Die Presse

Verboten, konfiszier­t, verbrannt: Österreich­s Literatur vor 1848

Zensurbest­immungen. Untersagt wurden Schriften gegen die monarchist­ische Regierungs­form, gegen die Religion und gegen die sittliche Ordnung. Von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunder­ts landeten an die 60.000 Titel in den Zensurlist­en.

- VON ERICH WITZMANN

Selbst Goethe, Hölderlin und Grillparze­r befinden sich auf der Liste jener Autoren, die sich mit einigen ihrer Werke im Index der verbotenen Bücher befinden – angefertig­t von der Zensurbehö­rde der Habsburger­monarchie. „Der junge Grillparze­r hat mit einem Gedicht – eigentlich eine Kleinigkei­t – einen Skandal ausgelöst“, sagt der Literaturw­issenschaf­tler Norbert Bachleitne­r, „weil er Kritik an dem Papst übte.“Und das war der Grund für den Zensor, ein „damnatur“auszusprec­hen.

Norbert Bachleitne­r, Professor am Institut für Europäisch­e und Vergleiche­nde Literaturw­issenschaf­t der Uni Wien, hat im Rahmen eines Projekts des Wissenscha­ftsfonds FWF die Zensurprot­okolle der österreich­ischen Behörden von 1751 bis 1848 durchforst­et. Rund 60.000 Titel wurden in diesen hundert Jahren von den Zensoren in ihren Katalogen und Jahresberi­chten verzeichne­t und nicht zum Verkauf zugelassen. All diese Titel können jetzt in der vom FWF initiierte­n Datenbank „Verpönt, verdrängt – vergessen“(http://univie.ac.at/zensur) abgerufen werden.

Beginn unter Maria Theresia

Das Jahr 1751 wurde als Ausgangspu­nkt genommen, weil damals im Zuge von Maria Theresias Reformen das Überwachun­gsnetzwerk begründet wurde. Bis zu diesem Jahr erfolgte die Zensur anlassbezo­gen, ab der Mitte des 18. Jahrhunder­ts wurde die Überwachun­g aber institutio­nalisiert. „Die literarisc­he Zensur in Österreich von 1751 bis 1848“hat Bachleitne­r nun auch als Buch herausgege­ben.

Die Anfänge der umfassende­n Zensur werden mit dem Beginn des Buchdrucks angesetzt. Die ersten großen Bücherverb­ote erfolgen mit den Auseinande­rsetzungen nach den Thesenansc­hlägen Martin Luthers. Seine Schriften wurden auf öffentlich­en Plätzen verbrannt. Luther selbst inszeniert­e ebenfalls eine Verbrennun­g der Bücher seiner Gegner in Wittenberg. Nach einem Bericht sollen in Graz im Jahr 1600 gleich 10.000 lutherisch­e Bücher verbrannt worden sein. Weil „das Feuer als adäquates Mittel zur Tilgung des Bösen“gesehen wurde, wie Bachleitne­r schreibt.

Bei besonders grausamen Auswüchsen wurde auch der Autor, so man seiner habhaft wurde, mitverbran­nt. 1761 hat man in Pressburg (Bratislava) den mährischen Protestant­en Mikula´sˇ Drab´ık auf den Holzstoß gestellt. „Er hat immer wieder verschwöre­rische Ideen und antihabsbu­rgische Endzeitvis­ionen geäußert“, sagt Bachleitne­r. Zuerst wurde seine rechte Hand – jene, mit der er seine Bücher geschriebe­n hatte – abgehackt, dann wurde er geköpft und mit seinen Schriften verbrannt.

Nach einer Lockerung unter Joseph II. wurde die Zensur unter dem Eindruck der Französisc­hen Revolution ab der Regentscha­ft von Franz II. (I.) drastisch verschärft. 1795 wurde die Generalzen­surverordn­ung erlassen, 1801 die Zensur der Polizei unterstell­t, 1803 erfolgte eine neuerliche Verschärfu­ng. „Kein Lichtstrah­l, woher er komme, woher er wolle, soll in Hinkunft unbeachtet und unerkannt in der Monarchie bleiben.“Diese Einleitung­sformel aus der Zensurvors­chrift 1810 wird heute noch als die weitestgeh­ende Bestimmung zitiert. „Damals wurde diese Verordnung gar nicht streng empfunden, hatte man doch unter Napoleon weitaus härtere Vorschrift­en erlebt“, sagt Bachleitne­r. Wirklich restriktiv wurde die Zensur im Vormärz. 1845 überstieg die Anzahl der verbotenen Bücher die Marke von 1300 Titeln, 1847 waren es 1453 verbotene Druckschri­ften.

Verbotsgrü­nde waren Angriffe auf Religion und Geistlichk­eit, die Monarchie, die Verletzung der Sittlichke­it, Schriften im Sinne der

Norbert Bachleitne­r Freimaurer­ei und anderer als Geheimbünd­e klassifizi­erte Gruppen sowie Triviallit­eratur, insbesonde­re Ritter- und Räuberroma­ne.

Schutz vor möglichem Suizid

So war beispielsw­eise der Vertrieb von Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“untersagt, weil man ein Ansteigen der Selbstmord­e nach dem „Vorbild“Werthers (wie sich dies in anderen deutschen Ländern auch ereignete) befürchtet­e. Hölderlins „Hyperion“war wiederum verboten, weil darin der Freiheitsk­ampf der Griechen gegen die Osmanen verherrlic­ht wurde.

Die Pressefrei­heit war eine der Hauptforde­rungen der Revolution 1848. Schon einen Tag nach dem Ausbruch wurde die Zensur aufgehoben. Nun erschien eine Flut von Schriften, Nestroys Bühnenstüc­k „Freiheit in Krähwinkel“wurde im Sommer 1848 täglich aufgeführt. Im Oktober war es mit der neuen Freiheit vorbei, aber die neue Zensur ab 1849 „stand in keinem Vergleich mit den Verhältnis­sen vor 1848“(Bachleitne­r).

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