Killer, Clowns und eine Languste
Slash. Das Filmfestival geht in die achte Runde: Eröffnet wird es mit dem Stephen-King-Film „Es“, Stargast ist der Trash-Papst John Waters – und auch sonst gibt’s viel zu bestaunen.
Jeff ist anders als die anderen. Ein Sonderling mit Blondschopf, geduckter Haltung und schlurfendem Gang. In der High School wird er von den meisten ignoriert. Nur wenn er mal wieder einen epileptischen Anfall vortäuscht, schenken ihm seine Klassenkollegen etwas Aufmerksamkeit und kichern über die Freakshow. Irgendwann kürt ihn eine Außenseiterclique zum Maskottchen. Freundschaft? Das wäre zu viel gesagt. Als der Spasti-Witz sich totläuft, geht man wieder auf Distanz. Schließlich steht der Schulabschluss vor der Tür. Bald werden alle ihrer Wege gehen. Auch Jeff, den in zwanzig Jahren jeder kennen wird – als Jeffrey Dahmer, einen der berüchtigtsten Serienkiller der USA.
Beim Horror kommt es auf die Perspektive an. Aus Sicht der Geschichte war Dahmer schon immer ein Monster in spe. Aus humanistischem Blickwinkel wirkt sein Siebziger-Jahre-Kleinstadtalltag kaum weniger abgründig. Marc Meyers Coming-of-AgeDrama „My Friend Dahmer“versucht nicht, die Taten des Mörders zu rechtfertigen. Doch es macht seine Entwicklung nachvollziehbar – und erzählt so von der Verantwortung, die jeder für seine Mitmenschen trägt.
Ein Hort für Buntes und Blutiges
Sehen kann man diese Kinoperle beim diesjährigen Slash-Filmfestival. Bereits zum achten Mal findet das Wiener Kinoevent mit Horror- und Fantastik-Schwerpunkt statt – heuer vom 21. September bis zum 1. Oktober. Und es beweist sich wieder einmal als Hort für Leinwandsonderlinge aller Art. Filme, die anderen Festivals zu bunt oder zu blutig sind, zu schrill, zu schrullig oder moralisch zu mehrdeutig – sie finden hier ein Zuhause. Und Zuschauer, die beim bot- schaftseifrigen Einheitsbrei des regulären Kinobetriebs das nackte Grauen packt, ihren siebten Himmel.
Diesmal hat das Slash gleich zwei große Coups gelandet: Heute, Donnerstag, an Stephen Kings 70. Geburtstag, wird die erste Kinoverfilmung seines Zentralwerks „Es“im Gartenbaukino gezeigt – eine Woche vor Österreichstart. In den USA ist die Gruselgeschichte rund um Monsterclown Pennywise drauf und dran, sich zu einer der erfolgreichsten Horrorproduktionen aller Zeiten zu mausern. Gegen Festivalende wartet das Programm mit einem weiteren Gustostück auf: Trash-Papst und Queer-Ikone John Waters gibt sich am 30. September mit seiner One-Man-Vaudeville-Show „This Filthy World“die Ehre (ebenfalls im Gartenbau).
Und weil die Kultfigur aus Baltimore zu den wichtigsten Schutzheiligen des Slash gehört, darf man im Filmcasino, dem Hauptquartier des Festivals, natürlich auch einige ihrer Bad-Taste-Meisterwerke („Pink Flamingos“, „Female Trouble“) bestaunen. Ergänzt werden die Waters-Festspiele von einer Carte Blanche. Der Meister hat sich unter anderem William Castles B-MovieKlassiker „The Tingler“(1959) ausgesucht, bei dem es schon mal passieren kann, dass die titelgebende Terrorlanguste sich dank „Percepto!“-Technologie im Kinosaal bemerkbar macht: Da kann der 4DX-Hype mit seinen Wassersprühern und Wackelstühlen einpacken.
Aber auch Filme ohne Gimmick bieten beim Slash aufregende Attraktionen, und die Bandbreite des Programmbouquets ist gewohnt groß. Der exzentrische Nippon-Akkordarbeiter Takashi Miike ist heuer mit gleich drei neuen Werken vertreten. Darun- ter, frisch aus Cannes, die Manga-Adaption „Blade of the Immortal“– eine eigentümliche Kreuzung aus abgedrehtem Kostümfest und philosophischem Samuraifilm. Stephen King hätte hingegen sicher seine Freude an „Boys in the Trees“: Die düstere NeunzigerJugendfantasie aus Australien verwischt während einer magischen Halloween-Nacht die Grenzen zwischen (Alp-)Traum und Wirklichkeit. Blut muss nicht fließen, um den Anforderungen der Slash-Selektion Genüge zu tun. Bloß Herzblut.
Wakaliwood: Kino aus den Slums
Wie bei der neuseeländischen Sci-Fi-Komödie mit dem schönen Titel „This Giant Papier-Machˆe´ Boulder Is Actually Really Heavy“: Darin flutschen drei Freunde in eine liebevolle Hommage an alte Weltraumstreifen. Oder bei „Kuso“, einer verstörenden Ekelgroteske vom Hip-Hop-Künstler Flying Lotus. Doch nur selten wirkt Kinoenthusiasmus so ansteckend wie im Fall von Wakaliwood: Eine Gruppe Drehwütiger rund um Regiegenie Isaac Nabwana, die in den Wakaliga-Slums der ugandischen Hauptstadt Kampala lokalkolorierte Actionfeuerwerke im Geiste der amerikanischen Achtziger und asiatischer Kampfkunstkracher zünden. In der Nacht auf den 24. September werden zwei ihrer Großtaten – „Bad Black“und „Who Killed Captain Alex“– gezeigt, in Anwesenheit des Produzenten Alan Ssali Hofmanis.
Beim Umfang dieses Angebots wünscht man sich, das Festival hätte eine zweite Spielstätte zur Verfügung, was heuer trotz leicht aufgestockten Budgets nicht möglich war. Vielleicht nächstes Jahr – und dann darf ’s ruhig noch ein bisserl mehr sein.