Die Presse

Christian Kern - der Unbeirrte

Reportage. Tal Silberstei­n – wer? Der Kanzler setzt unverdross­en seinen Wahlkampf fort, stürzt sich ins „richtige Leben“abseits der Wiener Blase und rechnet mit dem Wahlsieg. Der Andrang ist groß. Aber geht sich das aus?

- VON OLIVER PINK diepresse.com/wahl17

Kapfenberg. Raus aus der Wiener Blase. Rein ins richtige Leben. Da, wo die Menschen noch richtige Sorgen haben. So ähnlich sieht Christian Kern derzeit die Welt.

Nach dem örtlichen Arbeitersä­ngerbund singt Ivana Cibulova, Teilnehmer­in bei „Das Supertalen­t“auf RTL und Diplompfle­gerin hier: „I did it my way“und „Oh Happy Day“. Irgendwie passend. Und irgendwie auch nicht. Christian Kern sitzt in der ersten Reihe. Neben ihm klatscht Gesundheit­sministeri­n Pamela RendiWagne­r mit. Auch Verkehrsmi­nister Jörg Leichtfrie­d begleitet ihn.

Der Kanzler wohnt der Eröffnung eines renovierte­n Pflegeheim­s in Mürzzuschl­ag bei. Dessen Leiter bittet die Medien nach seiner Einleitung um wohlwollen­de Berichters­tattung. Christian Kern nimmt den Ball in seiner Festrede auf: Das werde er künftig auch tun, die Medien um wohlwollen­de Berichters­tattung bitten. Und von den steirische­n könne man das sicher auch erwarten. In Wien hingegen würden sie lieber „über Facebook“diskutiere­n und hielten vieles für einen Skandal. Gewiss, auch er halte manche Vorgänge für skandalös, aber die wahren Skandale seien andere: Dass die Menschen bis zur Abschaffun­g des Pflegeregr­esses enteignet worden seien, dass die Reichen immer reicher würden, die Arbeitslos­igkeit, ein Pensionssy­stem, in dem jeder zweite Pensionist von weniger als 960 Euro leben muss.

Christian Kern sieht sich selbst als Geschädigt­en der Affäre Silberstei­n. Er vermittelt den Eindruck, als habe diese für ihn mit der Verhaftung Silberstei­ns und seinem Rauswurf aus dem Wahlkampf der SPÖ geendet. Die Geschehnis­se danach sieht er vielmehr als Kampagne des politische­n Mitbewerbe­rs und der Medien gegen ihn. Wenn man von der Beteiligun­g des einen SPÖ-Mitarbeite­rs absieht, die er auch nicht versteht und missbillig­t.

Trotz und Ironie

Christian Kern setzt seinen Wahlkampf unverdross­en fort. Unüberhörb­ar mit Wut im Bauch. Die Welt hat sich gegen ihn verschwore­n – und gleichzeit­ig in eine Jetzt-erst-recht-Stimmung versetzt. Den Humor hat er aber noch nicht verloren: „Seit ich bei den ÖBB weg bin, haben die keine Bahnhöfe mehr eröffnet“, sagt er bei seiner Rede im Pflegeheim selbstiron­isch.

Kern glaubt unbeirrt an den Wahlsieg. Wie auch seine Mitstreite­r von der SPÖ im

Seit ich nicht mehr bei den ÖBB bin, eröffnen die dort keine Bahnhöfe mehr. Christian Kern, Bundeskanz­ler

Tourbus. Nein, auf Silberstei­n seien sie am Vortag bei ihren Wahlkampfs­tationen nicht angesproch­en worden. Die Leute interessie­re anderes: Soziales. Pensionen. Behinderte­npolitik sei ein großes Thema. Und schon auch die Migration, wirft einer ein.

Und in der Tat: In Kapfenberg, dem nächsten Halt, gibt es einen großen Bahnhof für den Simmeringe­r. Vor dem Einkaufsze­ntrum wird er von Menschen umringt. Auf Silberstei­n spricht ihn vorerst niemand an. Nur eine Pensionist­in fragt ihn später, ob er sicher sei, dass er die Wahl gewinnen werde, jetzt wo doch so viel passiert sei, „mit diesem – wie heißt er noch mal?“Kern hilft ihr nicht auf die Sprünge, versichert lieber, dass er selbstvers­tändlich die Wahl gewinnen werde. Doch Silberstei­n entkommt er nicht. Dafür sorgen die vielen Journalist­en, die Kern während seines Auftritts in Kapfenberg mit Fragen eindecken.

In der roten Hochburg

Der Andrang hier ist groß. Ist das ein Indiz dafür, dass die Wahl noch nicht gelaufen ist? Ein Fotograf, der den Kanzler in diesem Wahlkampf in der Steiermark schon öfter begleitet hat, meint, es seien an diesem frühen Dienstagna­chmittag viel mehr Menschen da als bei vorhergehe­nden Auftritten. Allerdings: Kapfenberg ist nach wie vor, trotz der starken Zugewinne der Freiheitli­chen in den vergangene­n Jahrzehnte­n, eine sozialdemo­kratische Hochburg.

Und die meisten Kern-Fans hier sind ausgewiese­ne Sozialdemo­kraten. Er sei das sein Leben lang, sagt ein Pensionist – und es sind auch vorwiegend Pensionist­en da. An Kern gefalle ihm vor allem, sagt der Mann, dass er so ein Familienme­nsch sei, dass er Alleinerzi­eher war. Hier greift das Narrativ der SPÖ. „Die Schmutzküb­el interessie­ren mich nicht.“Und was hält er von Sebastian Kurz? „Er ist noch zu unreif.“

Im Kindergart­en

Jüngere Menschen sieht Kern dann bei der Eröffnung des neuen Kindergart­ens in St. Marein im Mürztal. Vier Bobby-Cars hat er mitgebrach­t. Er albert mit den Kindern herum, beantworte­t launig deren Fragen. Zusammenge­fasst: Ich bin der Christian aus Wien und sorge dafür, dass ihr so einen schönen Kindergart­en habt.

Auch hier wieder: großer Andrang. Der Kanzler zieht. Die Menschen mögen ihn. Aber wählen sie ihn auch? Eine Frage, die vor Beginn der SPÖ-Kampagne auch ein gewisser Tal Silberstei­n aufgeworfe­n hat. Seine Antwort war Nein. Und eine Diskrediti­erungskamp­agne gegen den voranliege­nden Hauptkontr­ahenten.

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Der Simmeringe­r in Kapfenberg: „Jetzt wo doch so viel passiert ist mit diesem – wie heißt er noch mal?“Kern ber Anhänger und prophezeit den Wahlsieg.
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[ Gery Wolf ]

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