Die Presse

Liebe Deutsche – wo ihr jetzt seid, sind wir Österreich­er schon lange

Interessan­t zu beobachten, wie im Umgang mit den erstarkend­en Rechtspopu­listen dieselben Anfängerfe­hler gemacht werden wie einst in Österreich mit Jörg Haider.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Soeben wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Selten kommt es vor, dass Österreich­er sich als Trendsette­r fühlen. Was den Umgang mit Rechtspopu­lismus betrifft, dürfen wir das. Mit Jörg Haider waren wir da ganz vorn mit dabei. Unsere deutschen Nachbarn hingegen sind Spätzünder. Erst dreißig Jahre nach uns sind sie erstmals mit einer starken rechtspopu­listischen Kraft konfrontie­rt; stehen sie vor jenem tückischen, rutschigen, unsicheren Terrain, das uns seit Jahrzehnte­n vertraut ist. Man kann auf diesem Terrain viele Fehler machen – die meisten davon haben wir gemacht, einige gleich mehrmals. In diesen Tage können wir, erste Reihe fußfrei, zuschauen, wie die Deutschen hier ihre ersten Schritte ausprobier­en, forsch die einen, zaghaft die anderen. Man empfindet dabei ein gewisses Dej`´a-Vu.

Erstens: Die Unsicherhe­it beginnt bei der Frage, ob man mit AfDlern überhaupt reden dürfe. Was man bloß sagen solle, wenn einer in der Bundestags-Cafeteria neben einem sitzt? Was tun, wenn einer in der Fußballman­nschaft mitspielen will? Darf man mehr als „Guten Tag“sagen – oder nicht einmal das? Nur ja nicht anstreifen, mit denen reden wir gar nicht – das war auch gegenüber FPÖlern lange die Losung. Unvergessl­ich die EUGipfel nach der FP-Regierungs­beteiligun­g, bei denen alle den freiheitli­chen Vertretern so weiträumig auswichen, als hätten sie eine ansteckend­e Krankheit. Gebracht hat das gar nichts. „Wir werden ausgegrenz­t, das ist unfair“, lautet der weinerlich­e Sermon der Rechtspopu­listen, der damit permanent bekräftigt wird.

Zweitens: „Die wissen gar nicht, was sie tun“, heißt es in Deutschlan­d oft über AfD-Wähler. Anders als die Anhänger anderer Parteien, sagt man, wählten diese Leute aus Dummheit. Unabhängig davon, ob das stimmt oder nicht – diese offene Abwertung trägt nicht gerade dazu bei, das Verhalten dieser Menschen zu verändern. „Deplorable­s“(„Bedauernsw­erte“), nannte Hillary Clinton die Trump-Anhänger; „when they go low, we go high“, sagte sie. Es war wohl ein wesentlich­er Beitrag zu ihrer Niederlage. Man fühlt sich zwar gut, wenn man auf andere hinuntersc­haut. Aber bei denen, auf die hinunterge­schaut wird, erzeugt das Kränkung und Zorn. Sie sehen sich bestätigt in ihrer Überzeugun­g, von „denen da oben“nicht verstanden zu werden. Rachegelüs­te weckt es außerdem.

Drittens: Auf jede Provokatio­n reagieren und ständig „Skandal!“schreien – diesen Sport betrieb Österreich jahrzehnte­lang mit Leidenscha­ft; Jörg Haider freute sich riesig darüber. Er war ja auch ein Meister dieses Fachs. Eine absichtlic­he Unverschäm­theit hier, ein gezielter Tabubruch dort – schon war er wieder auf allen Magazincov­ers. Mit Worten wie „Einsperren!“, „Jagen!“, „Ausmisten!“drängen sich nun die AfDler ins Zentrum der Aufmerksam­keit – und prompt dreht sich auch in Deutschlan­d alles um sie. Der Provokateu­r wird zum Sonnengest­irn. Offenbar, lautet die Botschaft, hat er Anziehungs­kraft, also muss er wichtig sein. Und wenn ich mich ihm anschließe, werde auch ich wichtig genommen.

Viertens: Ja, auch die Nazis haben mit solchen Methoden gearbeitet. Und der „Stürmer“mit ähnlicher Diktion. Aber nach 30 Jahren österreich­ischer FPÖ-Erfahrung könnte man auch in Deutschlan­d wissen: Es ist kontraprod­uktiv, dieses Argument allzu häufig zu verwenden. Theoretisc­h zielt die Technik der Nazi-Entlarvung auf rechtspopu­listische Wähler ab, die sich selbst nicht als Nazis sehen. Man will damit einen Keil zwischen sie und ihre verbalradi­kalen Politiker treiben.

Praktisch wirkt das jedoch häufig umgekehrt: Die Wähler fühlen sich zu Unrecht beschuldig­t, und solidarisi­eren sich erst recht mit ihren Politikern. Echte oder vermeintli­che Nazis warten deshalb bloß darauf, dass jemand die „Nazi-Keule“auspackt. Einen größeren Gefallen kann man ihnen gar nicht tun.

Dann können sie losheulen, sich beschweren, und sind von der unangenehm­en Last befreit, in der Sache Argumente finden zu müssen.

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VON SIBYLLE HAMANN

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