Der fragile Flüchtlingsdeal mit Libyen
Migration. Ein interner Bericht der örtlichen EU-Mission belegt, wie chaotisch die Zustände in den Ministerien in Tripolis sind. Italien setzt bereits auf andere Kooperationspartner.
Wien/Brüssel. Noch immer feiern europäische Regierungen den inoffiziellen Flüchtlingsdeal mit Libyen als Lösung zur Reduzierung des Zuwanderungsstroms über das Mittelmeer. Aber sowohl die instabile Lage im Land, als auch die Kooperation mit verfeindeten Machthabern machen diesen Deal unberechenbar. Das geht jetzt aus einem internen Papier hervor, das von der EU-Mission EUbam verfasst wurde. Wie die Nachrichtenplattform „EUobserver“daraus zitiert, schätzen die Experten vor Ort die Lage als äußerst fragil ein: „Nachhaltige Fortschritte bleiben beschränkt, so lange es keine politische Stabilität und kein Ende der militärischen Konflikte gibt.“
EUbam setzt sich aus 38 internationalen Experten zusammen, deren Aufgabe es ist, mit der international anerkannten Regierung in Tripolis einen effizienten Grenzschutz, eine Anti-Terror-Strategie sowie einen funktionierenden Rechtsstaats aufzubauen. Die Mission hat dafür ein Jahresbudget von 17 Millionen Euro. Wie der Bericht feststellt, gäbe es aber auf libyscher Seite in den zuständigen Ministerien „chaotische“Verhältnisse und „politische Intrigen“. Besondere heikel wird die Lage im Verteidigungsministerium dargestellt.
Problematisch ist allerdings auch die Unterstützung von rivalisierten militärischen Gruppen, die sich nun selbst der EU und einzelnen Mitgliedstaaten antragen. Sie versprechen die Migrationsströme über das Mittelmeer einzudämmen. Was im internen Bericht nicht erwähnt wird: Offiziell unterstützt die EU zwar nur die anerkannte Regierung unter Fayez alSarraj. Mit Gemeinschaftsmitteln wird etwa die bessere Ausstattung der Küstenwache finanziert. Doch Italien dürfte darüber hinaus mit mehreren lokalen Machthabern Deals abgeschlossen haben.
Erst vergangene Woche forderte Kahlifa Haftar, der mit seiner Libyschen National-Armee (LNA) den Osten des Landes kontrolliert, von der EU die Entsendung von Hubschraubern, Drohnen, Fahrzeugen und anderem Material. Dies sei notwendig, um den Menschenhandel zu bekämpfen, behauptete Haftar in einem Gespräch mit dem „Corriere della Sera“. Der abtrünnige libysche Ge- neral, der die Übergangsregierung in Tripolis torpediert, war erst vergangene Woche zu Gesprächen in Rom. Er behauptete, die italienische Regierung habe dabei einem Trainingslager für seine Soldaten in Italien zugestimmt.
Hilfsorganisationen hatten in den letzten Monaten mehrmals davor gewarnt, dass die lokalen Machthaber in Libyen zwar den Flüchtlingsstrom eindämmen, mit den festgehaltenen Migranten dann aber selbst Menschenhandel betreiben würden. Außerdem nützten sie die Unterstützung aus Europa, um ihr Waffenarsenal zu verstärken.
Neue Kämpfe trotz Vermittlung
Ein Indiz für die fragile Lage ist die Tatsache, dass EUbam nach wie vor von Tunis aus agiert. Mitarbeiter würden, so heißt es im Bericht, nur jeweils für mehrere Tage nach Tripolis reisen, um dort mit Regierungsstellen zu kooperieren. Das EU-Büro in der libyschen Hauptstadt ist seit 2014 geschlossen.
Die Vereinten Nationen haben erst vor wenigen Tagen einen neuen Versuch gestartete, die verfeindeten Milizen an einen Verhandlungstisch zu bringen. Doch neue Kämpfe diese Woche rund um die Hafenstadt Sabratha, 70 Kilometer westlich von Tripolis, illustrieren, wie instabil die Lage im Land geblieben ist. Allein in den vergange- nen zwei Wochen wurden bei Kämpfen um Sabratha 26 Menschen getötet und 170 verletzt.
Neben der EUbam-Mission konzentrieren sich die europäischen Bemühungen um eine Stabilisierung der Lage in Libyen vor allem auf die Ausbildung der Küstenwache. Im Rahmen der EUOperation „Sophia“wurden seit Oktober 2016 136 Mann der libyschen Küstenwache in Malta, auf Kreta und in Rom ausgebildet. Vor zwei Wochen rückten 87 weitere in der italienischen Marineoffiziersakademie in Taranto ein. Sie werden auch in Erster Hilfe, Menschenrechten und dem europäischen Asylverfahren unterrichtet.
All diese Maßnahmen sind in Italien, dem von der irregulären Migration über das Mittelmeer am stärksten betroffenen Mitgliedstaat, populär: 59 Prozent der Italiener stimmten in einer neuen Ipsos-Umfrage für den Mailänder Thinktank Ispi dem Vorgehen ihrer Regierung in Libyen zu. 45 Prozent sind im Vergleich zum Frühjahr 2016 beunruhigter über die Zuwanderung, 37 Prozent gleich und nur 17 Prozent weniger besorgt. „Die Italiener nehmen Migration als Bedrohung war, stimmen Sicherheits- und Abschreckungsmaßnahmen zu und sind zunehmend beunruhigt“, resümierte Matteo Villa, Leiter des Migrationsprogramms von Ispi.