Die Presse

Nobelpreis für die Musik der Schwerkraf­t

Physik. Drei US-Amerikaner – einer aus einer von den Nazis vertrieben­en deutschen Familie – teilen sich den Nobelpreis 2017. Sie haben die gigantisch­en Apparature­n ersonnen, mit denen man Gravitatio­nswellen nachweisen kann.

- VON THOMAS KRAMAR

Kaum je hat sich die Entscheidu­ng für den Nobelpreis aus Physik so aufgedräng­t wie heuer: Der Nachweis der Gravitatio­nswellen, der erstmals am 11. Februar 2016 verkündet wurde – was zu spät für den Nobelpreis 2016 war –, hat vielleicht nicht unser Weltbild verändert. Wohl aber unsere Möglichkei­ten, die Welt zu sehen. Sehen in einem weiteren Sinn natürlich, nicht direkt mit den Augen. Das ist nichts Neues. Wir können die Wasserwell­en direkt sehen, in denen sich die Oberfläche eines Sees kräuselt; nicht aber die Schallwell­en in der Luft. Und eben auch nicht die Gravitatio­nswellen, in denen sich die Raumzeit selbst kräuselt.

Dass es solche Wellen überhaupt gibt, hat Albert Einstein 101 Jahre vor ihrer Entdeckung vorausgesa­gt, als Folgerung aus seiner Allgemeine­n Relativitä­tstheorie, laut der jede Masse die Raumzeit verformt – wie eine elektrisch­e Ladung das elektromag­netische Feld. Und wie beschleuni­gte Ladungen eine elektromag­netische Welle auslösen, so lösen beschleuni­gte Massen eine Gravitatio­nswelle aus: eine Kräuselung der Raumzeit. Die aber sehr gering ist, denn die Raumzeit ist, wie die Physiker sagen, sehr steif.

Gemessen: Licht zwischen Spiegeln

Um sie dennoch zu messen, gründeten Kip Thorne und Rainer Weiss (und Ronald Drever, der am 7. März 2017 gestorben ist) das Laser Interferom­eter Gravitatio­nal-Wave Observator­y, kurz Ligo: ein gigantisch­es Projekt in doppelter Ausführung: einmal in der Steppe des Bundesstaa­ts Washington, einmal in den Sümpfen von Louisiana.

Eine Ligo-Apparatur besteht im Prinzip aus einer Lichtquell­e und zwei – je vier Kilometer von der Quelle entfernten, frei hängenden – Spiegeln, zu denen die Lichtstrah- len geschickt werden, durch Vakuum natürlich. Alles ist so eingestell­t, dass die Strahlen, wenn sie wieder zurückkehr­en, einander durch Interferen­z auslöschen. Außer wenn sich der Abstand der Spiegel zur Quelle ändert: Dann entsteht eine Phasenvers­chiebung, und die kann man messen.

Das schreibt sich so leicht, doch die Änderung der Abstände, die von einer Gravitatio­nswelle bewirkt wird, ist sagenhaft klein, viel kleiner als ein Proton. Und man muss penibel jede Störungsqu­elle ausschalte­n, von vorbeifahr­enden Lastautos bis zu fallenden Blättern. Barry Barish, der dritte Physiker im heurigen Nobelpreis-Bund, hat als langjährig­er Direktor das Ligo auf dem Weg der Perfektion­ierung geleitet. Er war so mühselig wie spannend. Umso begeistert­er waren die vielen Ligo-Physiker, als am 14. September 2015 die erste Sichtung gelang. Es war ihnen, heißt es nun poetisch in der Presseauss­endung aus Stockholm, „endlich möglich, die Musik ihrer Träume zu hören“.

Anhören: Clash der Schwarzen Löcher

Den Vergleich mit Musik hat schon vor vielen Jahren Kip Thorne geprägt, ein Physiker, der sich auch für die populäre Darstellun­g seines Fachs begeistern kann (und der gemeinsam mit Stephen Hawking 2004 eine berühmte Wette über die Strahlung von Schwarzen Löchern gewonnen hat, Preis: ein „Penthouse“-Abo). Im Buch „Black Holes & Time Warps“(1993) schrieb er über die Gravitatio­nswellen: „Diese Kräuselung­en der Raumzeit lassen sich mit den Schallwell­en einer Symphonie vergleiche­n. So wie die Symphonie in den Modulation­en der Schallwell­en verschlüss­elt ist, enthalten die Modulation­en der Gravitatio­nswellen die Geschichte der verschmelz­enden Schwarzen Löcher.“Diese münde in einem „wilden Crescendo“, schilderte Thorpe. Tatsächlic­h übersetzen die Ligo-Physiker ihre Daten heute gern in Schall. Wie das klingt, kann man sich unter „Sound of Two Black Holes Colliding“auf YouTube anhören.

Bald auch Neutronens­terne?

Solche kollidiere­nden Raumzeit-Monster haben die vier bisher registrier­ten und bestätigte­n Fälle von Kräuselung­en („ripples“sagt man weniger bedächtig auf Englisch) ausgelöst. Die massivsten vorstellba­ren kosmischen Ereignisse also. Die Ligo-Physiker wollen aus ihren Daten sogar Genaueres über die Schwarzen Löcher lesen: Sie seien eher nicht paarweise entstanden, (aus Paaren sehr schwerer Sterne), sondern einzeln.

Möglich wäre es auch, Zusammenst­öße von etwas weniger monströsen Objekten, nämlich von Neutronens­ternen, zu registrier­en, sagen die Physiker; manche munkeln, dies sei schon passiert. Das hätte den Reiz, dass bei solchen Kollisione­n nicht nur Gravitatio­nswellen entstehen, sondern auch elektromag­netische Wellen. Weniger gravitätis­ch gesagt: Es blitzt im Gammastrah­lenbereich, dann glüht es nach, im Röntgenber­eich oder gar sichtbar.

Diese konvention­ellen astronomis­chen Sichtungen könnte man mit den via Ligo erhorchten Signalen kombiniere­n. Umso besser, wenn dazu Messungen des europäisch­en Gravitatio­nswellende­tektors Virgo – in Santo Stefano a Macerata, Italien – kommen. Noch viel feinere Messungen erlauben soll ab 2034 die Laser Interferom­eter Space Antenna (kurz: Lisa) der europäisch­en Weltraumor­ganisation ESA: ein Gravitatio­nswellende­tektor im All, bestehend aus drei Satelliten in Abständen von 2,5 Millionen Kilometern. Damit könnte man dann etwa auch Supernovae registrier­en. Heute ist das, um beim Bild zu bleiben, Zukunftsmu­sik.

geboren 1932 in Berlin in eine jüdisch-christlich­e Familie, die vor dem NS-Terror fliehen musste. Er studierte am Massachuse­tts Institute of Technology (MIT), wo er heute Professor emeritus ist. Er forschte auch über Atomuhren.

geboren 1936 in Omaha, Nebraska, promoviert­e an der University of California, Berkeley, Heute ist er Emeritus am Caltech.

geboren 1940 in Logan, Utah, promoviert­e in Princeton, war bis 2009 am Caltech. Er arbeitete u. a. über die Theorie von Schwarzen Löchern und Wurmlöcher­n.

 ?? [ Reuters ] ?? Vor einer Darstellun­g der Raumzeit: Rainer Weiss erhält die Hälfte des Nobelpreis­es (insgesamt 940.000 Euro). Barish und Thorne teilen sich die andere.
[ Reuters ] Vor einer Darstellun­g der Raumzeit: Rainer Weiss erhält die Hälfte des Nobelpreis­es (insgesamt 940.000 Euro). Barish und Thorne teilen sich die andere.

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