationalratswahl könnte so teuer werden wie jene im September 2008, als wenige Tage vor der damaligen Nationalratswahl unter anderem die Studiengebühr abgeschafft und das Pflegegeld erhöht wurde. Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) formulierte es jedenfalls lyrisch so: „Die Musik spielt ab jetzt im Parlament.“Und Vizekanzler Wolfgang Brandstetter (ÖVP) gab sich überhaupt ratlos: „Was im Parlament passiert, wissen die Götter.“
Die politische Diskussion dominierte einer, der gar nicht in Österreich ist: Sebas- tian Kurz, der derzeit als Außenminister bei der UNO-Generalversammlung in New York weilt und der mit seiner Partei alle Umfragen mit deutlichem Vorsprung anführt. Die Grünen legten der SPÖ mit einem Dringlichen Antrag zu Parteispenden einen politischen Elfmeter auf, der es Drozda erlaubte, gegen Firmenspenden für die ÖVP zu wettern. Die Grünen würden zu Recht davor warnen, dass sich Unternehmen damit Abgeordnete kaufen und Wahlprogramme beeinflussen könnten, meinte der Kanzleramtsminister. Schon zuvor hatte Schieder einen Zusammenhang zwischen den Wahlspenden für die ÖVP und deren Ablehnung des Mietrechtspakets hergestellt.
Begonnen hatte der Tag mit einem unfreundlichen Treffen von SPÖ und ÖVP zum Ministerrat. Man warf sich gegenseitig einen „Basar“und „Ankündigungspolitik“vor. Von der SPÖ sei es „unverantwortlich“, das Sicherheitspaket nicht mitzutragen, meinte die ÖVP. Dieser wiederum warf die SPÖ vor, dass sie die Regierungsarbeit seit 15 Monaten „sabotiert und boykottiert“.
Immerhin in einem Punkt war man sich einig: Die Verträge der beiden Vorstände der Finanzmarktaufsicht, Helmut Ettl und Klaus Kumpfmüller, wurden um fünf Jahre verlängert. Der eine wird der SPÖ zugerechnet, der andere der ÖVP.