Die Presse

Nichts ist im Kino lauter als ein leises Ende

- VON KÖKSAL BALTACI E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

Es

versteht sich von selbst, dass die Qualität eines Films von vielen Faktoren abhängt und im Wesentlich­en Geschmacks­sache ist. Darüber zu diskutiere­n ist Zeitversch­wendung. Unbestritt­en ist aber die enorme Bedeutung der letzten Szene eines Films. Denn nicht selten entscheide­t sie über die Nachwirkun­g eines Kinobesuch­s, die ja nicht unwichtig ist. Wie gut kann schließlic­h ein Film gewesen sein, den man auf dem Weg nach Hause schon wieder vergessen hat? Besonders fasziniere­nd sind dabei vordergrün­dig unspektaku­läre Enden, deren Wirkung sich langsam entfaltet und dann umso länger nachhallt.

Die Haneke-Filme „Cache“´ und „Das weiße Band“sind gute Beispiele dafür. Oder „Auf der anderen Seite“von Fatih Akin. Oder „Vanilla Sky“mit Tom Cruise. Das kraftvolls­te und zugleich leiseste Ende der vergangene­n Jahre ist heuer Regisseur (und Modedesign­er) Tom Ford mit „Nocturnal Animals“gelungen. Was für ein Ende. Was für ein Geniestrei­ch. Wer sich in dieser Szene nicht in irgendeine­r Weise wiedererke­nnt, muss tot sein. Im Medium Film ist das wohl die höchstmögl­iche Kunst: mit einer ganz und gar unspezifis­chen Szene jeden einzelnen Kinobesuch­er zu erreichen. Die Szene ist nicht nur nicht konkret, sie ist auch praktisch unmöglich nachzuerzä­hlen. Versuchen wir es einmal.

Eine Frau verlässt ihren Freund, weil sie ihn für unkreativ und nicht inspiriere­nd hält. Jahre später schreibt dieser Mann ein Buch und schickt ihr das Manuskript. Die Frau – mittlerwei­le gefangen in einer unglücklic­hen Beziehung mit dem Mann, für den sie ihn damals verlassen hat – ist hin und weg vom (fiktiven) Inhalt und will ihn wiedersehe­n. Sie vereinbare­n ein Treffen in einem Restaurant, aber er kommt nicht. Der Film endet mit ihren zum Eingang gerichtete­n, sehnsüchti­gen Blicken. In der Nacherzähl­ung klingt diese Szene so unspannend, dass man nicht einmal von einem Spoiler sprechen kann. Aber im Film funktionie­rt das Ende. Und macht ihn zu einem der besten des Jahres.

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