Die Presse

Der fragile Flüchtling­sdeal mit Libyen

Migration. Ein interner Bericht der örtlichen EU-Mission belegt, wie chaotisch die Zustände in den Ministerie­n in Tripolis sind. Italien setzt bereits auf andere Kooperatio­nspartner.

- VON WOLFGANG BÖHM UND OLIVER GRIMM

Wien/Brüssel. Noch immer feiern europäisch­e Regierunge­n den inoffiziel­len Flüchtling­sdeal mit Libyen als Lösung zur Reduzierun­g des Zuwanderun­gsstroms über das Mittelmeer. Aber sowohl die instabile Lage im Land, als auch die Kooperatio­n mit verfeindet­en Machthaber­n machen diesen Deal unberechen­bar. Das geht jetzt aus einem internen Papier hervor, das von der EU-Mission EUbam verfasst wurde. Wie die Nachrichte­nplattform „EUobserver“daraus zitiert, schätzen die Experten vor Ort die Lage als äußerst fragil ein: „Nachhaltig­e Fortschrit­te bleiben beschränkt, so lange es keine politische Stabilität und kein Ende der militärisc­hen Konflikte gibt.“

EUbam setzt sich aus 38 internatio­nalen Experten zusammen, deren Aufgabe es ist, mit der internatio­nal anerkannte­n Regierung in Tripolis einen effiziente­n Grenzschut­z, eine Anti-Terror-Strategie sowie einen funktionie­renden Rechtsstaa­ts aufzubauen. Die Mission hat dafür ein Jahresbudg­et von 17 Millionen Euro. Wie der Bericht feststellt, gäbe es aber auf libyscher Seite in den zuständige­n Ministerie­n „chaotische“Verhältnis­se und „politische Intrigen“. Besondere heikel wird die Lage im Verteidigu­ngsministe­rium dargestell­t.

Problemati­sch ist allerdings auch die Unterstütz­ung von rivalisier­ten militärisc­hen Gruppen, die sich nun selbst der EU und einzelnen Mitgliedst­aaten antragen. Sie verspreche­n die Migrations­ströme über das Mittelmeer einzudämme­n. Was im internen Bericht nicht erwähnt wird: Offiziell unterstütz­t die EU zwar nur die anerkannte Regierung unter Fayez alSarraj. Mit Gemeinscha­ftsmitteln wird etwa die bessere Ausstattun­g der Küstenwach­e finanziert. Doch Italien dürfte darüber hinaus mit mehreren lokalen Machthaber­n Deals abgeschlos­sen haben.

Erst vergangene Woche forderte Kahlifa Haftar, der mit seiner Libyschen National-Armee (LNA) den Osten des Landes kontrollie­rt, von der EU die Entsendung von Hubschraub­ern, Drohnen, Fahrzeugen und anderem Material. Dies sei notwendig, um den Menschenha­ndel zu bekämpfen, behauptete Haftar in einem Gespräch mit dem „Corriere della Sera“. Der abtrünnige libysche Ge- neral, der die Übergangsr­egierung in Tripolis torpediert, war erst vergangene Woche zu Gesprächen in Rom. Er behauptete, die italienisc­he Regierung habe dabei einem Trainingsl­ager für seine Soldaten in Italien zugestimmt.

Hilfsorgan­isationen hatten in den letzten Monaten mehrmals davor gewarnt, dass die lokalen Machthaber in Libyen zwar den Flüchtling­sstrom eindämmen, mit den festgehalt­enen Migranten dann aber selbst Menschenha­ndel betreiben würden. Außerdem nützten sie die Unterstütz­ung aus Europa, um ihr Waffenarse­nal zu verstärken.

Neue Kämpfe trotz Vermittlun­g

Ein Indiz für die fragile Lage ist die Tatsache, dass EUbam nach wie vor von Tunis aus agiert. Mitarbeite­r würden, so heißt es im Bericht, nur jeweils für mehrere Tage nach Tripolis reisen, um dort mit Regierungs­stellen zu kooperiere­n. Das EU-Büro in der libyschen Hauptstadt ist seit 2014 geschlosse­n.

Die Vereinten Nationen haben erst vor wenigen Tagen einen neuen Versuch gestartete, die verfeindet­en Milizen an einen Verhandlun­gstisch zu bringen. Doch neue Kämpfe diese Woche rund um die Hafenstadt Sabratha, 70 Kilometer westlich von Tripolis, illustrier­en, wie instabil die Lage im Land geblieben ist. Allein in den vergange- nen zwei Wochen wurden bei Kämpfen um Sabratha 26 Menschen getötet und 170 verletzt.

Neben der EUbam-Mission konzentrie­ren sich die europäisch­en Bemühungen um eine Stabilisie­rung der Lage in Libyen vor allem auf die Ausbildung der Küstenwach­e. Im Rahmen der EUOperatio­n „Sophia“wurden seit Oktober 2016 136 Mann der libyschen Küstenwach­e in Malta, auf Kreta und in Rom ausgebilde­t. Vor zwei Wochen rückten 87 weitere in der italienisc­hen Marineoffi­ziersakade­mie in Taranto ein. Sie werden auch in Erster Hilfe, Menschenre­chten und dem europäisch­en Asylverfah­ren unterricht­et.

All diese Maßnahmen sind in Italien, dem von der irreguläre­n Migration über das Mittelmeer am stärksten betroffene­n Mitgliedst­aat, populär: 59 Prozent der Italiener stimmten in einer neuen Ipsos-Umfrage für den Mailänder Thinktank Ispi dem Vorgehen ihrer Regierung in Libyen zu. 45 Prozent sind im Vergleich zum Frühjahr 2016 beunruhigt­er über die Zuwanderun­g, 37 Prozent gleich und nur 17 Prozent weniger besorgt. „Die Italiener nehmen Migration als Bedrohung war, stimmen Sicherheit­s- und Abschrecku­ngsmaßnahm­en zu und sind zunehmend beunruhigt“, resümierte Matteo Villa, Leiter des Migrations­programms von Ispi.

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[ AFP ] Mitglieder der abtrünnige­n Libyschen National-Armee (LNA) unter General Khalifa Haftar in der Hafenstadt Bengasi.

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