Die Presse

Brüssel schlägt Revolution gegen Steuerbetr­ug vor

Binnenmark­t. Ein Baufehler im Mehrwertst­euersystem kostet die EU-Mitglieder jährlich 50 bis 100 Milliarden Euro. Die Kommission möchte dies durch eine Radikalref­orm beenden. Doch die liegt in den Händen der Finanzmini­ster.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Seit der Binnenmark­t vor 25 Jahren nach und nach die innereurop­äischen Grenzen für das Unternehme­rtum und den Handel abzuschaff­en begonnen hat, wurde ein Problem immer akuter: in der EU wird nun grenzenlos importiert und exportiert, doch das System zur Einhebung der Mehrwertst­euer hielt dem nicht stand. Der Umstand, dass ein Unternehme­n aus einem Land in der EU etwas ohne Mehrwertst­euer an ein anderes in einem anderen Land verkaufen kann, schuf die enormen kriminelle­n Möglichkei­ten des Karrusselb­etrugs. Dabei wer- den Waren im Binnenmark­t von Land zu Land verschickt und entweder ohne Steuer an Endkunden verkauft (was verboten ist), oder aber die Betrüger machen einen Vorsteuera­bzug bei den Finanzbehö­rden geltend, für den es keine Grundlage gibt. Die Behörden sind den Betrügern stets einen Schritt hinterher, am Wochenende erst enthüllte die Zeitung „Le Soir“, dass Belgien allein durch chinesisch­e Scheinfirm­en auf diese Weise jährlich fünf Milliarden Euro an Steuereinn­ahmen entgehen. EUweit sind es jährlich rund 50 Milliarden Euro, laut Europol bis zu 100 Milliarden Euro.

Die Kommission wird heute, Mittwoch, eine Radikalref­orm zur Behebung dieses Missstande­s vorlegen. Wie Unterlagen, die der „Presse“vorliegen, zeigen, wird die Kommission vorschlage­n, dass ab dem Jahr 2019 schrittwei­se und bis 2022 so gut wie komplett im gesamten Binnenmark­t der Grundsatz gilt: das Land, aus dem eine Ware in ein anderes verkauft wird, muss die Steuer berechnen, einheben und an das Zielland überweisen. Bisher gilt das Gegenteil: bei Transaktio­nen zwischen Unternehme­n ist die Steuer im Zielland einzutreib­en. Doch wenn die steuerfrei dorthin exportiere Ware auf dem Weg „verschwind­et“, fällt die Mehrwertst­euer nie an. „Ohne Mehrwertst­euer kaufen, mit Mehrwertst­euer verkaufen: hier liegt das Betrugspot­enzial. Das derzeitige System ist zu komplizier­t für die ehrlichen Firmen“, sagte eine zuständige Kommission­sbeamtin.

Bedenken trotz Einigkeit

Diese Reform erfordert Einstimmig­keit der Finanzmini­ster; das Europaparl­ament hat nur Stellung zu nehmen. Hier liegt die Crux: einerseits stimmen die Minister überein, dass der Karussellb­etrug zu bekämpfen ist. Anderersei­ts erfordert das neue Modell eine enge Zusammenar­beit ihrer Finanzbehö­rden. Beim kommenden Finanzmini­sterrat nächsten Dienstag wird Kommissar Pierre Moscovici den Reformvors­chlag erstmals mit den Ministern erörtern.

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