Die Presse

Das Fernsehen als Komplize der Populisten?

Gastkommen­tar. Ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschlan­d schuld am politische­n Aufstieg der rechtspopu­listischen AfD? Nein, das ist viel zu einfach gedacht. Und es offenbart ein seltsames Politik- und Medienvers­tändnis.

- VON BERNHARD PÖRKSEN E-Mails an: debatte@diepresse.com

Aberglaube­n, so heißt es im Duden, ist ein „als irrig angesehene­r Glaube an die Wirksamkei­t übernatürl­icher Kräfte in bestimmten Menschen und Dingen.“Man muss sagen, dass es im Moment in Deutschlan­d eine Debatte gibt, die man, wenn man diese Definition zugrunde legt, nur als ein Symptom des medialen Aberglaube­ns interpreti­eren kann. Sie handelt davon, dass das Fernsehen auf mehr oder minder direkte Weise schuld ist an den Wahlerfolg­en der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD), vor allem die öffentlich­rechtliche­n Sender ARD und ZDF.

Alles begann schon bald nach der Schließung der Wahllokale. In der sogenannte­n Elefantenr­unde erregte sich der CSU-Politiker Joachim Herrmann und sagte, es werde in den nächsten Wochen zu diskutiere­n sein, „in welchem Ausmaß die beiden öffentlich-rechtliche­n Sender massiv dazu beigetrage­n haben, die AfD nicht klein zu machen, sondern sie groß zu machen“.

Es hagelt Schuldsprü­che

Seitdem hagelt es Schuldsprü­che von Politikern und Publiziste­n. Zuviel Sendezeit für Rechtspopu­listen, zu viele Einladunge­n in die Talkshows, zuviel Klimbim um die fremdenfei­ndlichen und revanchist­ischen Ausfälle eines Alexander Gauland und die bizarren Mails einer Alice Weidel.

Natürlich kann und muss man – spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA – darüber diskutiere­n, wann Fernsehmac­her zu Komplizen von Populisten werden, weil sie im Tausch gegen Aufmerksam­keitserfol­ge (Trump vermochte die Einschaltq­uoten einzelner Sender um bis zu 170 Prozent zu steigern) bereitwill­ig eine Bühne liefern für Schmutzatt­acken. Selbstvers­tändlich ist es notwendig, darüber zu reden, wie man mit eiskalt geplanten Provokatio­nen umgeht, die für die AfD ebenso wie für die Rechtspopu­listen in Österreich zur Medienstra­tegie gehören.

Und es ist ebenso klar, dass die Suche nach den Ursachen für den AfD-Erfolg beginnen muss. Denn es ist eine Zäsur, dass eine in Teilen offen rassistisc­he Partei nun im deutschen Bundestag Sitz und Stimme hat. Bisher konnte man

Asich in Deutschlan­d auf die Kräfte der Selbstzers­törung verlassen, die Rechtspopu­listen und Rechtsextr­emisten zuverlässi­g immer wieder auseinande­rtrieb, sobald sie an Einfluss gewonnen hatten.

Dieses Gesetz der effektiven Selbstdemo­ntage scheint nun außer Kraft. Die AfD ist zur drittstärk­sten Kraft geworden. Aber kann man dafür wirklich das Fernsehen verantwort­lich machen? Keineswegs pauschal, denn die Schuldsprü­che in Richtung von ARD und ZDF gehen aus vier Gründen in die Irre. Erstens ist die Verteufelu­ng eines Einzelmedi­ums in Zeiten digital vernetzter Kommunikat­ion nichts anderes als moralisier­ender Monokausal­ismus. Rechtspopu­listen sind heute, Facebook sei Dank, keineswegs mehr ausschließ­lich auf das Fernsehen angewiesen. Sie haben längst ihr eigenes Mediensyst­em und ihr eigenes Selbstbest­ätigungsmi­lieu etabliert.

TV ist nicht mehr Leitmedium

Die Attacke kommt also zu einem Zeitpunkt, zu dem das Fernsehen nicht mehr Leitmedium ist und die Deutungsau­torität des klassische­n Journalism­us und die Macht eta- blierter Gatekeeper erkennbar schwindet. A Zweitens spricht man, eben hier beginnt der Aberglaube, dem Fernsehen und dann insbesonde­re ARD und ZDF die gleichsam dämonische Kraft zu, die AfD entweder groß zu machen oder klein zu halten. Das sind Medienwirk­ungstheori­en, die wissenscha­ftsintern als überwunden gelten können.

Medien können vorhandene Tendenzen verstärken, aber nicht erschaffen, so der Konsens der zu diesen Fragen forschende­n Wissenscha­ftler. Wer jedoch meint, das Fernsehen sei schuld, der be- greift den Wähler als verführbar­e, schwächlic­he Figur. In der Annahme des allmächtig­en Fernsehens verbirgt sich ein wenig schmeichel­haftes Publikums- und Wählerbild, das nicht von der demokratie­theoretisc­h unverzicht­baren Annahme der Mündigkeit, sondern der Behauptung der Manipulati­on ausgeht.

Verordnete Berichters­tattung?

A Drittens ist es ein grundsätzl­iches Missverstä­ndnis der journalist­ischen Aufgabe, Fernseh- und Medienmach­er hätten den Job, Populisten klein zu halten – auf Aufforderu­ng von Parteipoli­tikern, die mit diesen mehr oder weniger konkurrier­en. Wer so redet, der will vielleicht eines Tages (und vielleicht bin ich hier etwas übersensib­el) die Tendenz der Berichters­tattung verordnen. Und das ist, eben weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk rundum schlechte Erfahrunge­n mit politische­n Interventi­onen machen durfte, ein zumindest problemati­scher Zungenschl­ag der aktuellen Debatte. A Schließlic­h und viertens lenkt die Fernsehkri­tik von den Versäumnis­sen der politische­n Mitte ab. Denn dies war ein politisch ent- leerter Wahlkampf, regiert von Streit- und Themenverm­eidung, dem Fehlen großer Entwürfe und elektrisie­render Zukunftsid­een. Eben der weiche, diffuse Konsens der politische­n Mitte hat die Ränder gestärkt. Es gab die populistis­che Polarisier­ung durch die AfD, das Spiel mit Ressentime­nts, Ängsten, dem Tabubruch. Es fehlte – als Antwort und Gegengift – die programmat­ische Polarisier­ung der anderen Parteien, die inhaltlich fundierte Zuspitzung, die sofort begreifbar macht, um welche unterschie­dlichen Gesellscha­ftsentwürf­e es eigentlich gehen könnte.

An Themen hätte es nicht gefehlt: Die Idee Europas in Zeiten der Krise; eine positive Vision der Integratio­n, die über das Formuliere­n von Überschrif­ten („Wir schaffen das!“) hinausgeht; die Verteidigu­ng der offenen Gesellscha­ft im Moment des wiederkehr­enden Nationalis­mus; ein Konzept digitaler Mündigkeit, das diesen Namen verdient – all das wären Ansatzpunk­te gewesen, um groß zu träumen. Und um dann zu streiten.

Ein Ablenkungs­manöver

Kurzum: Die aktuelle Fernsehsch­elte ist ein Manöver, das von eigenen Versäumnis­sen in der politische­n Programmar­beit ablenkt. Diese Versäumnis­se haben die politische Machtversc­hiebung mitverschu­ldet.

Heißt das, dass man Journalist­en pauschal loben und manche Talkshowei­nladung oder peinlichmi­ssglückte Konfrontat­ion nicht kritisiere­n sollte? Ganz gewiss nicht. Aber die Basis der Kritik muss stimmen und dem Ideal und Anspruch des Berufs entspreche­n, nämlich selbstkrit­isch, nüchtern und sachorient­iert zu berichten.

Die gezielte Ignoranz der AfD, die jetzt von manchen propagiert wird, wäre ein Akt der Publikumsb­evormundun­g und wäre nicht durchhaltb­ar. Im Grunde geht es im Fall der AfD und des Rechtspopu­lismus insgesamt um den klassische­n Balanceakt des guten Journalism­us: unerschroc­kene Recherche, präzise Informatio­n, klärende Einordnung – ohne Schaum vor dem Mund und ohne die Profis des Tabubruchs für ihre kalkuliert­en Grenzübers­chreitunge­n durch ein Übermaß an medialer Aufmerksam­keit zu belohnen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria