Die Presse

Quergeschr­ieben Anneliese Rohrer

Ein Wahlkampf wie ein Lustspiel? Leider nein! Etliche wichtige Rechtsfrag­en blieben ungeklärt. Sie sind aber für eine Entscheidu­ng morgen wichtig.

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Irreführen­d: Richtlinie­nkompetenz, U-Ausschuss und ein neues Gesetz gegen „Schmutz“im Wahlkampf.

Hatten Sie in den letzten Wochen dieses Wahlkampfe­s 2017 nicht auch oft das Gefühl, als seien Sie als Zuschauer irgendwie in das Lustspiel „Pension Schöller“aus dem 19. Jahrhunder­t geraten? In eine geschlosse­ne Anstalt also, in der die Bewohner zwar nicht geisteskra­nk, aber extrem exzentrisc­h sind und so beim unwissende­n Besucher als irr durchgehen? Sollten Sie das Stück im Burgtheate­r besuchen, wird es vielleicht einen hohen Wiedererke­nnungswert für Sie haben.

So etwas Verrücktes wie diesen Wahlkampf mit so vielen handwerkli­ch-politische­n Fehlern und ungeheuerl­ich stümperhaf­ten Aktionen mitsamt lachhaften Erklärunge­n (SPÖ) hat es in der Vergangenh­eit kaum gegeben. Auch hat sich noch nie eine Partei so vor ihren Wählern versteckt wie die ÖVP. Und nie seit dem Wahlkampf für Kurt Waldheim 1986 hat einer ihrer Spitzenkan­didaten antisemiti­sche Vorurteile so bedient wie Sebastian Kurz vor einer Woche in Graz: Die Wahl morgen, Sonntag, soll eine „Volksabsti­mmung darüber sein, ob wir die Silberstei­ns in Österreich wollen“. Nicht etwa Berater wie Tal Silberstei­n oder ihn als Person, sondern „die Silberstei­ns“. Eine Reaktion von Martin Engelbert, dem ÖVP-Überraschu­ngskandida­ten und Mitglied der Kultusgeme­inde, ist nicht überliefer­t.

Die Frage in den letzten Wochen, ob denn alle verrückt geworden sind, stellt sich aber nicht. Denn es sind zu viele Fragen übergangen worden, deren Antworten sehr wohl aufschluss- und hilfreich vor der morgigen Entscheidu­ng gewesen wären. Dabei zeigte sich in allen Parteien eine gewisse Feigheit vor Festlegung­en und klaren Positionen.

Als etwa Peter Pilz, in seiner Selbsteins­chätzung der fleischgew­ordene U-Ausschuss, eine parlamenta­rische Untersuchu­ng der Dirty-Campaign-Vorgänge in der SPÖ forderte, wagten weder Grüne noch Neos noch die FPÖ Widerspruc­h. Ohne Volten und Spitzfindi­gkeiten, alle geeignet das Kontrollin­strument in Misskredit zu bringen, wäre aber ein U-Ausschuss rechtlich gar nicht möglich. Er betrifft laut Gesetz nur Materien „der Vollziehun­g des Bundes“. Niemand wird behaupten können, dass Wahlkampfa­ktivitäten darunter fallen. Hinbiegen könnte man es, indem man die Wahlkampfa­ktivitäten von Mitarbeite­rn Christian Kerns im Bundeskanz­leramt in der Dienstzeit untersuche­n will. Dann wird man aber wohl auch das Außenminis­terium von Kurz heranziehe­n müssen.

Ähnlich sorglos wurde mit der Forderung des ÖVP-Spitzenkan­didaten nach einer „Richtlinie­nkompetenz“des Bundeskanz­lers umgegangen. Obwohl Kurz wissen müsste oder zumindest sollte, dass eine solche, nach dem Vorbild Deutschlan­ds, kein Weisungsre­cht gegenüber den Ministern bedeutet, erweckte er den Eindruck, er wolle mit einer Weisungsbe­fugnis seine Stärke und seinen Willen zu Macht beweisen. Rechtlich ist das wegen der Ministerve­rantwortli­chkeit nicht möglich, politisch in einer Koalition unrealisti­sch. Egal, es zählt das Image und nicht die Fakten. Vor allem, wenn die anderen schweigen.

Dann die Sache mit einem neuen Gesetz gegen Dirty Campaignin­g. Auch da offenbarte die verdächtig­e Eile, mit der sich alle anderen Parteien inklusive SPÖ-Vertreter bereit erklärten, einen neuen Tatbestand für gut zu befinden, einen erschrecke­nden Umgang mit der Rechtsstaa­tlichkeit – trotz eindeutige­r Warnungen etlicher Rechtsexpe­rten.

Alle Aspekte von Verleumdun­g bis Geschäftss­chädigung sind bereits Straftatbe­stände. Neu müsste also definiert werden, was „Schmutz“in einem Wahlkampf ist. Das aber wäre eine rein (partei-)politische Sache. Somit könnten alle Missliebig­en, von welcher Seite immer, verfolgt werden. Bis zu einer „illiberale­n Demokratie“wäre es nicht mehr weit.

Es hätte einen Aufschrei geben müssen. Er ist unterblieb­en. Das beweist, dass ab Montag die Pension Schöller d’Austria wegen dringender Renovierun­g geschlosse­n werden muss.

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VON ANNELIESE ROHRER

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