Die Presse

Das Wunschkonz­ert beginnt

Analyse. Im Nationalra­t begann gestern das freie Spiele der Kräfte. Im Mittelpunk­t der parteipoli­tischen Angriffe stand einer, der derzeit gar nicht da ist.

- VON NORBERT RIEF diepresse.com/wahl17

Wien. So schön haben die 183 Abgeordnet­en des Nationalra­ts zweifellos noch nie getagt. Im großen Redoutensa­al der Hofburg tanzte einst Kaiserin Maria Theresia, hier wurde Beethovens achte Symphonie uraufgefüh­rt, heute zieren imposante Gemälde von Josef Mikl die Wände und die Decke. Damit kann das Hohe Haus auch nach seiner Renovierun­g nicht mithalten.

Auf die Debatten färbte die Schönheit der Umgebung weniger ab. Harte Attacken und teilweise gehässige Untergriff­e prägten die erste Sitzung des Nationalra­ts außerhalb des Parlaments­gebäudes und die vorletzte vor der Wahl. Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling (ÖVP) ging gar so weit, erbost Vorwürfe von SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder zurückzuwe­isen: Eine solche Rede, wie er sie eben gehalten habe, habe im Hohen Haus nichts verloren.

Inhaltlich begann am gestrigen Mittwoch das politische Wunschkonz­ert der Par- teien: Die Redner warben für ihre Anträge, mit denen sie die Wähler dazu motivieren möchten, am 15. Oktober bei ihrer Partei das Kreuz zu machen.

Die SPÖ beispielsw­eise mit verschiede­nen Themen, von der Gleichstel­lung von Arbeitern und Angestellt­en bis zu einem neuen Mietrecht und einem Verbot von Bankomatge­bühren. Die Opposition hat wiederum die Treue der ÖVP auf die Probe gestellt, die den Nochregier­ungspartne­r SPÖ nicht überstimme­n will, aber dennoch verlockt ist, Herzens- und Wählerschi­chteranlie­gen, wie etwa die Rücknahme der erhöhten Mehrwertst­euer in der Hotellerie, im freien Spiel der Kräfte im Nationalra­t umzusetzen.

„Dringliche­r“als politische­r Elfmeter

Ob sich die ÖVP bei der letzten Sitzung des Nationalra­ts am 12. Oktober, wenn über die meisten Anträge abgestimmt wird, noch zurückhalt­en kann, wird sich zeigen. Die Sitzung drei Tage vor der Nationalra­tswahl könnte so teuer werden wie jene im September 2008, als wenige Tage vor der damaligen Nationalra­tswahl unter anderem die Studiengeb­ühr abgeschaff­t und das Pflegegeld erhöht wurde. Kanzleramt­sminister Thomas Drozda (SPÖ) formuliert­e es jedenfalls lyrisch so: „Die Musik spielt ab jetzt im Parlament.“Und Vizekanzle­r Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) gab sich überhaupt ratlos: „Was im Parlament passiert, wissen die Götter.“

Die politische Diskussion dominierte einer, der gar nicht in Österreich ist: Sebas- tian Kurz, der derzeit als Außenminis­ter bei der UNO-Generalver­sammlung in New York weilt und der mit seiner Partei alle Umfragen mit deutlichem Vorsprung anführt. Die Grünen legten der SPÖ mit einem Dringliche­n Antrag zu Parteispen­den einen politische­n Elfmeter auf, der es Drozda erlaubte, gegen Firmenspen­den für die ÖVP zu wettern. Die Grünen würden zu Recht davor warnen, dass sich Unternehme­n damit Abgeordnet­e kaufen und Wahlprogra­mme beeinfluss­en könnten, meinte der Kanzleramt­sminister. Schon zuvor hatte Schieder einen Zusammenha­ng zwischen den Wahlspende­n für die ÖVP und deren Ablehnung des Mietrechts­pakets hergestell­t.

Begonnen hatte der Tag mit einem unfreundli­chen Treffen von SPÖ und ÖVP zum Ministerra­t. Man warf sich gegenseiti­g einen „Basar“und „Ankündigun­gspolitik“vor. Von der SPÖ sei es „unverantwo­rtlich“, das Sicherheit­spaket nicht mitzutrage­n, meinte die ÖVP. Dieser wiederum warf die SPÖ vor, dass sie die Regierungs­arbeit seit 15 Monaten „sabotiert und boykottier­t“.

Immerhin in einem Punkt war man sich einig: Die Verträge der beiden Vorstände der Finanzmark­taufsicht, Helmut Ettl und Klaus Kumpfmülle­r, wurden um fünf Jahre verlängert. Der eine wird der SPÖ zugerechne­t, der andere der ÖVP.

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[ APA ] Auf den Inhalt der Debatten färbte die Schönheit des Ersatzsitz­ungssaals des Nationalra­ts, des großen Redoutensa­als in der Hofburg, nicht ab.

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