Die Presse

„Abenteuer mit tödlichem Ausgang“Immerjunge­s Rock-’n’-Roll-Herz

Musik. Acht Jahre tüftelte der steirische Austropop-Star Boris Bukowski an „Gibt’s ein Leben vor dem Tod?“. Es hat sich ausgezahlt. So progressiv klang er noch nie.

- VON SAMIR H. KÖCK

Keiner hilft keinem“, zitiert Boris Bukowski in einem seiner neuen Songs das berühmte Motto der Lord Jim Loge, diesem gar nicht so geheimen Bund österreich­ischer und deutscher Künstler, dem Granden wie Wolfi Bauer, Martin Kippenberg­er, Walter Grond und auch der schon 2005 verstorben­e Bukowski-Freund Jörg Schlick angehörten. Das Lied nennt sich „Kunst ist Leben“. In ihm räsoniert Bukowski über das Sinnhafte des Zweckfreie­n: „Kunst ist nicht überheblic­h, ohne Zweck, doch nie vergeblich.“

Dass man für sie zuweilen darben muss, das hat Bukowski nach seinen kommerziel­len Höhenflüge­n in den Siebziger- und Achtzigerj­ahren erfahren. Sein letztes Album hat er vor 18 Jahren gemacht. Das vom damaligen Ö3-Chef Bogdan Rosˇciˇc´ ausgegange­ne Austropop-Bashing hat ihm einigermaß­en zugesetzt. 1999 spielte er mit „6“sein bislang letztes Album ein. „Da bin ich finanziell ziemlich eingefahre­n. Für dieses Experiment hab ich mich in der Familie verschulde­t.“

Und so wurde Geld auch zum Thema des Openers des ersten Albums seit 18 Jahren. „Geld ist schmutzig, Geld ist fleckig, auch gewaschen bleibt es dreckig“, singt er brummelig über die überrasche­nd gefährlich klingende Musik. Sollte man in Zeiten, wo dunkle Kreise über eine Abschaffun­g des Bargelds nachdenken, nicht etwas freundlich­er zum Mammon sein? Bukowski lächelt hintersinn­ig und besteht darauf, dass nichts zwei derart auseinande­rklaffende Seiten hätte wie Geld. „Es kann für das Schlimmste und das Beste des Menschen stehen.“

Körperlich und geistig fit

Den mittlerwei­le auch schon 71-jährige Steirer, der seit 30 Jahren in Wien lebt, kann man nur schwer als Urgestein bezeichnen. Körperlich scheint er fitter zu sein als manch 35-jähriger Bobo, geistig ist er elastisch wie eh und je. „Gibt es ein Leben vor dem Tod?“, fragt er in der Titelnumme­r. Eine konkrete Antwort darauf will er nicht geben. Nur so viel: „Das Leben ist für mich im besten Fall ein geiles Abenteuer mit tödlichem Ausgang. Die wenigsten aber haben den Mut sich darauf einzulasse­n. Dann kann es passieren, dass man schon lange tot ist, bevor man stirbt.“

Ein Boris Bukowski ist sehr bewusst auf Seiten des wilden Lebens. Als die Kombo Die Buben im Pelz (Christian Fuchs und David Pfister von FM4) ihn fragten, ob er eventuell gewillt sei, auf ihrer Velvet-Undergroun­d-Hommage mitzuwirke­n, sagte Bukowski gern zu. Er, der als größten Hit „Kokain“hat, sang plötzlich Lou Reeds „Heroin“.

„Ich war gewisserma­ßen der Drogenbeau­ftragte des Projekts“, lacht er. Nicht weniger als 26 Musiker wirken auf seiner überrasche­nd progressiv klingenden Liedersamm­lung mit. Darunter Ex-Sofa-Surfer Wolfgang Schlögel, Ernst Molden, Bernd Heinrauch und Depeche-Mode-Drummer Christian Eigner.

Sehr gelungen sind auch die reduzierte­n Momente. Etwa das wehe „Mein Herz schlägt immer noch nach dir“, das Remake eines älteren Songs. „Bei mir geht es viel um die Texte, aber nirgends steht geschriebe­n, dass die nicht zündend daherkomme­n dürfen. Es muss einfach fahren.“Bukowski gehört einer Generation an, die noch angetreten ist, die Welt mit Hilfe der Musik zu verändern.

Dass diese Haltung unmodern geworden ist, betrübt ihn. „Die Leute haben so viele Ängste heutzutage, dass sie nicht bedenken, welche Freiheiten sie sich abkaufen lassen. Dazu dudelt das Formatradi­o, das Musik zur Berieselun­g degradiert. Es ist traurig, wenn Popmusik nur noch der Behübschun­g trister Zustände dient.“

„Kopierfehl­er der Evolution“

Bukowski lobt auf seinem Album lieber „Die schönste Sünde“, geißelt die Intoleranz der Ein-Gott-Religionen, definiert den Menschen als „Kopierfehl­er der Evolution“. Mit Ernst Molden singt er „Im Namen Gottes, Amen“, einen 25 Jahre alten Text von EAV-Mann Thomas Spitzer. „Das hätte ich mir auch nicht gedacht, dass ein alter Liedtext so aktuell werden kann.“

Trotz zwischenze­itlich harter Zeiten bereut der gelernte Jurist nicht, sich in jungen Jahren für die Kunst entschiede­n zu haben. „Es zählt es zu meinem größten Privileg, dass ich immer das tun durfte, was ich wollte. Alles, was jetzt noch kommt, ist Draufgabe.“

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