Das Fernsehen als Komplize der Populisten?
Gastkommentar. Ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland schuld am politischen Aufstieg der rechtspopulistischen AfD? Nein, das ist viel zu einfach gedacht. Und es offenbart ein seltsames Politik- und Medienverständnis.
Aberglauben, so heißt es im Duden, ist ein „als irrig angesehener Glaube an die Wirksamkeit übernatürlicher Kräfte in bestimmten Menschen und Dingen.“Man muss sagen, dass es im Moment in Deutschland eine Debatte gibt, die man, wenn man diese Definition zugrunde legt, nur als ein Symptom des medialen Aberglaubens interpretieren kann. Sie handelt davon, dass das Fernsehen auf mehr oder minder direkte Weise schuld ist an den Wahlerfolgen der Alternative für Deutschland (AfD), vor allem die öffentlichrechtlichen Sender ARD und ZDF.
Alles begann schon bald nach der Schließung der Wahllokale. In der sogenannten Elefantenrunde erregte sich der CSU-Politiker Joachim Herrmann und sagte, es werde in den nächsten Wochen zu diskutieren sein, „in welchem Ausmaß die beiden öffentlich-rechtlichen Sender massiv dazu beigetragen haben, die AfD nicht klein zu machen, sondern sie groß zu machen“.
Es hagelt Schuldsprüche
Seitdem hagelt es Schuldsprüche von Politikern und Publizisten. Zuviel Sendezeit für Rechtspopulisten, zu viele Einladungen in die Talkshows, zuviel Klimbim um die fremdenfeindlichen und revanchistischen Ausfälle eines Alexander Gauland und die bizarren Mails einer Alice Weidel.
Natürlich kann und muss man – spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA – darüber diskutieren, wann Fernsehmacher zu Komplizen von Populisten werden, weil sie im Tausch gegen Aufmerksamkeitserfolge (Trump vermochte die Einschaltquoten einzelner Sender um bis zu 170 Prozent zu steigern) bereitwillig eine Bühne liefern für Schmutzattacken. Selbstverständlich ist es notwendig, darüber zu reden, wie man mit eiskalt geplanten Provokationen umgeht, die für die AfD ebenso wie für die Rechtspopulisten in Österreich zur Medienstrategie gehören.
Und es ist ebenso klar, dass die Suche nach den Ursachen für den AfD-Erfolg beginnen muss. Denn es ist eine Zäsur, dass eine in Teilen offen rassistische Partei nun im deutschen Bundestag Sitz und Stimme hat. Bisher konnte man
Asich in Deutschland auf die Kräfte der Selbstzerstörung verlassen, die Rechtspopulisten und Rechtsextremisten zuverlässig immer wieder auseinandertrieb, sobald sie an Einfluss gewonnen hatten.
Dieses Gesetz der effektiven Selbstdemontage scheint nun außer Kraft. Die AfD ist zur drittstärksten Kraft geworden. Aber kann man dafür wirklich das Fernsehen verantwortlich machen? Keineswegs pauschal, denn die Schuldsprüche in Richtung von ARD und ZDF gehen aus vier Gründen in die Irre. Erstens ist die Verteufelung eines Einzelmediums in Zeiten digital vernetzter Kommunikation nichts anderes als moralisierender Monokausalismus. Rechtspopulisten sind heute, Facebook sei Dank, keineswegs mehr ausschließlich auf das Fernsehen angewiesen. Sie haben längst ihr eigenes Mediensystem und ihr eigenes Selbstbestätigungsmilieu etabliert.
TV ist nicht mehr Leitmedium
Die Attacke kommt also zu einem Zeitpunkt, zu dem das Fernsehen nicht mehr Leitmedium ist und die Deutungsautorität des klassischen Journalismus und die Macht eta- blierter Gatekeeper erkennbar schwindet. A Zweitens spricht man, eben hier beginnt der Aberglaube, dem Fernsehen und dann insbesondere ARD und ZDF die gleichsam dämonische Kraft zu, die AfD entweder groß zu machen oder klein zu halten. Das sind Medienwirkungstheorien, die wissenschaftsintern als überwunden gelten können.
Medien können vorhandene Tendenzen verstärken, aber nicht erschaffen, so der Konsens der zu diesen Fragen forschenden Wissenschaftler. Wer jedoch meint, das Fernsehen sei schuld, der be- greift den Wähler als verführbare, schwächliche Figur. In der Annahme des allmächtigen Fernsehens verbirgt sich ein wenig schmeichelhaftes Publikums- und Wählerbild, das nicht von der demokratietheoretisch unverzichtbaren Annahme der Mündigkeit, sondern der Behauptung der Manipulation ausgeht.
Verordnete Berichterstattung?
A Drittens ist es ein grundsätzliches Missverständnis der journalistischen Aufgabe, Fernseh- und Medienmacher hätten den Job, Populisten klein zu halten – auf Aufforderung von Parteipolitikern, die mit diesen mehr oder weniger konkurrieren. Wer so redet, der will vielleicht eines Tages (und vielleicht bin ich hier etwas übersensibel) die Tendenz der Berichterstattung verordnen. Und das ist, eben weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk rundum schlechte Erfahrungen mit politischen Interventionen machen durfte, ein zumindest problematischer Zungenschlag der aktuellen Debatte. A Schließlich und viertens lenkt die Fernsehkritik von den Versäumnissen der politischen Mitte ab. Denn dies war ein politisch ent- leerter Wahlkampf, regiert von Streit- und Themenvermeidung, dem Fehlen großer Entwürfe und elektrisierender Zukunftsideen. Eben der weiche, diffuse Konsens der politischen Mitte hat die Ränder gestärkt. Es gab die populistische Polarisierung durch die AfD, das Spiel mit Ressentiments, Ängsten, dem Tabubruch. Es fehlte – als Antwort und Gegengift – die programmatische Polarisierung der anderen Parteien, die inhaltlich fundierte Zuspitzung, die sofort begreifbar macht, um welche unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfe es eigentlich gehen könnte.
An Themen hätte es nicht gefehlt: Die Idee Europas in Zeiten der Krise; eine positive Vision der Integration, die über das Formulieren von Überschriften („Wir schaffen das!“) hinausgeht; die Verteidigung der offenen Gesellschaft im Moment des wiederkehrenden Nationalismus; ein Konzept digitaler Mündigkeit, das diesen Namen verdient – all das wären Ansatzpunkte gewesen, um groß zu träumen. Und um dann zu streiten.
Ein Ablenkungsmanöver
Kurzum: Die aktuelle Fernsehschelte ist ein Manöver, das von eigenen Versäumnissen in der politischen Programmarbeit ablenkt. Diese Versäumnisse haben die politische Machtverschiebung mitverschuldet.
Heißt das, dass man Journalisten pauschal loben und manche Talkshoweinladung oder peinlichmissglückte Konfrontation nicht kritisieren sollte? Ganz gewiss nicht. Aber die Basis der Kritik muss stimmen und dem Ideal und Anspruch des Berufs entsprechen, nämlich selbstkritisch, nüchtern und sachorientiert zu berichten.
Die gezielte Ignoranz der AfD, die jetzt von manchen propagiert wird, wäre ein Akt der Publikumsbevormundung und wäre nicht durchhaltbar. Im Grunde geht es im Fall der AfD und des Rechtspopulismus insgesamt um den klassischen Balanceakt des guten Journalismus: unerschrockene Recherche, präzise Information, klärende Einordnung – ohne Schaum vor dem Mund und ohne die Profis des Tabubruchs für ihre kalkulierten Grenzüberschreitungen durch ein Übermaß an medialer Aufmerksamkeit zu belohnen.