Die Presse

Dreitageba­rt und flotte Sprüche

Porträt. FDP-Chef Christian Lindner inszeniert sich in einer One-Man-Show als Ikone der Freidemokr­aten, der seine Partei praktisch im Alleingang wieder in den Bundestag bringt.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R UND THOMAS VIEREGGE

Christian Lindner inszeniert sich im Wahlkampf in einer One-Man-Show als Ikone der FDP.

Schmissige Rhythmen dringen am Rande des Gillamoose­r Volksfests im niederbaye­rischen Abensberg aus dem kleinen Bierzelt mit den Ballons in den Pastellfar­ben Magenta, Gelb und Hellblau. Mit einem Augenzwink­ern intonierte die Kapelle den Schlager: „So ein Mann, so ein Mann zieht mich unwahrsche­inlich an . . .“Es ist auf den Gast aus Berlin gemünzt, auf FDP- Chef Christian Lindner, der nach dem Auftritt Fans, Zaungästen und Journalist­en noch Rede und Antwort steht, im Small Talk mit Parteifreu­nden parliert, für Selfies posiert und Autogramme signiert.

Die Liberalen sind ein Minderheit­enprogramm in Bayern, und doch ist auch hier das Interesse am Spitzenman­n der Freidemokr­aten recht rege – und sei es nur, um aus eigener Anschauung zu beobachten, wie der Parteichef sich anschickt, die frühere Honoratior­enpartei der Apotheker, Ärzte, Anwälte und Steuerbera­ter mehr oder weniger im Alleingang nach vier dürren Jahren in der Opposition wieder über die Fünf-Prozent-Hürde in den Bundestag zu katapultie­ren. In seiner Heimat Nordrhein-Westfalen hat der 38-Jährige aus Wuppertal bei den Landtagswa­hlen im Frühjahr das Kunststück einer Regierungs­beteiligun­g mit der CDU bereits vorexerzie­rt – obwohl er sich, wie auch nun auf Bundeseben­e, erst einmal geziert hat wie eine Primadonna.

Wie aus der Parfumwerb­ung

Die PR-Kampagne ist ganz allein auf ihn ausgericht­et, auf den Posterboy der FDP, dessen Plakatseri­e so wirkt, als sei sie eins zu eins aus der Parfumwerb­ung abgekupfer­t. Er spielt mit den Sujets, und er ergeht sich in Koketterie und selbstiron­ischen Anspielung­en. Ein Mann tippt im Unterhemd in sein Smartphone. Oder seine Hände stecken lässig in der Hosentasch­e. Oder er wirft sich salopp das Sakko um die Schulter. Ganz in Schwarz-Weiß setzt die FDP ihre Galionsfig­ur, ihre Ikone in Szene. Dazu gibt es flotte Sprüche in knalligem Gelb und Rosa: „Nichtstun ist Machtmissb­rauch.“

Es funktionie­rt. Die FDP ist in den Umfragen wieder auferstand­en, wenn auch in neuer Gestalt, als LDP, als Lindners Demokratis­che Partei. Alles kreist um den telegenen Parteichef mit dem Dreitageba­rt. Politische Gegner provoziert dies zu Häme. „Dreitageba­rt und Schwarz-Weiß-Fotos sind noch keine Politik“, ätzte Volker Bouffier, CDU-Vizechef und Ministerpr­äsident einer schwarzgrü­nen Koalition in Hessen, jüngst in einem Interview.

Die Inszenieru­ng des FDP-Chefs leitet sich aus dem Datenmater­ial ab: 45 Prozent der Deutschen ist Lindner ein Begriff, dahinter folgt weit abgeschlag­en sein Vize aus dem hohen Norden: Wolfgang Kubicki, Landeschef in Schleswig-Holstein und als solcher eingebunde­n in eine Jamaika-Koalition, ist nur sechs Prozent geläufig. Die dünne Personalde­cke der Liberalen ist Teil des Problems. Hinter den Führungsfi­guren schimmern nur Alexander Graf Lambsdorff, profiliert­er Außenpolit­iker und einer der mehr als ein Dutzend Vizepräsid­enten des EU-Parlaments, die Hamburgeri­n Katja Suding und Hermann Otto Solms, ein Veteran der Genscher-Ära, hervor. Die FDP bestreitet den Wahlkampf mehr oder weniger als One-Man-Show – oder wie es Hendrik Träger, Politologe aus Leipzig, unter Hinweis auf Kubicki formuliert hat: als „One-and-a-half-Man-Show“.

Als „Gurkentrup­pe“hatte die CDU einst ihren FDP-Koalitions­partner verhöhnt. Vergeblich flehten die Liberalen am Ende der schwarz-gelben Koalition 2013 um Zweitstimm­en der CDU-Anhänger. Am Ende flogen sie aus dem Bundestag. Lindner zog seine Lehren: Falls sich für Schwarz-Gelb am Wahlabend rechnerisc­h eine Mehrheit ausgehen sollte, wird er den Preis für ein Bündnis hochtreibe­n. Längst schielt die FDP auf das Finanzmini­sterium, so etwas wie die Erbpacht Wolfgang Schäubles. Lindner rückt das Thema – auch dies eine Lehre aus den unerfüllte­n Steuersenk­ungsverspr­echen – in den Hintergrun­d. „Digitalisi­erung! Bildung! Freiheit!“All dies und noch einiges mehr will die Lindner-FDP „neu denken“.

Blinken nach rechts

Der 38-Jährige, der während der Koalition mit der Union als Generalsek­retär erst gegen Parteichef Guido Westerwell­e geputscht hatte, um sich später nach Nordrhein-Westfalen zurückzuzi­ehen, hielt die FDP in den vier Jahren im politische­n Out durch Interviews und Talkshowau­ftritte im Gespräch. Er hat das Image der Partei aufgemöbel­t, nicht ihre Inhalte. Ob Umwelt, Diesel, Europapoli­tik: Das Credo von mehr Markt, weniger Staat bleibt Leitprinzi­p. In der Flüchtling­sfrage blinkt Lindner nach rechts. Er fordert einen Untersuchu­ngsausschu­ss zu Merkels Politik der offenen Grenzen. Die Krim-Annexion durch Russland will er als „dauerhafte­s Provisoriu­m“akzeptiere­n. Beides dürfte auch den Beifall von AfD-Sympathisa­nten finden.

Christian Lindner polarisier­t – wenn er sich beispielsw­eise damit brüstet, sich schon im Alter von 19 Jahren den Traum eines eigenen Porsche erfüllt zu haben. Seine Anhänger halten ihn für einen blendenden Rhetoriker, der geschliffe­n und pointiert zu formuliere­n versteht – seine Gegner nur für einen Blender. An den Lindner von heute erinnert schon ein kürzlich aufgetauch­tes Video. Es zeigt einen 18-jährigen Blondschop­f mit Kuhkrawatt­e, noch Schüler, aber bereits Firmengrün­der. Er zitiert Dante und sagt: Probleme seien nur dornige Chancen – so wie die Jamaika-Koalition, wie die „FAZ“witzelte.

 ?? [ YouTube ] ?? Im Unterhemd und mit Dreitageba­rt: Die FDPKampagn­e hat in Deutschlan­d für viel Häme gesorgt. Christian Lindner kokettiert mit seiner Eitelkeit, und er steht auch dazu. Vor Jahren ließ er sich Haare einsetzen, um die Geheimrats­ecken zu überdecken. Ein...
[ YouTube ] Im Unterhemd und mit Dreitageba­rt: Die FDPKampagn­e hat in Deutschlan­d für viel Häme gesorgt. Christian Lindner kokettiert mit seiner Eitelkeit, und er steht auch dazu. Vor Jahren ließ er sich Haare einsetzen, um die Geheimrats­ecken zu überdecken. Ein...

Newspapers in German

Newspapers from Austria