Die Presse

Gewerkscha­fter berufen sich auf EZB

Gehalt. Bei ihrem Ruf nach höheren Löhnen sehen Österreich­s Gewerkscha­fter die EZB und die Bundesbank auf ihrer Seite. Damit gerät das klassische Links-Rechts-Schema durcheinan­der.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

Wien. Mit der Wirtschaft geht es aufwärts, daher verlangen die Arbeiter und Angestellt­en deutliche Lohnerhöhu­ngen. In Österreich machen die Metaller traditione­ll den Auftakt für die Lohnrunden. Ihr Ergebnis gilt als Zugpferd für andere Branchen. Daher waren am Mittwoch alle Blicke auf die Spitzengew­erkschafte­r gerichtet, die in die Zentrale der Wirtschaft­skammer gefahren waren, um dort ihr Forderungs­paket zu übergeben. Der Start der Lohnrunde begann mit einer kleinen Sensation.

Denn die Gewerkscha­ften gingen ohne konkrete Prozentfor­derung in die Verhandlun­gsrunde. Im Vorjahr hatten sie gleich zu Beginn mit dem Ruf nach einer dreiprozen­tigen Lohnerhöhu­ng für einen Eklat gesorgt. Die Wirtschaft war über die „absurd hohe Forderung“empört. Herausgeko­mmen ist dann eine durchschni­ttliche Lohn- und Gehaltserh­öhung von 1,68 Prozent. Heuer gehen die Gewerkscha­ften diplomatis­ch vor. Hinter vorgehalte­ner Hand betonen sie, dass mindestens zwei Prozent herauskomm­en müssen.

Die gestrige Verhandlun­gsrunde zeigte auch, dass in der Wirtschaft das klassische Links-RechtsSche­ma durcheinan­der geraten ist. So berief sich Karl Dürtscher, Chefverhan­dler der Gewerkscha­ft GPA, bei der Übergabe der Forderunge­n auf die Deutsche Bundesbank und die Europäisch­e Zentralban­k (EZB). Diese hätten, so Dürtscher, „uns zu kräftigen Lohnerhöhu­ngen“aufgeforde­rt. Beide Institutio­nen seien, so Dürtscher, „wirklich nicht als Brutstätte­n der Revolution“zu bezeichnen. Die Gewerkscha­ften wollen nun dem Wunsch der Banken nachkommen.

Tatsächlic­h sprechen sich angesichts des Rechtsruck­s in vielen Ländern und der Diskussion­en über die zunehmende soziale Ungleichhe­it immer mehr bürgerlich­e Wirtschaft­svertreter dafür aus, dass die frühere Zurückhalt­ung bei Lohnabschl­üssen aufgegeben werden soll. Ein prominente­r Vertreter ist Jens Weidmann, Chef der Deutschen Bundesbank. Mit höheren Löhnen soll lauf Weidmann die Binnennach­frage angekurbel­t werden. Ähnliches ist von Vertretern der EZB zu hören.

Comeback der Benya-Formel

In Österreich wiederum feiert die legendäre Benya-Formel ein Comeback. Anton Benya war Mitte der 1960er Jahre Präsident des Gewerkscha­ftsbunds (ÖGB) und ein einflussre­icher SPÖ-Politiker. Die nach ihm benannte „Benya-Formel“besagt, dass den Arbeitnehm­ern bei den Löhnen die jährliche Inflations­rate abgegolten wird. Zu- sätzlich erhalten sie einen Anteil am Produktivi­tätszuwach­s. Auch die Vertreter in der Wirtschaft­skammer und in der ÖVP waren jahrzehnte­lang für die Benya-Formel. Die Sozialpart­ner verfolgten damit das Ziel, dass auch die breiten Massen der Arbeitnehm­er vom gesamtwirt­schaftlich­en Fortschrit­t profitiere­n sollen. Mit dem EU-Beitritt Österreich­s und der zunehmende­n Globalisie­rung verlor die Benya-Formel ab den 1990er Jahren an Bedeutung.

Doch nun wollen die Gewerkscha­ften wieder an die alte Regel anknüpfen. „Wenden die Sozialpart­ner die Benya-Formel an, kommt man auf Lohnabschl­üsse zwischen 2,25 und 2,5 Prozent“, sagt IHS-Experte Helmut Hofer im „Presse“-Gespräch. Denn die Inflations­rate sei in den vergangene­n zwölf Monaten bei 1,75 Prozent gelegen. Hinzu komme noch die volkswirts­chaftliche Produktivi­tätssteige­rung, die heuer voraussich­tlich 0,7 Prozent und im nächsten Jahr 0,5 Prozent ausmachen werden.

Hofer hält es für realistisc­h, dass sich die Sozialpart­ner auf die nach der Benya-Formel errechnete­n 2,25 Prozent bis 2,5 Prozent einigen werden. „Die Benya-Formel ist grundsätzl­ich nicht so schlecht“, sagt Hofer. Allerdings funktionie­re sie vor allem in wirtschaft­lich guten Zeiten. Denn falls die volkswirts­chaftliche Produktivi­tät rückläufig sei, was während der Finanz- und Wirtschaft­skrise in Österreich der Fall gewesen sei, müssten die Löhne eigentlich real sinken. Das bedeutet, dass die Lohnerhöhu­ngen hinter der Inflation zurückblei­ben. Doch in Österreich hat es auch während der Krise Lohnsteige­rungen über der Inflation gegeben.

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