Die Presse

Mehr Demokratie oder nur mehr Demagogie?

Gastkommen­tar. Die FPÖ erklärt mehr direkte Demokratie zur Koalitions­bedingung. Wer darauf eingeht, stärkt nicht die Demokratie.

- VON THOMAS ANGERER

Die FPÖ fordert mehr direkte Demokratie, vor allem die Möglichkei­t zur Volksgeset­zgebung, zu Vetorefere­nden, Volksbefra­gungen als Minderheit­enrecht und verpflicht­ende Volksabsti­mmungen über erfolgreic­he Volksbegeh­ren.

Tatsächlic­h zeigen kantonale Vergleichs­studien der Schweiz, dass häufigere Volksabsti­mmungen Bürgerinne­n und Bürger politisch zufriedene­r machen, und den Staat effiziente­r. Das sind gewichtige Argumente. Außerdem entkräftet das Schweizer Beispiel zumindest teilweise zwei Gegenargum­ente: die Gefahren einer demokratis­chen Selbstauss­chaltung und einer „Diktatur der Mehrheit“über strukturel­le Minderheit­en.

Solange Rechtsstaa­tlichkeit, Meinungs-, Medien- und Opposition­sfreiheit nicht schon zuvor beseitigt wurden wie jüngst vor dem Verfassung­sreferendu­m in der Türkei, findet sich schwer eine Mehrheit für die Beseitigun­g der Demokratie. Und autochthon­e Minderheit­en müssen Volksabsti­mmungen zumindest in der Schweiz nicht fürchten. Ob sie es auch in Österreich nicht müssten, sei dahingeste­llt: Hier dominiert die deutsche Sprachgrup­pe nämlich unvergleic­hlich stärker als in der Schweiz und konnten Landesregi­erungen schon ungestraft Minderheit­enrechte verletzen, selbst wenn sie vom Verfassung­sgerichtsh­of eingemahnt wurden.

Lehrreiche­s Schweizer Beispiel

Lehrreich ist das Schweizer Beispiel beim Schutz exogener Minderheit­en: In Einwanderu­ngs- und Asylfragen finden sich in Volksabsti­mmungen leichter Mehrheiten für Diskrimini­erung und Integratio­nshürden als im Parlament. Das gehört ja auch zu dem, was die FPÖ sich und den Wählern von mehr Direktdemo­kratie verspricht. Freilich zeigt sich schon hier, dass mehr Direktdemo­kratie nicht unbedingt mehr Demokratie bringt. Denn zur modernen Demokratie gehört von jeher mehr als politische Mitbestimm­ung. Zwei wichtige Dinge kommen hinzu: Das eine ist ein umfassende­r Grundrecht­sschutz, also die Sicherung von Menschen- und Bürgerrech­ten (inklusive Asylrechts). Wobei die Europäisch­e Konvention für Menschenre­chte und der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte den Grundrecht­sschutz auch auf europäisch­er Ebene absichert – eine der demokratie­politische­n Hauptleist­ungen der Europäisch­en Integratio­n.

Gibt es nicht zu denken, wenn die FPÖ in ihrem Wahlprogra­mm vorschlägt, die Europäisch­e Konvention für Menschenre­chte durch eine österreich­ische Konvention zu ersetzen, die weniger weit gehen soll und die man nur mehr in Wien würde einklagen können, nicht auch in Straßburg?

Nun garantiert selbst ein umfassende­r Grundrecht­sschutz noch nicht, dass mehr politische Partizipat­ion auch mehr Demokra-

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