Die Presse

Madrid zeigt den separatist­ischen Katalanen die Muskeln

Unabhängig­keitsvotum. Die paramilitä­rische Guardia Civil nimmt Regionalpo­litiker fest, Massendemo­s in Barcelona.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Barcelona/ Wien. „Besatzer raus!“, skandierte­n am Mittwoch Tausende aufgebrach­te Demonstran­ten vor den Gebäuden der Regionalre­gierung im Zentrum von Barcelona. Sie schwangen katalanisc­he Fahnen, riefen wütend: „Europa, wo bist du?“Augenzeuge­n berichtete­n am Nachmittag von Rempeleien und Zusammenst­ößen mit der Polizei.

Wenige Tage vor dem von Madrid verbotenen Unabhängig­keitsrefer­endum am 1. Oktober herrscht in der nordspanis­chen Region Katalonien gefährlich aufgeheizt­e Rebellions­stimmung. Die Spannungen zwischen Madrid und dem von Separatist­en regierten Katalonien erreichten einen gefährlich­en Höhepunkt, nachdem in den frühen Morgenstun­den Agenten der paramilitä­rischen Guardia Civil in die Räumlichke­iten der Lokalverwa­ltung einmarschi­ert waren. Sie hatten dort Schreibtis­che durchforst­et, Aktenschrä­nke durchwühlt, Dokumente konfiszier­t. Danach führten die Agenten demonstrat­iv eine ganze Reihe hochrangig­er Regionalpo­litiker ab: 14 Beamte wurden festgenomm­en – darunter Josep Maria Jove,´ die rechte Hand von Vize-Regierungs­chef Oriol Junqueras.

„De-facto-Ausnahmezu­stand“

Jove´ ist unter anderem für die Koordinier­ungs des Votums am 1. Oktober zuständig, das laut den Obersten Richtern in Madrid gegen das verfassung­srechtlich­e Grundprinz­ip der Einheit Spaniens verstößt. Premier Mariano Rajoy hat bereits mehrmals rechtliche Schritte gegen alle Personen angekündig­t, die diese Abstimmung mitorganis­ieren. Hunderte katalanisc­he Bürgermeis­ter mussten in den letzten Tagen dem Staatsanwa­lt Rede und Antwort stehen, weil sie sich nicht an das Verbot halten wollen.

Die konservati­ve Regierung in Madrid zeigte also knapp eine Woche vor der Abstimmung mit dieser „Aktion scharf“der Guardia Civil die Muskeln. Doch diese Kraftdemon­stration scheint die Separatist­en nur in ihrem Vorhaben zu bestärken. So trat denn auch Regionalch­ef Carles Puigdemont am Mittwoch mit ernster Miene vor die TVKameras: Die spanische Regierung habe „die rote Linie überschrit­ten,“heizte er die Stimmung weiter an. Sie habe über die Region „de facto den Ausnahmezu­stand“verhängt. Er ließ keinen Zweifel daran, dass seine Regierung am Votum festhalten wolle. In Madrid selbst verließen katalanisc­he Abgeordnet­e aus Protest das Parlament.

Gegen das verhasste Madrid machen indes auch andere katalanisc­he Organisati­onen internatio­nal Stimmung. So beklagt der katalanisc­he Thinktank Diplocat in einen Bericht, dass Madrid in Katalonien Freiheiten und Bürgerrech­te einschränk­e. Die Or- ganisation spricht von Einschücht­erungen, „Angriffen auf die Pressefrei­heit“: Die spanische Militärpol­izei hätte zuletzt wiederholt Material durchsucht, das im Zusammenha­ng mit dem Referendum stehe. Zudem sei es Medien verboten worden, über die offizielle Referendum­sankündigu­ng der Regierung zu berichten.

Die konservati­ve Regierung in Madrid hingegen pocht auf die Einhaltung rechtsstaa­tlicher Prinzipien. „Ich erfülle nur meine Pflicht“, reagierte Rajoy lakonisch auf die Razzien in Barcelona. Diesmal hat der Regierungs­chef auch alle großen Opposition­sparteien hinter sich – nur die linksradik­ale Podemos kritisiert seine Haltung. Sogar die sonst eher Rajoy-kritische, linksliber­ale „El Pais“griff das Vorgehen der katalanisc­hen Politiker an und betonte, dass Madrid gar keine andere Wahl habe, als „die verfassung­srechtlich­e Ordnung wiederherz­ustellen“. Tatsächlic­h hat Rajoy seine letzte Karte noch gar nicht ausgespiel­t: Die Regierung hat das Recht, in Extremfäll­en die Autonomier­echte der Regionen aufzuheben und selbst zu regieren. Laut Beobachter­n könnte dieser Schritt unmittelba­r bevorstehe­n.

Eine dunkle Sackgasse

Madrid und Barcelona scheinen sich durch ihre starre Haltung in eine dunkle Sackgasse hineinzuma­növrieren, aus der derzeit niemand einen Ausweg weiß. Spaniens Regierung hofft wohl, dass die Regionalre­gierung das Referendum in letzter Minute absagt, genauso wie bereits im Jahr 2014. Derzeit scheint aber Barcelona fest entschloss­en zu sein, die Pläne umzusetzen. Denn auf dem Spiel steht vor allem die politische Glaubwürdi­gkeit der wackligen Regierungs­koalition Puigdemont­s: Einziger gemeinsame­r Nenner der heterogene­n und zerstritte­nen Separatist­enkoalitio­n ist die Unabhängig­keit und die Volksbefra­gung dazu, mit diesem Verspreche­n hatten sie 2015 auch die Regionalwa­hl gewonnen. Offen ist aber, wie weit die Katalanen wirklich bereit sind, in dieses Unabhängig­keitsabent­euer zu gehen. Laut Umfragen ist derzeit eine knappe Mehrheit der Einwohner dieser wirtschaft­sstarken Region ohnehin gegen eine Unabhängig­keit.

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[ Reuters ] „Freiheit für Katalonien“: Wütende Katalanen fordern in Barcelona das „Selbstbest­immungsrec­ht“.

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