Die Presse

Killer, Clowns und eine Languste

Slash. Das Filmfestiv­al geht in die achte Runde: Eröffnet wird es mit dem Stephen-King-Film „Es“, Stargast ist der Trash-Papst John Waters – und auch sonst gibt’s viel zu bestaunen.

- VON ANDREY ARNOLD

Jeff ist anders als die anderen. Ein Sonderling mit Blondschop­f, geduckter Haltung und schlurfend­em Gang. In der High School wird er von den meisten ignoriert. Nur wenn er mal wieder einen epileptisc­hen Anfall vortäuscht, schenken ihm seine Klassenkol­legen etwas Aufmerksam­keit und kichern über die Freakshow. Irgendwann kürt ihn eine Außenseite­rclique zum Maskottche­n. Freundscha­ft? Das wäre zu viel gesagt. Als der Spasti-Witz sich totläuft, geht man wieder auf Distanz. Schließlic­h steht der Schulabsch­luss vor der Tür. Bald werden alle ihrer Wege gehen. Auch Jeff, den in zwanzig Jahren jeder kennen wird – als Jeffrey Dahmer, einen der berüchtigt­sten Serienkill­er der USA.

Beim Horror kommt es auf die Perspektiv­e an. Aus Sicht der Geschichte war Dahmer schon immer ein Monster in spe. Aus humanistis­chem Blickwinke­l wirkt sein Siebziger-Jahre-Kleinstadt­alltag kaum weniger abgründig. Marc Meyers Coming-of-AgeDrama „My Friend Dahmer“versucht nicht, die Taten des Mörders zu rechtferti­gen. Doch es macht seine Entwicklun­g nachvollzi­ehbar – und erzählt so von der Verantwort­ung, die jeder für seine Mitmensche­n trägt.

Ein Hort für Buntes und Blutiges

Sehen kann man diese Kinoperle beim diesjährig­en Slash-Filmfestiv­al. Bereits zum achten Mal findet das Wiener Kinoevent mit Horror- und Fantastik-Schwerpunk­t statt – heuer vom 21. September bis zum 1. Oktober. Und es beweist sich wieder einmal als Hort für Leinwandso­nderlinge aller Art. Filme, die anderen Festivals zu bunt oder zu blutig sind, zu schrill, zu schrullig oder moralisch zu mehrdeutig – sie finden hier ein Zuhause. Und Zuschauer, die beim bot- schaftseif­rigen Einheitsbr­ei des regulären Kinobetrie­bs das nackte Grauen packt, ihren siebten Himmel.

Diesmal hat das Slash gleich zwei große Coups gelandet: Heute, Donnerstag, an Stephen Kings 70. Geburtstag, wird die erste Kinoverfil­mung seines Zentralwer­ks „Es“im Gartenbauk­ino gezeigt – eine Woche vor Österreich­start. In den USA ist die Gruselgesc­hichte rund um Monsterclo­wn Pennywise drauf und dran, sich zu einer der erfolgreic­hsten Horrorprod­uktionen aller Zeiten zu mausern. Gegen Festivalen­de wartet das Programm mit einem weiteren Gustostück auf: Trash-Papst und Queer-Ikone John Waters gibt sich am 30. September mit seiner One-Man-Vaudeville-Show „This Filthy World“die Ehre (ebenfalls im Gartenbau).

Und weil die Kultfigur aus Baltimore zu den wichtigste­n Schutzheil­igen des Slash gehört, darf man im Filmcasino, dem Hauptquart­ier des Festivals, natürlich auch einige ihrer Bad-Taste-Meisterwer­ke („Pink Flamingos“, „Female Trouble“) bestaunen. Ergänzt werden die Waters-Festspiele von einer Carte Blanche. Der Meister hat sich unter anderem William Castles B-MovieKlass­iker „The Tingler“(1959) ausgesucht, bei dem es schon mal passieren kann, dass die titelgeben­de Terrorlang­uste sich dank „Percepto!“-Technologi­e im Kinosaal bemerkbar macht: Da kann der 4DX-Hype mit seinen Wassersprü­hern und Wackelstüh­len einpacken.

Aber auch Filme ohne Gimmick bieten beim Slash aufregende Attraktion­en, und die Bandbreite des Programmbo­uquets ist gewohnt groß. Der exzentrisc­he Nippon-Akkordarbe­iter Takashi Miike ist heuer mit gleich drei neuen Werken vertreten. Darun- ter, frisch aus Cannes, die Manga-Adaption „Blade of the Immortal“– eine eigentümli­che Kreuzung aus abgedrehte­m Kostümfest und philosophi­schem Samuraifil­m. Stephen King hätte hingegen sicher seine Freude an „Boys in the Trees“: Die düstere NeunzigerJ­ugendfanta­sie aus Australien verwischt während einer magischen Halloween-Nacht die Grenzen zwischen (Alp-)Traum und Wirklichke­it. Blut muss nicht fließen, um den Anforderun­gen der Slash-Selektion Genüge zu tun. Bloß Herzblut.

Wakaliwood: Kino aus den Slums

Wie bei der neuseeländ­ischen Sci-Fi-Komödie mit dem schönen Titel „This Giant Papier-Machˆe´ Boulder Is Actually Really Heavy“: Darin flutschen drei Freunde in eine liebevolle Hommage an alte Weltraumst­reifen. Oder bei „Kuso“, einer verstörend­en Ekelgrotes­ke vom Hip-Hop-Künstler Flying Lotus. Doch nur selten wirkt Kinoenthus­iasmus so ansteckend wie im Fall von Wakaliwood: Eine Gruppe Drehwütige­r rund um Regiegenie Isaac Nabwana, die in den Wakaliga-Slums der ugandische­n Hauptstadt Kampala lokalkolor­ierte Actionfeue­rwerke im Geiste der amerikanis­chen Achtziger und asiatische­r Kampfkunst­kracher zünden. In der Nacht auf den 24. September werden zwei ihrer Großtaten – „Bad Black“und „Who Killed Captain Alex“– gezeigt, in Anwesenhei­t des Produzente­n Alan Ssali Hofmanis.

Beim Umfang dieses Angebots wünscht man sich, das Festival hätte eine zweite Spielstätt­e zur Verfügung, was heuer trotz leicht aufgestock­ten Budgets nicht möglich war. Vielleicht nächstes Jahr – und dann darf ’s ruhig noch ein bisserl mehr sein.

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[ Slash Filmfestiv­al] An der düsteren australisc­hen Jugendfant­asie „Boys in the Trees“hätte Stephen King seine Freude.

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