Die Presse

Generalstr­eik legt Region lahm

Analyse. Der Unabhängig­keitskonfl­ikt hat sich längst auf die Straße verlegt: Hunderttau­sende demonstrie­rten gestern, ein Generalstr­eik legte die ostspanisc­he Region lahm. Einzig realistisc­her Ausweg wäre eine internatio­nale Vermittlun­g.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

Der einzig realistisc­he Ausweg aus der Krise wäre eine internatio­nale Vermittlun­g

Madrid/Barcelona. Die Krise in Katalonien droht außer Kontrolle zu geraten: Es sieht derzeit nicht danach aus, als ob Barcelona oder Madrid nachgeben wollten. Die Verlagerun­g des Konfliktes auf die Straße hat den Brand weiter angefacht: Am Dienstag legte ein Generalstr­eik das öffentlich­e Leben in Spaniens wirtschaft­sstärkster Region lahm, die wichtigste­n Verkehrsad­ern wurden blockiert: „Die Straßen werden immer uns gehören“und „Besatzungs­truppen raus“, riefen die Demonstran­ten.

Hunderttau­sende Menschen protestier­ten damit gegen das brutale Vorgehen der spanischen Polizei am Sonntag, die mit Knüppelkom­mandos in Wahllokale eingedrung­en war, um mit Gewalt das illegale Unabhängig­keitsrefer­endum zu unterbinde­n. Weltweit sorgte der Einsatz für Empörung.

Polizisten werden verjagt

Inzwischen drehen die wütenden Massen sogar den Spieß um und versuchen, die von Spanien geschickte­n Einsatzhun­dertschaft­en aus Katalonien zu verjagen. Mehrere Unterkünft­e der spanischen Nationalpo­lizei und der paramilitä­rischen Guardia Civil mussten in den vergangene Stunden bereits geräumt werden, weil die aufgebrach­te Menge mit der Erstürmung ihrer Herbergen drohte. Am Nachmittag belagerten Demonstran­ten in Barcelona das Gebäude der liberalen Partei Ciudadanos, die sich für harsches Vorgehen gegen die Regionalre­gierung ausgesproc­hen hatten. Drei Parteimitg­lieder hätten nur mit Hilfe der katalanisc­hen Polizei die Zentrale verlassen können.

Die Stimmung auf den Straßen ist äußerst gespannt. Die Fronten scheinen unversöhnl­ich. Katalonien, wo der Konflikt jahrelang nur auf niedriger Flamme kochte, hat sich über Nacht in ein Pulverfass verwandelt. Das ist eine gefährlich­e Entwicklun­g, so Beobachter. Nicht nur für Spanien, sondern für ganz Europa. Die Katalonien­krise ist zwar bisher nur ein regionaler Brand im Nordosten Spaniens, er könnte sich aber bald zu einem Flächenbra­nd ausweiten, wenn er nicht schnellste­ns gelöscht wird.

Andere spanische Regionen wie das Baskenland, Valencia und sogar die Balearisch­en Inseln mitsamt Mallorca sehen sich bereits beflügelt. Auch dort wächst der regionale Nationalis­mus, deren Vertreter bereits in allen drei Regionen mitregiere­n. Auch dort gingen die letzten Tage tausende Nationalis­ten auf die Straße und forderten ein Unabhängig­keitsrefer­endum.

Möglicher Ausweg wäre eine neutrale Vermittler­kommission, vielleicht sogar unter Schirmherr­schaft der EU. Die Vermittler müssten allerdings beiden Seiten zunächst einmal ein paar unbequeme Tatsachen ins Stammbuch schreiben: Dazu gehört zum Beispiel der klare Hinweis an die Separatist­enregierun­g in Barcelona, dass Unabhängig­keitsrefer­enden in demokratis­chen Staaten nicht mit der Brechstang­e durchgeset­zt werden können, wenn die Verfassung dies verbietet. Fundamenta­l ist auch die Feststellu­ng, dass der Fahrplan der Sezessioni­sten, die bald eine einseitige Unabhängig­keitserklä­rung folgen lassen wollen, nicht weniger widerrecht­lich ist. Zumal sie nicht einmal eine klare Mehrheit hinter sich haben.

Aber auch an Spaniens Zentralreg­ierung müssten klare Worte gerichtet werden: Denn mit brutalen Knüppelein­sätzen, Tränengas und Gummikugel­n wird sich dieser wachsende Konflikt nicht lösen lassen. Eine gefährlich­e Dynamik, die man in Katalonien bereits beobachten kann, wo selbst viele bisherige Gegner der Unabhängig­keit über das Vorgehen Madrids empört sind. Wie könnte also eine Vermittlun­gslösung aussehen? Vielleicht ist ein Blick über den Tellerrand hilfreich: Im britischen Schottland oder im kanadische­n Quebec´ durften die Bürger ganz legal per Referendum über die Unabhängig­keit abstimmen. In beiden Fällen entschied die Mehrheit gegen die Abspaltung.

Um solche Abstimmung­en zu erlauben, ist politische­r Mut erforderli­ch; und in Madrid der Wille, die Verfassung so zu reformiere­n, dass eine legale Volksabsti­mmung in Katalonien über die Eigenständ­igkeit der Region möglich wird.

Schützenhi­lfe aus Slowenien

Unterstütz­ung für die Katalanen kommt indes aus Slowenien, wo gestern eine Petition zur Unterstütz­ung von Katalonien gestartet worden ist. Prominente Politiker, Intellektu­elle, Journalist­en und Künstler rufen darin die EU-Institutio­nen auf, alles in ihrer Kraft Stehende zu unternehme­n, um einen Dialog zwischen Barcelona und Madrid in Gang zu setzen. Unterstütz­er der Petition sind der erste slowenisch­e Präsident Milan Kucanˇ und Ex-Außenminis­ter Dimitrij Rupel, beide Protagonis­ten des Unabhängig­keitskampf­es.

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[ APA ] Die Wut auf Madrid wächst: Ein katalanisc­her Demonstran­t trägt auf seinem T-Shirt ein Symbol für den friedliche­n Protest gegen die Polizeigew­alt.

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