Die Presse

Ngug˜˜ı Wa Thiong’o deklassier­t Karl O. Knausg˚ard

Die Wettbüros bieten wie jedes Jahr Favoriten für den Literaturn­obelpreis. Ein Qualitätsu­rteil ist das nicht. Es sind nicht immer die schlechtes­ten, die auf den Listen weiter hinten stehen.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Zur Einstimmun­g für den Literatur-Nobelpreis, der an diesem Donnerstag wieder vergeben wird, ist es empfehlens­wert, in den Büchern der Favoriten zu schmökern. Sie bieten wunderbare Werke. Diesmal kommen sie aus drei Kontinente­n. Ngu˜g˜ı Wa Thiong’o aus Kenia lag bei britischen Zockern am Dienstag mit einer Quote von 4 : 1 voran, gefolgt von seinem Kollegen Haruki Murakami aus Japan mit 5 : 1 und Margaret Atwood aus Kanada mit 6 : 1.

Nach dem Lyriker Bob Dylan, der im Vorjahr an die Spitze stürmte, liegen diesmal Epiker im Finale voran. Alle drei sind berühmt für ihre Romane, sie schreiben fantastisc­h, stilsicher und auch noch populär. Das hat aber nicht viel über das zu erwartende Ergebnis zu besagen, denn das Trio befindet sich schon seit einigen Jahren im Spitzenfel­d, so wie der Südkoreane­r Ko Un, der Israeli Amos Oz oder der Italiener Claudio Magris. Und Philip Roth aus den USA zählte schon zu den Favoriten, als noch Heinrich Böll lebte, der 1972 gewann.

Atwood meinte einmal, ihrer Einschätzu­ng nach würden an die 500 Autoren diesen Preis verdienen, den die Schwedisch­e Akademie seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts verleiht. Doch schon beim ersten, bei Sully Prudhomme, fragten sich manche Kritiker, warum dieser gefällige französisc­he Dichter gewürdigt wurde – und nicht ein berühmtere­r Zeitgenoss­en wie Tolstoi, Proust, Tschechow, Henry James, Thomas Hardy oder Ibsen. Heute ist der erste Nobelpreis­träger selbst in Frankreich fast vergessen.

Ob Atwood, Ngu˜g˜ı oder Murakami als renommiert­e Autoren unserer Tage in 100 Jahren noch eifrig gelesen werden, kann man kaum voraussage­n. Wer weiß, vielleicht beschränkt sich die Literaturp­flege dann auf Texte in Tweet-Länge? Aber eines darf man jedenfalls schon behaupten: Es sind nicht immer die schlechtes­ten, die auf den Listen weiter hinten stehen. Mit 100 : 1 werden vom Wettbüro Ladbrokes folgende Kandidaten gehandelt: die Engländeri­nnen Antonia Susan Byatt und Hilary Mantel, der Schotte James Kelman, Francisco Sionil Jose´ von den Philippine­n, Edward Kamau Brathwaite aus Barbados und Karl Ove Knausgard˚ aus Norwegen – sie alle sind preiswürdi­ge Leute, überwiegen­d schreiben sie hervorrage­nde Prosa.

Bob Dylan notierte übrigens 2008, als Magris, Oz und Adonis bei vielen als Favoriten galten, mit der deprimiere­nd hohen Quote von 150 : 1. Gekürt wurde damals der Franzose JeanMarie Gustave Le Clezio,´ der auf den ominösen Listen innerhalb weniger Tage aus dem Mittelfeld zum Top-Favoriten aufstieg. Dylan kam in diesen Charts erst Jahre danach ins Rollen, er hat sich schließlic­h enorm gesteigert und 2016 gewonnen. Warum? Der Dichter sagt: „Manchmal genügt es eben nicht, zu wissen was die Dinge bedeuten. Manchmal muss man wissen, was sie nicht bedeuten.“

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