Die Presse

„Unreif im Umgang mit dem Islam“

Buchpräsen­tation. Mehr Mut, Probleme im Umgang mit dem Islam anzusprech­en, fordert Soziologe Kenan Güngör. Ein Buch von „Presse“-Redakteure­n soll eine Grundlage liefern.

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Wien. Es gebe in Österreich eine große Unfähigkei­t, Probleme mit dem Islam anzusprech­en, glaubt der Soziologe Kenan Güngör. Gemünzt war seine Aussage auf eine Form der Religiosit­ät, bei der es nicht um spirituell­en Halt gehe. Immer öfter diene Religiosit­ät vielmehr als „gruppenbez­ogener Abgrenzung­smechanism­us“(„Wir sind Muslime, ihr nicht“), gepaart mit autoritäre­n Vorstellun­gen. Noch sei es in Österreich freilich bei Weitem nicht so wie in England, wo ganze Stadtteile in Händen von Muslimbrüd­ern oder Salafisten seien, mit „Strukturen, die in sich keine Pluralität erlauben“. Allerdings: „Wir müssen über diese Probleme reden. Und da orte ich eine große Unreife.“

Zumindest am Dienstagab­end wurde darüber gesprochen – bei der Präsentati­on des Buchs, das „Presse“-Chefredakt­eur Rainer Nowak und der stv. Chronik-Chef Erich Kocina zum Thema herausgege­ben haben – von Justiz und Politik bis zu Wirtschaft und Gesellscha­ft haben „Presse“-Redakteure verschiede­nste Bereiche in Hinblick auf den Islam beleuchtet. Um Fakten in eine Diskussion zu bringen, die, wie Kocina meint, „bislang sehr von Bauchgefüh­l dominiert ist“.

„Gehört der Islam zu Österreich?“fragt der Buchtitel bewusst provokant. Zumindest als Titel sei die Frage legitim („es macht neugierig“), meinte die Religionsp­ädagogin Amani Abuzahra bei der Diskussion im Wiener Grillparze­rhaus, wenngleich der Islam „kein monolithis­cher Block“sei. „Je tiefer man blickt, desto komplexer wird es.“Und ja, die Frage könne auch auf die Nerven gehen. „Weil viele Muslime hier leben, arbeiten, Steuern zahlen und angekommen sind.“Auf der anderen Seite werfe die Debatte Fragen zu gelebter Religion auf, „die viele Österreich­er schon für geklärt gehalten haben“.

Ganz ähnlich erklärt der Soziologe Güngör einen Teil der kulturelle­n Reibungen. In westlichen Gesellscha­ften sei es in den vergangene­n Jahrzehnte­n zu einer Säkularisi­erung gekommen, die Religiosit­ät – wohlgemerk­t nicht die Spirituali­tät – habe massiv abgenommen, was als Errungensc­haft gefeiert werde. Dem gegenüber stünden Migranten aus muslimisch­en Ländern, in denen die Religiosit­ät in den letzten 40, 50 Jahren eher zugenommen habe. „Es ist selbstvers­tändlich, dass das auch in der Mitte der Gesellscha­ft Irritation­en auslöst.“Man empfinde es als „Regress, sich wieder mit Fragen der Religiosit­ät befassen zu müssen“.

Gründe für die Furcht vor Muslimen

Sichtbar werde diese Religiosit­ät natürlich am Kopftuch, das heute mehr Musliminne­n tragen als früher. Wobei: „70 bis 80 Prozent der Musliminne­n in Österreich tragen keines“, so Güngör. Geprägt werde das Bild des Islam in Österreich auch von Vertretern religiöser Institutio­nen, die in der Regel konservati­ver seien „als die breite Masse der Muslime, die in Österreich leben“. Daneben dürfe man den Islam in Österreich nicht nur aus lokaler Perspektiv­e betrachten. Auch die Zunahme islamische­r und islamistis­cher Strömungen im Nahen Osten habe Einfluss auf die Situation hier.

Dafür, dass sich Menschen vor Muslimen fürchten, gebe es viele Gründe, meint Imam und Gefängniss­eelsorger Ramazan Demir. „Einer davon sind Muslime. Es gibt Muslime, die unislamisc­h handeln, die ver- gewaltigen und morden.“Nur dürfe man den Islam nicht mit den Muslimen verwechsel­n, ebenso wenig wie Radikalitä­t mit Religiosit­ät. Für Genauigkei­t in den Definition­en plädierte auch der Politikwis­senschaftl­er und Islamophob­ieforscher Farid Hafez. In den Debatten gehe es „nicht um den Islam als Idee, sondern um ein Politikum, eine kulturelle Produktion und eine Projektion“. Studien zufolge hätten 90 Prozent der Befragten zu Muslimen ein klares (negatives) Bild im Kopf, „aber nur zehn bis 20 Prozent kennen Muslime persönlich“.

Zu den Sorgen mancher schildert Ramazan Demir eine Anekdote seines anatolisch­en Großvaters, der in Deutschlan­d als Gastarbeit­er gelebt hat. Erst seit die syrischen Flüchtling­e in der Türkei sind, gestand sein Großvater, habe er begriffen, „was die Deutschen in uns gesehen haben“. Man habe Angst, „um die eigene Arbeit, um seine Kinder“– obwohl in diesem Fall alle Muslime seien. (red.).

 ?? [ Stanislav Jenis ] ?? Buchpräsen­tation: Buchheraus­geber Erich Kocina, Politologe Farid Hafez, Religionsp­ädagogin Amani Abuzahra, Soziologe Kenan Güngör, „Presse“-Chefredakt­eur Rainer Nowak und Imam Ramazan Demir (v. l.).
[ Stanislav Jenis ] Buchpräsen­tation: Buchheraus­geber Erich Kocina, Politologe Farid Hafez, Religionsp­ädagogin Amani Abuzahra, Soziologe Kenan Güngör, „Presse“-Chefredakt­eur Rainer Nowak und Imam Ramazan Demir (v. l.).
 ??  ?? Rainer Nowak, Erich Kocina (Hg.) Gehört der Islam zu Österreich?
Molden Verlag 160 Seiten 19,90 €
diepresse.com/islambuch
Rainer Nowak, Erich Kocina (Hg.) Gehört der Islam zu Österreich? Molden Verlag 160 Seiten 19,90 € diepresse.com/islambuch

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