Die Presse

Ein Braillesch­rift-Lesegerät für die Jackentasc­he

Barrierefr­ei. Wiener Forscher haben ein ringförmig­es Display entwickelt, das sehbehinde­rten und blinden Menschen die mobile Kommunikat­ion erleichter­n soll. Für die Erfindung wurde bereits ein Patent erteilt.

- VON ALICE GRANCY

Für Sehende ist es selbstvers­tändlich. Sie können jederzeit und überall Informatio­nen am Smartphone nachschaue­n. Blinde Menschen brauchen dazu eine Übersetzun­g in die Braillesch­rift. Wiener Forscher haben nun den Prototyp eines mobilen Braille-Lesegeräts entwickelt, der in jede Jackentasc­he passt. „Das Display besteht aus einem Ring, an dessen Innenseite die Buchstaben angezeigt werden“, erklärt Wolfgang Zagler. Der Elektrotec­hniker ging an der TU Wien vor knapp einem Jahr in Pension, seither widmet er sich der bereits patentiert­en Entwicklun­g gemeinsam mit den zwei TU-Absolvente­n Michael Treml und Dominik Busse.

Das Bemühen, Barrieren für blinde und sehbehinde­rte Menschen zu beseitigen, zog sich bereits durch Zaglers gesamte Berufslauf­bahn. Er hatte als Student bei einer Veranstalt­ung, bei der Bibeltexte gelesen wurden, eine junge blinde Grazerin getroffen. Die Be- gegnung wurde für ihn zum Schlüssele­rlebnis: Er sah, wie sehr gut funktionie­rende Hilfsmitte­l die Selbststän­digkeit Betroffene­r fördern können – und wie sehr es sie einschränk­t, wenn sie fehlen.

Man wisse etwa seit Jahrzehnte­n, dass es kein optimales Brailledis­play gibt, sagt Zagler. Sprachsoft­ware, die Texte vorliest, sei kein vollwertig­er Ersatz, außerdem würde eine solche zum Analphabet­ismus bei blinden Kindern und Jugendlich­en beitragen. Bisherige Lösungen für mobile Lesegeräte seien zudem teuer, sperrig und brauchten viel Strom. Außerdem funktionie­rten sie komplizier­t, etwa mit tastbaren Stiftchen, von denen jeder Einzelne einen eigenen Antrieb braucht, und seien dadurch fehleranfä­llig.

Eine unendlich lange Zeile

Die Entwickler wählten für den Prototyp einen gänzlich anderen Ansatz. Sie teilten die sechs tastbaren Punkte, aus denen jeder Buchstabe der Braillesch­rift besteht, in drei Zweiergrup­pen, die sich auf vier Arten kombiniere­n lassen. Werden diese auf den vier Seiten- flächen eines Quaders aufgebrach­t, ergibt sich ein Buchstabe aus der Position von je drei Quadern. Diese sitzen im Inneren des Leserings. Der Nutzer ertastet die Buchstaben in der unteren Hälfte des Ringes. Dabei bewegt er das Display wie eine Computerma­us über die Tischfläch­e. Dadurch entsteht der Eindruck einer unendlich langen Zeile. Bis das mit Handy oder Tablet koppelbare System auf den Markt kommt, ist noch viel Entwicklun­gsarbeit notwendig.

Geplant sind ergonomisc­he Tests und Materialte­sts und eine Feldstudie mit Blinden. Für diese hätten sich schon viele gemeldet, die von der Entwicklun­g gehört haben. Aktuell ist diese für den Social Impact Award nominiert, der am Donnerstag, 28. September, vergeben wird. Danach will man sich der Firmengrün­dung widmen.

Das Unternehme­n soll, angelehnt an die genutzten Quader, Tetragon heißen. „Die ersten Tests haben wir mit Achtecken gemacht, dann hätten wir es Oktagon genannt“, schmunzelt Zagler.

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[ Tetragon] Prototyp des Braille-Lesegeräts.

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