Wenn Logistik Leben rettet
Satellitenbilder, Drohnen und Mapping Parties: Bei Hilfseinsätzen in entlegenen Regionen setzt Ärzte ohne Grenzen modernste Technik ein. Manchmal helfen aber auch einfache Lehmtöpfe.
Sitzt sie im Zug oder in der Straßenbahn und ist ihr langweilig, greift Edith Rogenhofer gern zum Handy. Allerdings nicht, um zu spielen, sondern, um unbekannte Regionen zu erforschen. MapSwipe heißt die App, die Satellitenbilder auf das Display bringt. Zu sehen sind unendlich viel Wald und weite Steppen, nur selten sind Hütten oder kleine weiße Rechtecke zu erkennen, die vielleicht Gebäude sein könnten. Diese markiert Edith Rogenhofer durch ein Tippen auf das Display.
Geoinformationssystem
Was wie ein Suchspiel zur Beruhigung wirkt, hat einen ernsten Hintergrund: Rogenhofer ist Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen. Mehr als 15 Jahre war sie als Logistikerin für die internationale medizinische Hilfsorganisation in zahlreichen Ländern Afrikas, in Afghanistan, Pakistan und Burma im Einsatz. Jetzt leitet sie von Wien aus das Projekt „Geoinformationssysteme“, das für Ärzte ohne Grenzen immer wichtiger wird. Denn Logistik bedeutet für eine medizinische Hilfsorganisation nicht nur, Produkte von A nach B zu bringen. „Es ist für die Wirksamkeit unserer Einsätze entscheidend, den Bedarf möglichst genau zu planen“, sagt die studierte Wasser- und Bohrungstechnikerin. Wie viele Menschen leben dort? Gibt es Strom und Wasser, sind Straßen vorhanden? Das sind zentrale Fragen für eine optimale Logistikkette.
„Gerade in Notsituationen ist es oft die Logistik, die Leben rettet“, weiß Rogenhofer, „aber in vielen Ländern Afrikas gibt es Gegenden, in denen man nicht einmal weiß, ob dort Menschen leben – und schon gar nicht, ob es überhaupt Straßen gibt.“Um diese blinden Flecken in den Einsatzländern sicht- bar zu machen, arbeitet Ärzte ohne Grenzen seit 2010 mit dem Fachbereich für Geoinformatik der Universität Salzburg zusammen.
„Mapathons“gegen blinde Flecken
Satellitenbilder sind auch die Grundlage für die Erstellung von genauem Kartenmaterial für Gebiete, in die sich nicht einmal Backpacker verirren. Erstellt werden sie von Freiwilligen, die sich bei sogenannten Mapathons treffen. Bei diesen Mapping Parties versammeln sich Helfer und arbeiten an den Landkarten, tragen Straßen und Flüsse ein, kennzeichnen Dörfer und Häuser. Alles läuft nach einem ausgeklügelten System: Damit dabei kein Frust und keine leeren Kilometer entstehen, konzentrieren sich die Mapper auf die Regionen, die zuvor von den Smartphone-Entdeckern über die App MapSwipe als bewohnt markiert wurden.
So entstand zuletzt ein Stadtplan von Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo, mit geschätzten – niemand weiß es genau – zehn Millionen Einwohnern, nach Lagos die zweitgrößte Stadt Afrikas, größer als Kairo. Aber wer braucht schon einen Stadtplan von Kinshasa? Rogenhofer lacht und deutet auf ihr blaues T-Shirt: „Save the world – map it“, steht dort. „Nur dank dieser Karte konnten wir in der Stadt eine große Impfaktion gegen Meningitis effizient durchführen, weil wir anhand der eingezeichneten Häuser errechnen konnten, wie viele Menschen dort leben und wo die Ballungszentren sind“, erläutert sie. Wer gern am Laptop die Welt erforscht und dabei noch etwas Gutes tun will: Der nächste Mapathon findet am 19. Oktober in Kooperation mit dem Roten Kreuz in Wien statt.
Doch alle Logistikprobleme lassen sich auch mit Hightech und guter Vorbereitung nicht lösen. „Der Transport von Medikamenten in entlegene Dörfer und deren La- gerung in extrem heißen Ländern sind große Herausforderungen“, sagt Rogenhofer. Auf Papua-Neuguinea wurden dafür auch Drohnen eingesetzt. Der Inselstaat leidet unter einer der höchsten Tuberkuloseraten weltweit. Um schnell helfen zu können, wurden Proben per Drohnen in ein Labor in die 40 Kilometer entfernte Stadt Kerema transportiert.
Das Pilotprojekt ohne Piloten wird allerdings vorläufig nicht weiter ausgerollt. Die Drohnen erwiesen sich unter den extremen Bedingungen als zu anfällig, zudem gibt es viele administrative Hürden für den Einsatz, etwa wegen notwendiger Überfluggenehmigungen.
Kühllogistik mittels Holzkohle
Und manchmal kann die Technik sowieso nicht helfen. Wie können Patienten in Afrika hitzeempfindliches Insulin in ihren Hütten lagern, um sich den Tagesmarsch zur nächsten Klinik zu ersparen und damit für diese Stunden nicht als Mutter oder Ernährer der Familie auszufallen? Strom und Eiskasten – leider Fehlanzeige.
Also entwickelten die Logistiker vor Ort ein simples System aus zwei ineinander gestellten Lehmtöpfen und füllten den Zwischenraum mit Holzkohle. „Diese wird mit Wasser besprüht und die Verdunstungskälte kühlt den inneren Topf von über 40 auf 27 Grad herunter, was für Insulin ausreichend ist“, erläutert Rogenhofer. „So arbeiten wir ständig an der Optimierung unserer Planung und der Ressourcen. Und viele Regionen, über die wir gar nichts wissen, gibt es auch noch.“Sagt sie, greift zum Handy und öffnet die App MapSwipe. Gemeinsam mit dem Interfakultären Fachbereich Geoinformatik der Universität Salzburg hat Ärzte ohne Grenzen ein
entwickelt, das Erkenntnisse über Bevölkerungsdichte, sich verändernde Umweltbedingungen und Grundwasservorkommen liefert. Hilfreich ist das zum Beispiel für Einsätze im unter dem Bürgerkrieg leidenden Südsudan. Anhand solcher Daten lässt sich etwa feststellen, wohin sich Flüchtlingsströme bewegen und wo medizinische Hilfe benötigt wird. Auch nach dem Erdbeben in Haiti, einem Land von dem es keine genauen Bevölkerungszahlen gibt, konnte Ärzte ohne Grenzen dank dieser Bilder den Bedarf an Cholera-Impfstoff ziemlich genau kalkulieren. In kommen freiwillige Helfer zum Einsatz, die sich auf Mapping Parties treffen, um Landkarten zu präzisieren. Ein solcher „Mapathon“findet am 19. Oktober in Kooperation mit dem Roten Kreuz auch in Wien statt.