Dreitagebart und flotte Sprüche
Porträt. FDP-Chef Christian Lindner inszeniert sich in einer One-Man-Show als Ikone der Freidemokraten, der seine Partei praktisch im Alleingang wieder in den Bundestag bringt.
Christian Lindner inszeniert sich im Wahlkampf in einer One-Man-Show als Ikone der FDP.
Schmissige Rhythmen dringen am Rande des Gillamooser Volksfests im niederbayerischen Abensberg aus dem kleinen Bierzelt mit den Ballons in den Pastellfarben Magenta, Gelb und Hellblau. Mit einem Augenzwinkern intonierte die Kapelle den Schlager: „So ein Mann, so ein Mann zieht mich unwahrscheinlich an . . .“Es ist auf den Gast aus Berlin gemünzt, auf FDP- Chef Christian Lindner, der nach dem Auftritt Fans, Zaungästen und Journalisten noch Rede und Antwort steht, im Small Talk mit Parteifreunden parliert, für Selfies posiert und Autogramme signiert.
Die Liberalen sind ein Minderheitenprogramm in Bayern, und doch ist auch hier das Interesse am Spitzenmann der Freidemokraten recht rege – und sei es nur, um aus eigener Anschauung zu beobachten, wie der Parteichef sich anschickt, die frühere Honoratiorenpartei der Apotheker, Ärzte, Anwälte und Steuerberater mehr oder weniger im Alleingang nach vier dürren Jahren in der Opposition wieder über die Fünf-Prozent-Hürde in den Bundestag zu katapultieren. In seiner Heimat Nordrhein-Westfalen hat der 38-Jährige aus Wuppertal bei den Landtagswahlen im Frühjahr das Kunststück einer Regierungsbeteiligung mit der CDU bereits vorexerziert – obwohl er sich, wie auch nun auf Bundesebene, erst einmal geziert hat wie eine Primadonna.
Wie aus der Parfumwerbung
Die PR-Kampagne ist ganz allein auf ihn ausgerichtet, auf den Posterboy der FDP, dessen Plakatserie so wirkt, als sei sie eins zu eins aus der Parfumwerbung abgekupfert. Er spielt mit den Sujets, und er ergeht sich in Koketterie und selbstironischen Anspielungen. Ein Mann tippt im Unterhemd in sein Smartphone. Oder seine Hände stecken lässig in der Hosentasche. Oder er wirft sich salopp das Sakko um die Schulter. Ganz in Schwarz-Weiß setzt die FDP ihre Galionsfigur, ihre Ikone in Szene. Dazu gibt es flotte Sprüche in knalligem Gelb und Rosa: „Nichtstun ist Machtmissbrauch.“
Es funktioniert. Die FDP ist in den Umfragen wieder auferstanden, wenn auch in neuer Gestalt, als LDP, als Lindners Demokratische Partei. Alles kreist um den telegenen Parteichef mit dem Dreitagebart. Politische Gegner provoziert dies zu Häme. „Dreitagebart und Schwarz-Weiß-Fotos sind noch keine Politik“, ätzte Volker Bouffier, CDU-Vizechef und Ministerpräsident einer schwarzgrünen Koalition in Hessen, jüngst in einem Interview.
Die Inszenierung des FDP-Chefs leitet sich aus dem Datenmaterial ab: 45 Prozent der Deutschen ist Lindner ein Begriff, dahinter folgt weit abgeschlagen sein Vize aus dem hohen Norden: Wolfgang Kubicki, Landeschef in Schleswig-Holstein und als solcher eingebunden in eine Jamaika-Koalition, ist nur sechs Prozent geläufig. Die dünne Personaldecke der Liberalen ist Teil des Problems. Hinter den Führungsfiguren schimmern nur Alexander Graf Lambsdorff, profilierter Außenpolitiker und einer der mehr als ein Dutzend Vizepräsidenten des EU-Parlaments, die Hamburgerin Katja Suding und Hermann Otto Solms, ein Veteran der Genscher-Ära, hervor. Die FDP bestreitet den Wahlkampf mehr oder weniger als One-Man-Show – oder wie es Hendrik Träger, Politologe aus Leipzig, unter Hinweis auf Kubicki formuliert hat: als „One-and-a-half-Man-Show“.
Als „Gurkentruppe“hatte die CDU einst ihren FDP-Koalitionspartner verhöhnt. Vergeblich flehten die Liberalen am Ende der schwarz-gelben Koalition 2013 um Zweitstimmen der CDU-Anhänger. Am Ende flogen sie aus dem Bundestag. Lindner zog seine Lehren: Falls sich für Schwarz-Gelb am Wahlabend rechnerisch eine Mehrheit ausgehen sollte, wird er den Preis für ein Bündnis hochtreiben. Längst schielt die FDP auf das Finanzministerium, so etwas wie die Erbpacht Wolfgang Schäubles. Lindner rückt das Thema – auch dies eine Lehre aus den unerfüllten Steuersenkungsversprechen – in den Hintergrund. „Digitalisierung! Bildung! Freiheit!“All dies und noch einiges mehr will die Lindner-FDP „neu denken“.
Blinken nach rechts
Der 38-Jährige, der während der Koalition mit der Union als Generalsekretär erst gegen Parteichef Guido Westerwelle geputscht hatte, um sich später nach Nordrhein-Westfalen zurückzuziehen, hielt die FDP in den vier Jahren im politischen Out durch Interviews und Talkshowauftritte im Gespräch. Er hat das Image der Partei aufgemöbelt, nicht ihre Inhalte. Ob Umwelt, Diesel, Europapolitik: Das Credo von mehr Markt, weniger Staat bleibt Leitprinzip. In der Flüchtlingsfrage blinkt Lindner nach rechts. Er fordert einen Untersuchungsausschuss zu Merkels Politik der offenen Grenzen. Die Krim-Annexion durch Russland will er als „dauerhaftes Provisorium“akzeptieren. Beides dürfte auch den Beifall von AfD-Sympathisanten finden.
Christian Lindner polarisiert – wenn er sich beispielsweise damit brüstet, sich schon im Alter von 19 Jahren den Traum eines eigenen Porsche erfüllt zu haben. Seine Anhänger halten ihn für einen blendenden Rhetoriker, der geschliffen und pointiert zu formulieren versteht – seine Gegner nur für einen Blender. An den Lindner von heute erinnert schon ein kürzlich aufgetauchtes Video. Es zeigt einen 18-jährigen Blondschopf mit Kuhkrawatte, noch Schüler, aber bereits Firmengründer. Er zitiert Dante und sagt: Probleme seien nur dornige Chancen – so wie die Jamaika-Koalition, wie die „FAZ“witzelte.