Die Presse

Kein Turnen für Kinder mehr?

Urteilsfol­gen. Der Prozess um ein verletztes Mädchen löst eine Debatte um das Betreuungs­verhältnis aus. Die Pädagogen warnen vor den Folgen.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. „Das Urteil führt zur totalen Verunsiche­rung bei den Kindergart­enpädagogi­nnen“, meint Harald Walser, Bildungssp­recher der Grünen. Und der Gesetzgebe­r sei mitschuld an den Geschehnis­sen, meint der Abgeordnet­e. Denn das Betreuungs­verhältnis zwischen Kindergärt­nern und Kindern sei zu schlecht, sagt Walser zur „Presse“

Es ist eine Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fs (OGH) zu einem Kindergart­enunfall, der für die aktuelle Aufregung sorgt. Der OGH hatte die Schadeners­atzforderu­ng eines fünfjährig­en Mädchens bejaht („Die Presse“berichtete am Montag). Die Kindergärt­nerin stand nicht daneben, als es das Mädchen von einer auf der Sprossenwa­nd eingehängt­en Langbank rutschen ließ. Die Frau, die allein auf 21 Kinder aufpasste, war anderwerti­g im Raum beschäftig­t. Die Höchstrich­ter orteten einen Verstoß der Kindergart­enpädagogi­n gegen die Sorgfaltsp­flichten. Für den Schaden aufkommen wird die Gemeinde als Halterin des Kindergart­ens.

Das Betreuungs­verhältnis ist von Bundesland zu Bundesland unterschie­dlich geregelt. Die Vorgaben schwanken bei den 3- bis 6-Jährigen zwischen 1:7 (Pädagoge zu Kin- dern) und 1:16,7. In der Praxis sollen in machen Situatione­n aber noch mehr Kinder auf einen Betreuer kommen können. Walser wünscht sich langfristi­g ein Verhältnis von 1:7 zwischen Kindergart­enpädagoge­n und Kindern in ganz Österreich, so wie es in Finnland sei. Um dafür genug Personal zu haben, müsse man Kindergärt­ner so gut zahlen wie Pflichtsch­ullehrer, fordert der Grüne. Zudem sollen Kindergart­enpädagoge­n eine bessere Ausbildung (samt Bakkalaure­at) erhalten.

Walser wirft Familienmi­nisterin Sophie Karmasin vor, zu wenig für ein gutes Betreuungs­verhältnis in den Ländern getan zu haben. „Die Kinderbetr­euung ist Länderkomp­etenz, damit ist auch die Verbesseru­ng des Betreuungs­schlüssels Aufgabe der Länder“, entgegnet Karmasins Ministeriu­m. Der Bund habe aber einen Zweckzusch­uss beigestell­t.

„Nur mehr auf Polstern sitzen lassen?“

Warnenden Worte kamen vom Berufsverb­and der Kindergart­enpädagoge­n. Er fürchtet, dass als Folge des Urteils immer mehr Pädagogen Bewegungse­inheiten mit den Kinder meiden könnten. Solle man künftig „Kinder nur mehr auf Polstern sitzen lassen, damit sie weich fallen?“, fragte der Verband. Auch er fordert mehr Personal.

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