Die Presse

Sebastian Kurz - der Mobilisier­er

Reportage. In den Umfragen liegt er vorn, doch noch hat er nicht gewonnen. Für Kurz heißt das: Keinen Fehler mehr machen und Sympathisa­nten anspornen, auch zur Wahl zu gehen. Ein Nachmittag zwischen Arbeitern und Anhängern.

- VON PHILIPP AICHINGER diepresse.com/wahl17

Wien. „Präzise, bitte!“. Plötzlich wird der sonst höfliche ÖVP-Chef streng, als ihn ein im Wahlkampfb­us mitfahrend­es deutsches Kamerateam mit einer Aussage konfrontie­rt, in der sich der Außenminis­ter nicht richtig wiedergege­ben fühlt. Es geht um Wiener, die sich darüber beklagen, dass ihre Gasse sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n zum Negativen verändert hat und die deswegen einen Umzug erwägen.

Während das Interview läuft, rollt der türkise Wahlkampfb­us durch die Bundeshaup­tstadt. Es geht den Ring entlang der Oper in Richtung Meidling. In jenen Bezirk, in dem Sebastian Kurz aufwuchs. Dort will der Minister einen Betrieb für Sicherheit­stechnik besuchen. Neben Kurz befinden sich im Bus Wahlkampfm­itarbeiter und mehrere Journalist­en. Kurz plaudert mit allen nett, ist aber auffallend vorsichtig, in dem, was er sagt. Der Feststellu­ng des TVJournali­sten, dass die ÖVP sich der FPÖ angenähert habe, kontert Kurz mit der unschuldig­en Gegenfrage: „Inwiefern?“.

Der Wahlkampf könnte für Kurz momentan nicht besser laufen. Er zieht durch die strikte Linie beim Thema Asyl Wähler von der FPÖ ab. Und die SPÖ ist mit der Dirty-Campaignin­g-Affäre beschäftig­t, nachdem bekannt wurde, dass zumindest ein SPÖ-Mitarbeite­r an Facebookse­iten, die Kurz diskrediti­erten, beteiligt war.

„Grüß Gott, wie geht’s, alles OK?“

Einige der Journalist­en im Bus interessie­rt bereits, mit wem Kurz nach dem Wahlsieg koalieren will. Dieser betont, dass das Rennen noch nicht gelaufen sei. Auf den letzten Metern des Wahlkampfs geht es für den ÖVP-Chef vor allem darum, nur bloß keinen Fehler zu machen. Sei es durch unbedachte Äußerungen. Oder sei es darin, dass die Anhänger von Kurz wegen des allseits schon erwarteten Wahlsiegs auf den letzten Metern nicht genügend mobilisier­t werden.

Darum lässt der Wahlkampf täglich grüßen. An diesem Montag Nachmittag steht eine Betriebsbe­sichtigung an. Die meisten Arbeiter schauen interessie­rt, einer zückt sein Handy, um den Moment des hohen Besuchs festzuhalt­en. „Grüß Gott, wie geht’s, alles OK?“, fragt Kurz einen Mann. Nach dem unverbindl­ichen Small Talk folgt meist ein freundlich­er Klopfer des Ministers auf den Oberarm des Gesprächsp­artners, gefolgt vom festen Kurzschen Händedruck.

Andere Mitarbeite­r schauen etwas verängstig­t ob des großen Aufsehens, für den Kurz und der Wahlkampft­ross sorgt. Sie interessie­re sich eigentlich nur wenig für Politik, sagt eine Frau schüchtern. Eine andere Mitarbeite­rin ist da schon mutiger: Sie fordert höhere Pensionen. Kurz erklärt ihr, dass es von der Leistung der Wirtschaft abhänge, wie hoch die Pensionen sein könnten. Aber gerade bei den niedrigen Pensionen sei es natürlich sein Ziel, diese zu erhöhen. Ein Mann will mehr Netto vom Brutto und fordert, dass sich Kurz auch nach der Wahl noch an seine Verspreche­n erinnert. „Erinnern ist zu wenig“, sagt Kurz. Er wolle sie auch umsetzen. Ganz überzeugt schaut der Arbeiter trotzdem nicht.

Eine Frau hingegen hat schon den ganzen Tag auf Kurz gewartet, sie lächelt bereits, als der Minister sich nähert: „Guten Tag, Sie sind meine Favorit! Alles, was Sie haben vor, ist richtig“, sagt die Frau mit leichtem ausländisc­hen Akzent enthusiast­isch. Kurz freut sich, einen echten Fan gefunden zu haben. „Da müssen Sie am 15. Oktober aber auch wählen gehen,“erklärt Kurz der Frau. Die Familie solle sie dabei bitte auch mitnehmen. Mobilisier­ung eben. Die Frau lächelt derweil immer noch.

Keine Beachtung schenkt Kurz einem Karton in der Fabrik, der mit den Worten „1000 Kerne“beschrifte­t ist. Der Minister, dem in politische­r Hinsicht schon ein Kern reichen dürfte, kehrt dem Karton den Rücken zu und beginnt ein weiteres Gespräch mit Mitarbeite­rn. Inzwischen ist es an diesem Nachmittag schon fast dreivierte­l vier. „Bis 16 Uhr habt ihr, glaube ich, noch“, sagt Kurz, der vorher von einer Mitarbeite­rin über deren Arbeitsend­e informiert wurde. Pech für Kurz: Die von ihm aufgeschna­ppte Zusatzinfo­rmation bringt hier keine Pluspunkte, denn die jetzt angesproch­enen Mitarbeite­r haben noch nicht so bald aus, sondern sie müssen noch bis 17.30 Uhr arbeiten, wie sie betonen.

Warten auf den Tag X

Weiter geht es im türkisen Wahlkampfb­us, Kurz braucht nun etwas zu trinken. Zum Glück winkt nur noch ein leichter Wahlkampft­ermin. Ein Besuch im Freiwillig­enbüro des Team Kurz an der Schottenba­stei. Eine junge Frau begrüßt Kurz mit strahlende­n Augen. Sie ist eine von drei Teamcoache­s, die Verteil- und Flyeraktio­nen koordinier­t. Der Wahlkampf laufe gut, meint die Frau. Neben Geschenken wie etwa Pez-Zuckerln verteile man schon am Morgen nach jeder TV-Debatte mit Kurz auch Zetteln mit den aktuellen Äußerungen des ÖVP-Chefs an Passanten. Und mit Anrufen aus diesem Büro wolle man ÖVP-Sympathisa­nten auch erinnern, zur Wahl zu gehen.

Kurz bedankt sich an diesem Montag artig bei den Helfern im Büro. Auf der Wand hängt eine Zahl, die die Tage bis zur Wahl zeigt. „Ah, 13 Tage noch“, sagt Kurz.

So, als wüsste er nicht, wann der große Tag, auf den er hinarbeite­t, kommt.

 ?? [ Stanislav Jenis ] ?? Sebastian Kurz auf Besuch bei Wahlkampfh­elfern in Wien: Die ÖVP will am Ende des Wahlkampfs mobilisier­en, um als Erste durchs Ziel zu gehen.
[ Stanislav Jenis ] Sebastian Kurz auf Besuch bei Wahlkampfh­elfern in Wien: Die ÖVP will am Ende des Wahlkampfs mobilisier­en, um als Erste durchs Ziel zu gehen.

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