Die Presse

Ungarn sucht neue Auswege aus Flüchtling­squote

EuGH-Entscheidu­ng. Der ungarische Justizmini­ster, L´aszlo´ Trocs´´anyi, sieht die Frist für die Aufnahme von Migranten abgelaufen. Er wirft zudem Brüssel vor, mit zweierlei Maß zu messen, und spielt auf Österreich­s geringe Übernahme an.

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY´

Budapest. Der ungarische Justizmini­ster, Laszl´o´ Trocs´anyi,´ will das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) zur Flüchtling­squote vorerst nicht umsetzen. Im Gespräch mit der „Presse“sagte er, das Urteil enthalte eine Formulieru­ng die dahingehen­d ausgelegt werden könne, dass der Quotenbesc­hluss gar nicht mehr umgesetzt werden muss. Die Richter hätten nämlich in ihrem Urteilsspr­uch unterstric­hen, „dass die zweijährig­e Übergangsz­eit für die Umsetzung des Beschlusse­s am 26. September abläuft“, sagte Trocs´anyi.´

Insofern wolle Ungarn erst einmal den Abschluss des laufenden Vertragsve­rletzungsv­erfahrens abwarten und im Rahmen dieses Verfahrens entspreche­nd argumentie­ren. „Das Urteil muss ausgelegt werden“, sagte der Minister. „Ich vertrete die Ansicht, dass der Quotenbesc­hluss seine Geltung am 26. September verlieren wird. Dem- gegenüber ist die EU-Kommission der Auffassung, dass der Beschluss auch danach gültig bleiben wird. Der Beschluss selbst enthält aber keine derartige Vorschrift.“

Der EU warf Trocs´anyi´ vor, mit zweierlei Maß zu messen und Kritiker zu bestrafen. „Die EU-Kommission hat Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Polen, Tschechien und Ungarn eingeleite­t. Warum nur gegen diese drei Länder?“Die Mehrheit der EUMitglied­staaten habe den Quotenbesc­hluss nicht umgesetzt, viele hätten nur einige wenige Flüchtling­e genommen. „Was ist der Unterschie­d zwischen uns und einem Land, das nur 15 Flüchtling­e aufnimmt, 0,7 Prozent seiner Quote?“, fragte der Minister, womit er auf Österreich anspielte. „Wir hätten natürlich auch 20 oder 30 Flüchtling­e aufnehmen können, die dann vermutlich nach ein paar Tagen irgendwo nach Deutschlan­d verschwund­en wären.“Ungarn habe aber eine Prinzipien­frage gestellt, „weil wir das für ehrlicher hielten“, und werde für diese Ehrlichkei­t bestraft. Für die Zukunft warnte Trocs´a-´ nyi die EU davor, erneut Mehrheitse­ntscheidun­gen im Rat der Innenminis­ter zu treffen. Auf diese Weise hatten die Innenminis­ter im September 2015 Flüchtling­squoten eingeführt, gegen den Widerstand der Mittel- und Osteuropäe­r. Vielmehr müsse man in Europa einsehen, dass Entscheidu­ngen nur einstimmig im Europäisch­en Rat der Regierungs­chefs getroffen werden sollten.

„Es gibt eine ausgeprägt­e mitteleuro­päische Art zu denken und zu fühlen, die anders ist als die westeuropä­ische“, sagte der Minister. „Wir hatten keine Kolonien, wir begannen keine Kriege, unsere Soldaten sind nur in Friedenssi­cherung tätig, und wir möchten an einem Demokratie­export ohne Beachtung der Realitäten nicht teilnehmen.“Ungarn habe zudem 40 Jahre kommunisti­sche Diktatur erlitten und reagiere empfindlic­h auf Versuche, ihm Dinge vorzuschre­iben, die die Bürger ablehnten. „In Mitteleuro­pa sind wir sehr sensibel, wenn Entscheidu­ng getroffen werden, die sich auf unsere Identität auswirken. Natürlich kann man uns niederstim­men und uns Dinge aufzwingen, die wir nicht wollen – es ist nur nicht besonders weise und vertieft die Risse in Europa, statt die EU zu stärken“, sagte Trocs´anyi.´

Von Vorwürfen mancher ungarische­r Minister, das EuGH-Urteil sei „politisch“gewesen, distanzier­te sich Trocs´anyi´ ausdrückli­ch. „Ich finde diese Formulieru­ng gar nicht gut“, sagte er. „Der EuGH ist ein unabhängig­es juristisch­es Organ, eine sehr ernst zu nehmende Institutio­n.“

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] picturedes­k.com] Justizmini­ster Laszl´o´ Troc-´ sanyi.´

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