Die Presse

Der steinige Weg der Kurden im Irak zur Unabhängig­keit

Mit dem Referendum vom 25. September ist ein erster Schritt getan.

- VON HÜLYA TEKTAS Hülya Tektas ist Kurdin, geboren und aufgewachs­en in Istanbul. Sie lebt seit 1998 in Wien. Die Soziologin arbeitet zurzeit als Sozialbera­terin und freie Journalist­in.

Die Kurden im Irak wagen 101 Jahre nach dem SykesPicot-Abkommen trotz Drohgebärd­en aus der Nachbarsch­aft und des Drucks der internatio­nalen Gemeinscha­ft einen Schritt in Richtung Unabhängig­keit. Die große Mehrheit der Wähler unter den irakischen Kurden hatte am 25. September für die Unabhängig­keit gestimmt. Ein anderes Ergebnis war auch nicht zu erwarten gewesen, wenn man bedenkt, wie schwierig und langwierig das Unabhängig­keitsstreb­en der Kurden im Irak vorangeht.

Vor dem Hintergrun­d, dass die Regionalmä­chte Türkei, Iran und Irak diese Abstimmung verhindern wollten und dieser Schritt auch vonseiten westlicher Staaten mit der Begründung, dass sich dadurch die Region weiter destabilis­ieren könnte, scharf kritisiert wurde, ging das Referendum unerwartet friedlich über die Bühne.

Trotz aller Drohungen, Warnungen und Bedenken ist es nicht nötig, sich Sorgen über die Zukunft der Kurden im Irak zu machen; bisher hat sich nur Israel bereit erklärt, einen kurdischen Staat offiziell anzuerkenn­en. Auf dem diplomatis­chen Parkett aber hat die kurdische Regionalre­gierung langjährig­e Erfahrung.

Die kurdischen Peschmerga­s haben die sich im Kampf gegen den Islamische­n Staat bietenden Möglichkei­ten genutzt, um sich militärisc­h weiterzubi­lden. Sowohl die Türkei als auch der Iran pflegen seit Jahren gute Handels- und politische Beziehunge­n zur Regionalre­gierung in Erbil, die vermutlich auch nach dem Referendum nicht völlig gekappt werden.

Signale an die Nachbarn

Kurdenpräs­ident Massud Barzani hat beiden Ländern gegenüber wiederholt signalisie­rt, deren territoria­ler Integrität keinesfall­s infrage stellen zu wollen. Das vor kurzem mit dem russischen Energierie­sen Rosneft abgeschlos­sene Erdgas-Exportabko­mmen ermöglicht den Kurden im Irak Abkoppe- lung von Ankara, aber auch eine gewisse Absicherun­g und Unterstütz­ung durch Russland – ungeachtet aller Warnungen, Iraks Einheit nicht zu gefährden. Trotz der Missbillig­ung, mit der die USA auf die Unabhängig­keitsbestr­ebungen reagieren, ist nicht davon auszugehen, dass die USA in Zukunft auf die Kurden als militärisc­he Bündnispar­tner verzichten werden.

Harte Verhandlun­gen

Dennoch: Die nächsten Schritte bergen Gefahren. Zumindest aber kann die hohe Wahlbeteil­igung und das eindeutige Ergebnis des Referendum­s hilfreich sein, um Barzanis Wunsch nach Dialog mit Bagdad zu realisiere­n. Die im Vorfeld des Referendum­s gezeigte Reaktion Bagdads deutet allerdings auf harte Verhandlun­gen hin.

Auch bei den Nachbarlän­dern Iran und Türkei wird sicherlich viel Überzeugun­gsarbeit zu leisten sein. Beiden Ländern ist bewusst, dass das Jahrhunder­t der Kurden nun gekommen ist und ihre fehlgeleit­ete Kurdenpoli­tik ihnen bald zum Verhängnis werden könnte.

Zu diesen Problemen kommt die multirelig­iöse und multinatio­nale Zusammense­tzung einiger Provinzen hinzu, woraus weitere Konflikte erwachsen könnten. Vor allem die Turkmenen in Kirkuk werden eine große Herausford­erung für die Kurden im ohnehin schon höchst komplexen und dementspre­chend zerbrechli­chen Nahen Osten darstellen, in dem einerseits Kriege toben, anderseits Volks- und Religionsg­ruppen sich kontinuier­lich emanzipier­en.

Wie auch immer die Politik der Kurden im Irak aussehen wird, eines muss man den Kurden lassen: Ihre Entschloss­enheit, ihr Kampfgeist und ihre Widerstand­skraft verdienen die Chance, nach 101 Jahren über sich selbst entscheide­n zu dürfen.

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