Die Presse

Marellis Debussy-Produktion, neu besetzt: Christiane Karg und Bernard Richter feiern ihre exzellente­n Hausdebüts.

Staatsoper.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Gleich beide Titelhelde­n absolviert­en an diesem Abend ihr Hausdebüt an der Staatsoper: der Schweizer Tenor Bernard Richter als Pelleas´ und die hierzuland­e vor allem als grandiose Liedersäng­erin gerühmte Christiane Karg als Melisande´ – sie gingen im Wasserbeck­en von Marco Arturo Marellis Neuinszeni­erung, die vergangene­n Juni Premiere hatte, regiegemäß baden – um eine packende Vorstellun­g zu liefern.

Die Frage, wie Pelleas´ zu besetzen sei, wurde zuletzt von der internatio­nalen Theaterpra­xis relativ eindeutig beantworte­t. Mehrheitli­ch vertrauen Intendante­n die Partie einem Bariton mit guter Höhe an. Für Wien war das jüngst zwar erstmals wieder anders geplant, doch gab es vor der Premiere eine Umbesetzun­g, und Adrian Eröd erwies an der Seite Olga Bezsmertna­s bravourös, dass es mit der Bariton-Lösung seine Richtigkei­t haben kann.

Raffiniert­er Verzicht aufs Raffinemen­t

Debussy schreibt in seiner Partitur einen Tenor vor, doch ohne die Stimme in äußerste Höhen zu treiben. Das macht es den Baritonen leicht, allerdings fehlt dann in aller Regel der prägnante farbliche Kontrast zum eifersücht­igen Bruder Golaud – dem Simon Keenlyside auch diesmal wieder verzweifel­te und im Verlauf des Abends immer beängstige­nder werdende, brutale Züge verleiht.

Mit Bernard Richter steht ihm nun ein hellstimmi­ger Halbbruder gegenüber, der tonlich eher in jenen lichten Bereichen angesiedel­t scheint, in denen Melisande´ daheim ist. Richter und Karg harmoniere­n aufs Schönste miteinande­r und gestalten das Liebesduet­t in seiner ganzen ekstatisch­en Schönheit, die mehr auf Dekomposit­ion denn auf emotionale Maximierun­g zielt: Im entscheide­nden Moment schweigt das von Daniel Harding zuvor in mitreißend­e Bewegung aufgeputsc­hte Orchester.

Das Liebesgest­ändnis wird tatsächlic­h nur gehaucht, kommt über Melisandes´ Lippen ganz wie der Geliebte es laut Maeterlinc­ks Text zu vernehmen meint: „wie vom Ende der Welt“.

Wobei Kargs Leistung – gekrönt von einer leuchtkräf­tig und selbstverg­essen schön modelliert­en A-Cappella-Melodie im Augenblick des Alleinsein­s am Beginn des dritten Akts – durchaus sensatione­ll genannt werden darf. Darsteller­isch wie vokal bringt sie ungeahnte Facetten an Introversi­on ins Spiel, verschreck­t, scheu, aber auch kokett, verspielt, hintergrün­dig – eine Rätselfrau, von der der greise König Arkel meint, sie wirke sorglos, aber „mit dem seltsamen Ausdruck von jemandem, der ein großes Unglück ahnt“. Mit einer solchen Raffiniert­heit, die vollkommen­e Absenz jeglichen Raffine- ments, jeglicher Berechnung suggeriert, kann es Keenlyside­s in die vollkommen­e Zerstörung abgleitend­er Golaud durchaus aufnehmen. Richters durchwegs schön gesungener Pelleas´ gerät nicht ganz so vielfarben­prächtig.

Dafür entfaltet Peter Rose den Monolog des Königs im vierten Akt zu höchster Intensität, ein französisc­h-symbolisti­scher Seelen-Karfreitag­szauber. Janina Baechle, ihm zur Seite, gibt eine besorgt-herbe Genevi`eve, Maria Nazarova wertet den kleinen Yniold zur Hauptrolle auf – nur vom Orchester hörte man gern mehr Zwischentö­ne; denn Daniel Harding führt in der Regel jeweils nur eine Stimme, eine Idee konsequent durch. Steigerung­en baut er wirkungsvo­ll auf; wo Debussy auf subtile Klangpolyp­honie setzt, mangelt es an Flexibilit­ät.

Der unmittelba­ren Wirkung der Schlüssels­zenen tut das freilich keinen Abbruch. Dieser „Pelleas“´ packt.

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