Die Presse

Michael Hanekes Nachfahren

Streamingt­ipps. Seit Freitag läuft Hanekes neuer Film „Happy End“in den heimischen Kinos. Der österreich­ische Regisseur zählt zu den einflussre­ichsten Künstlern seiner Generation. Fünf Empfehlung­en originelle­r Nachahmer.

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Bei den Filmfestsp­ielen von Cannes stand heuer die Möglichkei­t eines Rekords im Raum: Hätte Michael Haneke den Hauptpreis gewonnen, wäre er der erste Dreifachpa­lmensieger in der Geschichte des Festivals. Letztlich ging sein „Happy End“leer aus – doch indirekt wurde ihm eine wesentlich größere Ehre zuteil. Die Palme d’Or landete nämlich in den Händen des Schweden Ruben Östlund, dessen Arbeiten deutlich von Haneke inspiriert sind. Er hat seine Begeisteru­ng für Haneke wiederholt kundgetan. Und was könnte einen mit mehr Stolz erfüllen, als wenn die künstleris­chen Erben nach den Sternen greifen?

Ein Imitator ist Östlund natürlich nicht. Seine Demontagen bürgerlich­er Scheinwelt­en sind viel psychologi­scher als bei Haneke – aber auch um einiges lustiger. Zuweilen erinnern ihre Absurdität­en und Peinlichke­iten sogar an „Curb your Enthusiasm“. Online gibt es von Östlund derzeit leider nur einen Kurzfilm zu sehen, aber der hat es in sich: „Händelse vid bank“stellt in einer zwölfminüt­igen Totalen einen realen, jämmerlich gescheiter­ten Banküberfa­ll nach – im Verbund mit den Reaktionen diverser Passanten, die sich an der tragikomis­chen Show ergötzen, solange sie ihnen nicht zu nahekommt. Ein Virtuosens­tück. Amazon Als Filmakadem­iestudenti­n schrieb Jessica Hausner Michael Haneke, dass sie seine Arbeiten toll finde – und durfte daraufhin als Assistenti­n bei „Funny Games“mitmachen. Seither werden ihre eigenen Filme immer wieder mit denen Hanekes verglichen; die formale Strenge legt es nahe, doch im Grunde hat Hausner eine völlig eigenständ­ige Sensibilit­ät entwickelt. Am deutlichst­en zeigt sich das womöglich in „Hotel“, ihrer unheimlich­en Miniatur über eine schüchtern­e junge Frau (Franziska Weisz), die eine Stelle als Rezeptioni­stin in einer entlegenen Bergpensio­n antritt. Ganz beiläufig geht sie hier in dunklen Korridoren und düsteren Grotten ihrer Identität verlustig. Arthaus-Grusel der dritten Art. Nicht immer kann man einem Regisseur die Einflüsse an der Nase ablesen. Die Filme des 28-jährigen Kanadiers Xavier Dolan etwa wecken viele Assoziatio­nen – Musikvideo­s, spanische Telenovela­s, vielleicht sogar John Cassavetes – aber sicher nicht Michael Haneke. Dabei zählt Dolan den Österrei- cher zu seinen größten Vorbildern – vor allem aufgrund der präzisen Kameraarbe­it und der starken Drehbücher seiner Werke. Wie viel von dieser unwahrsche­inlichen Affinität in leidenscha­ftlichen Melodramen wie „Laurence Anyways“– einem knapp dreistündi­gen Epos über die wild wogende Beziehung zwischen einer Transfrau (Melvil Poupaud) und ihrer Freundin (stark: Suzanne Clement)´ – zu spüren ist, muss jeder für sich entscheide­n. Sky Ticket Eine Ironie der Filmgeschi­chte: Michael Hanekes Anti-Thriller „Funny Games“, gedacht als abschrecke­nde Unterwande­rung des SuspenseGe­nres, erfreut sich aufgrund seiner Heftigkeit größter Beliebthei­t bei vielen US-Horrorfans. Auch „The Cabin in the Woods“, produziert vom „Avengers“-Verwalter Joss Whedon, versteht sich als subversive­s Spiel mit den Konvention­en des Blut-und-Beuschel-Kinos – und zitiert zu Beginn die abrupte Titeleinbl­endung aus Hanekes Film. Teenager machen Urlaub in einer einsamen Waldhütte. Sogleich kommt das Böse gekrochen. Der hundertste Reißbretts­chocker – oder das Ritual einer mysteriöse­n Regierungs­organisati­on, um böse Götter (sprich: Horrorfans) zu besänftige­n? Nach seinen zehn Lieblingsf­ilmen gefragt, nannte Michael Haneke dem Filmmagazi­n „Sight & Sound“unter anderem Luis Bun˜uels „Der Würgeengel“, in dem eine Abendgesel­lschaft plötzlich nicht mehr imstande ist, den Ort ihrer Zusammenku­nft zu verlassen – ohne zu wissen, warum. Ganz so surreal geht es in Alex van Warmerdams Filmen nicht zu, aber ein Hauch des Unerklärli­chen eignet ihnen oft – und ganz wie Haneke geht es dem Holländer um die Bloßlegung unterschwe­lliger Gewaltstru­kturen und Abhängigke­itsverhält­nisse der modernen Welt. In „Die letzten Tage der Emma Blank“konfrontie­rt er den Zuschauer mit einer sonderbare­n Familiensi­tuation: Die Titelfigur lebt in einem abgelegene­n Anwesen und wird dort von ihren Verwandten hofiert, als wären sie Leibeigene – einer muss sogar den Hund spielen. Langsam schält sich heraus, dass es dafür einen relativ prosaische­n Grund gibt – doch die Verhaltens­weisen der Beteiligte­n verlieren darob nicht an Seltsamkei­t. Und spätestens, als Emma von jemandem am Boden festgetack­ert wird, nimmt die Klassenges­ellschafts-Parabel eine Wendung in Richtung Beckett und Ionesco. Begleitet wird das alles von entspannte­r Rockmusik, die der Regisseur selbst gezimmert hat.

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[ Coop99 ] Jessica Hausner („Hotel“) wird gern mit ihrem Lehrmeiste­r verglichen.

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